Die elektronische Bereitstellung von Vergabeunterlagen – vier Fragen (Teil 1)

Seit dem 18. April 2016 müssen Auftraggeber grundsätzlich schon zum Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung die Vergabeunterlagen vollständig elektronisch zum Abruf bereitstellen. Ausnahmeregelungen, die insbesondere technische Hindernisse betreffen, dürften für die breite Masse der Vergabeverfahren nicht relevant sein. Doch was bedeutet diese Pflicht im Einzelnen und wie weit reicht sie tatsächlich? Müssen in jedem Fall eine vollständige […]

Seit dem 18. April 2016 müssen Auftraggeber grundsätzlich schon zum Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung die Vergabeunterlagen vollständig elektronisch zum Abruf bereitstellen. Ausnahmeregelungen, die insbesondere technische Hindernisse betreffen, dürften für die breite Masse der Vergabeverfahren nicht relevant sein. Doch was bedeutet diese Pflicht im Einzelnen und wie weit reicht sie tatsächlich? Müssen in jedem Fall eine vollständige Leistungsbeschreibung, der Vertrag oder die Bewertungsmatrix für die Angebotsauswertung online gestellt werden? Ein Beitrag in drei Teilen.

Die nachfolgenden vier Fragen und Antworten (bzw. Überlegungen) offenbaren eine im Detail differenzierte Rechtslage, die in diesem Beitrag über drei Teile erörtert werden soll.

 

1. Was genau erfordert das: die vollständige elektronische Verfügbarkeit?

Nach dem reinen Wortlaut der Vorschriften könnte man wohl zunächst auf den Gedanken kommen, dass eine elektronische Anforderung und Zusendung der Unterlagen per E-Mail ausreichen könnte. Die Rede ist hier von der Angabe einer „elektronischen Adresse“ unter der die Vergabeunterlagen unentgeltlich, uneingeschränkt, vollständig und direkt „abgerufen werden“ können (vgl. § 41 Abs.1 VgV, § 11 EU Abs. 3 VOB/A und § 41 Abs. 1 SektVO), nicht von einer „Internetadresse“. Denkbar wäre demnach auch, in einer Anforderung per E-Mail eine hinreichende elektronische Anforderung zu sehen. Die Vergaberichtlinien selbst nennen in ihren jeweiligen Anhängen bei den erforderlichen Mindestangaben für eine europaweite Bekanntmachung sogar ausdrücklich die E-Mail-Adresse als mögliche Alternative zur Angabe einer Internetadresse (vgl. Anhang V, Teil C Ziff. 2 der RL 2014/24/EU bzw. Anhang XI, Teil A, Ziffer 10 RL 2014/25/EU). Angesichts des Wortlauts der Richtlinie selbst spricht aber einiges für ein Redaktionsversehen. Art. 53 Abs. 1 RL 2014/24/EU fordert einen „direkten Zugang“ anhand elektronischer Mittel und Art. 73 Abs. 1 RL 2014/25/EU einen „vollständig elektronischen Zugang“. Sie sehen also gerade kein Dazwischentreten einer Vergabestelle vor, welche die Unterlagen versendet. Konsequenterweise lassen die Standardformulare auch nur die Angabe einer Internetadresse zu.

 

2. Gibt es Bereiche oder Gestaltungen, die von dieser Pflicht ausgenommen sind?

Abgesehen von den geregelten Ausnahmetatbeständen aus technischen Gründen gibt es einige Bereiche und Gestaltungen, die von dieser Pflicht zur vollständigen elektronischen Bereitstellung der Vergabeunterlagen nicht erfasst werden.

Zweistufige Konzessionsvergaben
Bei Konzessionsvergaben verpflichtet § 17 Abs. 1 KonzVgV den Konzessionsgeber nur dazu, in der Konzessionsbekanntmachung eine elektronische Adresse zum Abruf der Vergabeunterlagen anzugeben, „sofern die Konzessionsbekanntmachung keine Aufforderung zur Angebotsabgabe enthält.“ Dies lässt sich so verstehen, dass die Angabe einer Internetadresse zum Abruf der Vergabeunterlagen in der Konzessionsbekanntmachung noch nicht erforderlich ist, wenn Konzessionsvergaben mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb durchgeführt werden. Mit der Aufforderung zur Angebotsabgabe muss diese Internetadresse aber mitgeteilt werden.

Präqualifizierungssystem im Sektorenbereich
Im Sektorenbereich besteht die Möglichkeit, ein Präqualifizierungssystem gemäß § 37 SektVO einzurichten und bekannt zu machen. In diesem Fall kann der unverzügliche Zugang zu den Vergabeunterlagen gemäß § 41 Abs. 2 SektVO auch erst bei Aufforderung zur Angebotsabgabe oder zu Verhandlungen ermöglicht werden. Auch in diesem Fall aber muss die Aufforderung eine Internetadresse zum Abruf der Vergabeunterlagen enthalten.

Vorinformation/regelmäßige nicht verbindliche Bekanntmachung als Aufruf zum Wettbewerb
Eine Bekanntgabe der Internetadresse ist selbstredend dann nicht in einer Auftragsbekanntmachung möglich, wenn es eine solche Auftragsbekanntmachung gar nicht gibt. Seit der Vergaberechtsreform haben Auftraggeber die Möglichkeit, bei nicht offenen Verfahren und bei Verhandlungsverfahren auf eine Auftragsbekanntmachung zu verzichten, wenn sie eine Vorinformation (vgl. § 38 Abs. 4 VgV, § 12 EU Abs. 2 VOB/A) bzw. eine regelmäßige nicht verbindliche Bekanntmachung (vgl. § 36 Abs. 4 SektVO) als Aufruf zum Wettbewerb veröffentlichen, die bestimmte Mindestangaben enthalten muss. Frühestens 35 Tage nach Veröffentlichung dieses Aufrufs zum Wettbewerb (und maximal 12 Monate danach) werden diejenigen Unternehmen, die dem Aufruf gefolgt sind und eine Interessensbekundung übermittelt haben, zur Interessensbestätigung aufgefordert und erhalten im Rahmen dieser Aufforderung zur Interessensbestätigung die elektronische Adresse, unter der die Vergabeunterlagen zum Download bereitstehen (vgl. § 41 Abs. 1 Alt. 2 VgV, § 12 aEU Abs. 1 Satz 2 VOB/A, § 42 Abs. 3 S.2 Nr. 4 SektVO). In diesem Fall erhält also nur ein eingeschränkter Kreis von Unternehmen die Internetadresse, unter der die Unterlagen zum Download bereitstehen und dies auch noch nicht zum Zeitpunkt der Vorinformation bzw. nicht verbindlichen Bekanntmachung.

Allerdings „erkauft“ sich der Auftraggeber diese Erleichterung mit einem deutlichen zeitlichen Mehraufwand. Die Interessenbekundungsphase ist nämlich dem Teilnahmewettbewerb und der anschließenden Angebotsphase als weitere Phase vorgeschaltet, da die Aufforderung zur Interessensbestätigung erst den Teilnahmewettbewerb einleitet. Erst wenn dieser abgeschlossen ist, folgt eine mögliche Aufforderung zur Angebotsabgabe.

Zu beachten ist auch, dass dieser Weg nur bei der Wahl des nicht offenen Verfahrens oder des Verhandlungsverfahrens in Betracht kommt und zudem im Anwendungsbereich der VgV und der VOB/A obersten Bundesbehörden, also insbesondere Bundesministerien, nicht zur Verfügung steht. Auch beiKonzessionsvergaben gibt es diese Möglichkeit nicht.

Verteidigung und Sicherheit
Vergaben im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich sind privilegiert, da sie weiterhin der Richtlinie 2009/81/EG unterfallen, die durch die Vergaberechtsreform unverändert geblieben ist. Auftraggeber können dort allerdings gemäß § 20 Abs. 4 VSVgV bzw. § 10bVS Abs. 5 VOB/A die Angebotsfrist weiter verkürzen, wenn sie ab Veröffentlichung der Auftragsbekanntmachung die „Vergabeunterlagen und unterstützenden Unterlagen“ (VSVgV) bzw. „Vertragsunterlagen und alle zusätzlichen Unterlagen“ (VS VOB/A) elektronisch frei, direkt und vollständig verfügbar machen und in der Bekanntmachung eine Internetadresse angeben, unter der diese Unterlagen abrufbar sind.

 

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Von Dr. Valeska Pfarr, Menold Bezler Stuttgart

Quelle: Vergabeblog.de vom 04/09/2016, Nr. 27222