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Transparenz bei Unterlagen: Wernaus Räten ist die Lust am Aktenstudium vergangen

In Wernau ist der Versuch gescheitert, dass Gemeinderäte Zugang zu sämtlichen Unterlagen erhalten, über die in der Ratssitzung Beschlüsse gefasst werden sollen. Die Verwaltung hielt das nicht für praktikabel. Jetzt bleibt es bei der Vorgabe der Gemeindeordnung, dass den Kommunalpolitikern die aus Sicht der Verwaltung erforderlichen Dokumente zugänglich gemacht werden.
Mann durchwühlt Akten in einem Archiv

Alle Akten, die für eine Entscheidung bedeutsam sein könnten, will der Gemeinderat in Wernau nun doch nicht lesen.

dpa/Ulrich Baumgarten)

WERNAU. Erst drückte der Gemeinderat im Herbst 2022 seinen Willen durch, jetzt machte das Gremium in Wernau (Kreis Esslingen) in der Sitzung am vergangenen Montag schon wieder einen Rückzieher. Im Oktober hatten die Räte mehrheitlich beschlossen, dass alle existierenden Unterlagen zu einer Angelegenheit in das Ratsinformationssystem (RIS) eingestellt werden – also auch jene, die für die Entscheidung gar nicht relevant sind. Die Grünen-Fraktion hatte das beantragt und eine Mehrheit dafür erhalten. Jetzt hat das Gremium mit 13 zu drei Stimmen bei fünf Enthaltungen die alte Geschäftsordnung wiederhergestellt.

Verwaltung appelliert an die Mandatsträger

Die Verwaltung hatte die Mandatsträger zuvor in einem dringenden Appell darum gebeten, die Geschäftsordnung wieder abzuändern – in den früheren Zustand. Nicht mehr enthalten sein sollte die beschlossene Vorgabe, dass alle Unterlagen im RIS abgebildet sein müssen. Bei Bebauungsplänen kann es sich schnell um mehrere Hundert Seiten handeln, die von den Räten vor den Sitzungen lesetechnisch bewältigt werden müssten – für die ehrenamtlich politisch Aktiven eigentlich kaum machbar.

So weit wird es jetzt auch nicht kommen. Ausführlich erläuterte die Verwaltung in dieser Woche den Gemeinderäten auch warum. Im Grunde kommt die Verwaltung zum Ergebnis, dass unter den gegebenen Voraussetzungen der Beschluss des Gemeinderats von Oktober wegen des Aufwands nicht umsetzbar und unpraktikabel ist. Eine korrekte Umsetzung würde eine zusätzliche Vollzeitstelle erfordern, heißt es vonseiten des Hauptamts. Sie müsste im Stellenplan wiederum vom Gemeinderat beschlossen werden.
Auch technisch gesehen ist man in Wernau noch nicht so weit, dass eine einfache Überführung von Unterlagen in das RIS möglich wäre. Liegen sie in Papierform vor, müssten sie komplett digitalisiert werden. Exemplarisch hat die Verwaltung das an einem Vorgang ausprobiert, um den Zeitaufwand zu ermitteln. Protokolle und Unterlagen müssten zuerst gescannt, am Rechner korrekt zugeordnet sowie benannt werden. Die Digitalisierung eines Ordners dauere sechs bis acht Stunden, prognostiziert die Verwaltung.

Kommune entscheidet über Unterlagenfreigabe

Die Verwaltung entscheidet darüber, welche Unterlagen nach Paragraf 34 der Gemeindeordnung „erforderlich“ sind, damit Gemeinderäte entscheiden können. Letztlich geht es hier um eine Einzelfallentscheidung. Bei Bebauungsplänen gehen Kommunen dazu über, die zahlreichen Erläuterungen, die Stellungnahmen der Träger öffentlicher Belange und begleitenden Gutachten einzustellen. Vereinfacht wird das Einstellen von Unterlagen in das Ratsinformationssystem (RIS), wenn Unterlagen digital zur Verfügung stehen und ohne Aufwand – quasi per Mausklick – in ein RIS übertragen werden können. Entsprechende Schnittstellen benötigt auf der einen Seite das Dokumentenmanagement und auf der anderen Seite das Ratsinformationssystem.

Selbst wenn Unterlagen digital vorlägen, müssten sie aufwendig exportiert und bereitgestellt werden, um sie weiter verarbeiten zu können. Und: Bei einem Großprojekt wie der Generalsanierung einer Wernauer Realschule kommen rund 100 Ordner mit Unterordnern zusammen. Limitiert sind die Möglichkeiten auch, weil ein Einspielen von Daten in das RIS nur bis zu einer Größe von zehn Megabyte möglich ist. Das bedeutet erst einmal, dass jede Datei auf ihre Größe hin kontrolliert werden und eventuell in der Auflösung reduziert werden müsste. Das hätte Auswirkungen auf die Qualität von Plänen oder Darstellungen in Gemeinderatsunterlagen.

Datenschutz begründet gravierende Bedenken

Hinzu kommen datenschutzrechtliche Einwände. „Es müsste bei jedem Schriftstück entsprechend der Datenschutzgrundverordnung die Erlaubnis des Urhebers bzw. von zitierten Personen zur Veröffentlichung angefragt werden“, teilt die Verwaltung mit. Müssen Passagen geschwärzt werden, bedeutet das einen „weiteren erheblichen Zeitaufwand“.

Zudem hätten mehrere Unternehmen schon ihr Veto zur Veröffentlichung von Preisangaben, Besprechungsnotizen, Schriftverkehr oder Ähnlichem eingelegt. Aufgrund solcher Angaben würden Firmenkalkulationen offengelegt, was eine Befangenheit von verschiedenen Gemeinderäten zur Folge hätte oder diesen sogar einen Wettbewerbsvorteil verschaffen würde.

Bei der Umwandlung von Dokumenten in eine maschinenlesbare Form würden zudem enthaltene Firmenlogos oder Unterschriften in Grafiken umgewandelt, die problemlos exportiert werden könnten. Das sei eine „nicht unerhebliche Verletzung des Datenschutzes“. Die Verwaltung hielt es aus all den Gründen für „zwingend notwendig“, dass der Beschluss aus dem Oktober vom Gemeinderat wieder zurückgenommen wird. Sollten künftig wichtige Unterlagen für eine Beschlussfassung fehlen, sei die Verwaltung bereit, fehlende Unterlagen rechtzeitig vor der Sitzung nachzureichen. Im Notfall könne ein Tagesordnungspunkt auch verschoben werden.

Quelle/Autor: Marcus Dischinger

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