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Diversität: Normal ist, wenn Queerness nichts Besonderes mehr ist

Spätestens seit der Einführung der Ehe für Alle sollten queere Menschen im Berufsleben keine Nachteile mehr haben. Doch die Realität sieht anders aus, auch im öffentlichen Dienst. Dabei wollen die Betroffenen gar keine Sonderbehandlung am Arbeitsplatz.

Rund ein Drittel der queeren Menschen fühlt sich einer Umfrage zufolge im Arbeitsleben diskriminiert.

dpa/ZUMAPRESS.com/Brandon Chew)

STUTTGART. Diversität schreiben sich viele Kommunen und Unternehmen auf die Fahne. Doch allein die Regenbogenflagge zu hissen reicht nicht, wie eine Studie zeigt. Es gibt noch was zu tun in der queeren Arbeitswelt: 30 Prozent der LGBTIQ-Menschen geben an, dass sie Diskriminierung im Arbeitsleben erfahren.

Lilian erinnert sich noch gut daran, als sie an einem Gymnasium einer Kleinstadt in der Bodenseeregion anfing. „Ich war happy – mein Traumberuf!“, so die Enddreißigerin, nicht ahnend, was kommen würde. „Immer wieder Witze und blöde Bemerkungen über gleichgeschlechtliche Beziehungen, Regenbogenflagge und -familien. Das in den 2010er-Jahren!“

Die queere Arbeitswelt ist noch nicht so divers wie erhofft

Die Sprachlehrerin fackelte nicht lange, suchte – Verbeamtung hin oder her – und fand eine neue Stelle in der Industrie, zog mit Frau und Kind nach Mannheim. „Ob ich zu den Einzelfällen gehöre? Ich weiß es nicht. Ich kann nur sagen, die queere Arbeitswelt ist nicht so rosig und divers, wie manche sie gerne verkaufen würden, Stichwort ‚Pinkwashing’.“ Davon ist die Rede, wenn Unternehmen sich mit der LGBTIQ-Bewegung solidarisieren vor allem aus Marketinggründen, aber ohne ernsthaftes Engagement.

Wie ernst es Unternehmen und Verwaltungen ist, homo-, bi- und transsexuelle Menschen zu unterstützen, zeigt sich nicht zuletzt auch daran, wie mit eigenen Mitarbeitenden umgegangen wird. Wie ist es um die Sensibilität für Diversität bestellt? Geht man in der Arbeitsstätte aktiv gegen sexuelle Diskriminierung von Mitarbeitenden vor? Gibt es Gleichstellungsbeauftragte, Vielfaltsbeauftragte, Queerbeauftragte?

AGG spielt im öffentlichen Dienst geringere Rolle als in der Wirtschaft

Nach Kathrin Böhler von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes greift das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) auch auf Beamte und Beamtinnen, spiele indes wegen des Prinzips der Bestenauslese eine etwas geringere Rolle als in der freien Wirtschaft. Problematisch sei, dass es in der öffentlichen Verwaltung kein Compliance- und Beschwerdemanagement gebe wie in Großunternehmen.

Dass noch Manches zu tun ist, spiegeln Kommentare im Netz. Im forum.oeffentlicher-dienst.info sind Sätze zu lesen wie: „Bei Queer muss mir das aber erstmal jemand erklären, was es für Auswirkungen für diese Menschen haben soll, wenn ich ihnen eine besondere Vertretungskraft in der Verwaltung mitfinanziere ….“

Bessere Schulbildung bei LGBTIQ-Menschen

Die Ergebnisse einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaft DIW Berlin von 2020 deuten auf strukturelle Hürden am Arbeitsmarkt für diesen Personenkreis hin; und dass Unternehmen von Diversität profitieren. Demnach haben LGBTIQ-Menschen in Deutschland im Schnitt eine bessere Schulbildung als heterosexuelle.

30 Prozent geben an, dass sie Diskriminierung im Arbeitsleben erfahren: Aus Angst davor outet sich ein Drittel im Arbeitsalltag gegenüber Kolleginnen und Kollegen nicht. Und: Häufiger wird nicht geoutet in Branchen, in denen unterdurchschnittlich wenige LGBTIQ-Menschen arbeiten. Das betrifft demnach unter anderem das produzierende Gewerbe, während im Gesundheits- und Sozialwesen überproportional viele queere Menschen arbeiten.

SPD-Fraktion plant für den Herbst ein Positionspapier

Diese Korrelation zwischen Beschäftigungsquote queerer Menschen und Diskriminierungserfahrung war auch Thema bei der Veranstaltung „Queeres Leben in der Arbeitswelt“, zu der kürzlich Florian Wahl, Sprecher für Gesundheit und Pflege der SPD im Landtag von Baden-Württemberg, und der Sozial-Arbeitskreis eingeladen hatten. Die Fraktion plant, im Laufe des Herbsts ein Positionspapier zum Thema queere Rechte und Arbeitsmarktpolitik auszuarbeiten.

Essentiell sei die Sichtbarkeit queerer Menschen in allen Bereichen des Lebens, auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR), so der Landesvorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes (DJV), Markus Pfalzgraf. Das gelte für Programme wie für die Zusammensetzung des Rundfunkrats.

Queere Vertretung auch im Rundfunkrat

Dass es dort für Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz eine queere Vertretung braucht, darauf machten kürzlich der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) Baden-Württemberg sowie queer- und medienpolitische Sprecher der Parteien aufmerksam. Grund: Der Medienstaatsvertrag für ARD und ZDF wird verhandelt, danach der SWR-Staatsvertrag. „Der Intendant ist offen, aber die Politik entscheidet“, so Kerstin Rudat, LSVD-Vorstandsmitglied im Landesverband.

„Normalität ist erst, wenn nicht die Queerness Thema ist, sondern wenn etwa bei einem Beitrag über die Probleme von Familien auch eine Regenbogenfamilie vorkommt, ohne dass ihre Besonderheit herausgestellt wird“, betont Kerstin Rudat.

Antidiskriminierungsgesetz vereinbart

Seit November 2018 gibt es die Antidiskriminierungsstelle des Landes Baden-Württemberg (LADS), angesiedelt im Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration.
Das LADS arbeitet auch am Landesantidiskriminierungsgesetz für Baden-Württemberg, das im aktuellen Koalitionsvertrag vereinbart wurde und noch in diesem Jahr in erster Lesung in den Landtag kommen soll. Fast 100 Verbände und Organisationen haben sich landesweit der Forderung nach einem solchem Gesetz für Baden-Württemberg angeschlossen. Hinzu kommen über 1300 Privatpersonen.

Quelle/Autor: Petra Mostbacher-Dix

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