Heidi Deuschle im Interview: „Frauen dürfen wegen Teilzeit nicht schlechter beurteilt werden“

Der Mann geht arbeiten, die Frau bleibt zu Hause und hütet die Kinder. Noch immer bestimmt dieses veraltete Rollenbild die Arbeitswelt in der Verwaltung, wenn auch nicht immer offensichtlich. Obwohl sich viele Dinge in den vergangenen Jahren geändert haben, bekommen Frauen in Behörden und Verwaltung oft schlechtere Aufstiegschancen als Männer. Heidi Deuschle vom Beamtenbund Tarifunion kennt die Schwierigkeiten, denen Frauen auf ihrem Berufsweg begegnen.

Frauen im öffentlichen Dienst - dazu gehört auch die Polizei - haben es aufgrund ihrer Teilzeitwünsche oft schwerer, die Karriereleiter hochzusteigen als Männer. Heidi Deuschle beklagt diese Ungleichheit.

picture alliance/dpa, Marijan Murat)

STUTGART. In der öffentlichen Verwaltung ist zwar viel passiert in Sachen Gleichberechtigung. Doch noch immer gibt es auch im öffentlichen Dienst so einige Karrierefallen, vor denen sich Frauen besser hüten sollten. Heidi Deuschle vom Beamtenbund Tarifunion fallen im Interview etliche Punkte ein, die verbesserungswürdig sind.

Heidi Deuschle ist seit Juni im Ruhestand, aber ehrenamtlich als Landesfrauenvertreterin beim Beamtenbund Tarifunion (BBW) sowie Beisitzerin im Seniorenverband Baden-Württemberg engagiert. 2014 bis 2019 war sie zudem Frauenvertreterin der Deutschen Steuergewerkschaft (DSTG). Die diplomierte Finanzwirtin verantwortete beim Finanzamt 23 Jahre Konzernbetriebsprüfungen.

Frau Deuschle, sie waren 1999 die erste Frau mit Familie, die für das Finanzamt in der Finanzverwaltung Konzernbetriebsprüfungen durchgeführt hat. Was waren dabei die größten Hindernisse?

Heidi Deuschle: Am schwierigsten war es, sich in diesem Arbeitsbereich, einer Männerdomäne, zu behaupten. Die große Herausforderung war, dass im Außendienst nicht halbtags gearbeitet werden durfte. Andererseits war es zunächst auch nicht möglich, drei volle Tage zu arbeiten. Es ging nur Teilzeit in Höhe von 50 Prozent oder 75 Prozent. Sich eine Stelle zu teilen war ebenfalls nicht möglich. Das war damals ein ziemlicher Kampf.

Chancengleichheit im öffentlichen Dienst ist seit langem ein Ziel. Wie weit ist dieses bereits erreicht?

Wir haben inzwischen Einiges auf den Weg gebracht. Viele Verwaltungen bieten schon jetzt, dank etablierter Teilzeitmodelle und flexibler Arbeitszeitarrangements, gute Voraussetzungen für New Work Modelle mit familienfreundlichem und geschlechtergerechtem Arbeiten an. Jetzt gilt es aber, dies auch in Führungspositionen umzusetzen. Dem stehen aber immer noch unangemessene Beurteilungen für Frauen im Weg. Deshalb fordern wir diskriminierungsfreie Beförderungsroutinen, die auch Teilzeitkräften eine Spitzenposition in Aussicht stellen.

Was meinen Sie damit konkret?

Frauen dürfen nicht schlechter beurteilt werden, nur, weil sie in Teilzeit arbeiten – das gilt umgekehrt auch für Männer, die nur eine halbe Stelle haben. Der öffentliche Dienst besteht zu 56 Prozent aus Frauen, die – das haben Untersuchungen bestätigt – in der Mehrzahl durch durchschnittliche Beurteilungen schon zu Beginn ihrer Laufbahn ausgebremst werden. Dies läuft nach dem Motto „die bleibt ja eh mal wegen der Kinder zu Hause und der Mann verdient das Geld“. Da wir ein hierarchisches System haben und jede Beurteilung die vorhergehende als Maßstab nimmt, hat die Frau keine Chance und sie stellt irgendwann mal fest, dass Vollzeit arbeitende Männer sie überholt haben.

Ein weiterer Karrierebruch kommt dann spätestens in der Elternzeit oder?

Stimmt, eine Frau, die Erziehungs- oder Pflegeleistung zu erbringen hat, kann die Bewertungskriterien wieder nicht erfüllen, weil sie nicht als Leistungsträgerin gilt, da sie weniger Zeit im Büro präsent ist und deshalb wiederum bei Beförderungen seltener berücksichtigt wird. Geht sie – auch nur kurz – in Elternzeit und kehrt in Teilzeit zurück, wird sie von den Gehaltstufen vom Mann überholt. Manche Frauen steigen dann auch ganz aus, wenn sie kein Fortkommen sehen. Hier sind wir aber auf einem guten Weg, denn die Verwaltung hat dieses Problem erkannt und versucht gegenzusteuern.

Wie offen ist man in der Verwaltung für Tandem-Lösungen in Führungspositionen?

In der freien Wirtschaft wird das schon deutlich öfter gelebt. Da müssen wir nachlegen. Ich zeige das gern an einem Beispiel: In der Stadtverwaltung in Karlsruhe teilen sich zwei Frauen eine Führungsposition – jede arbeitet 60 Prozent. 60 Prozent, weil man ein Zeitfenster für die Übergabe braucht, indem beide Frauen da sind und es zu dem so wichtigen Wissenstransfer- und Austausch kommt. Wir brauchen viel mehr von diesen Modellen. Wir sollten uns allerdings nicht nur auf die Frauen allein fokussieren, denn Eltern- und Carearbeit geht auch Männer an. Wir müssen in anderen Mustern denken und weg von 100 Prozent Strukturen – das schafft eine höhere Akzeptanz.

Dieses Interview ist im neuen Journal des Staatsanzeigers Durchstarten Jetzt erschienen. Sie finden das Journal zum Download auf der Webseite des Staatsanzeigers.

Diskriminierung beginnt schon oft im Vorstellungsgespräch, wenn Frauen nach der Familienplanung gefragt werden. Wie reagiert man darauf?

Das ist nicht in Ordnung, das muss man nicht beantworten. So steht es auch im Chancengleichheitsgesetz. Normalerweise muss die anwesende Beauftragte für Chancengleichheit oder der anwesende Betriebs- oder Personalrat solche Fragen sofort unterbinden, das gilt auch für die geschlechtliche Orientierung. Da muss man ganz klar Grenzen ziehen, weil das in der Entscheidung für die Vergabe des Jobs gar keine Rolle spielen darf.

Was müssen Frauen in Sachen Selbstmarketing besser machen?

Es ist nach wie vor oft so, dass Frauen, wenn sie das Profil einer Stellenausschreibung anschauen, sich erst bewerben, wenn sie die meisten Kriterien erfüllen. Männer sind da pragmatischer. Um das Selbstwertgefühl zu stärken helfen vor allem Mentoring-Programme, die es auch im öffentlichen Dienst gibt. Und Frauen müssen vor allem lernen, besser zu Netzwerken. Durch den Austausch mit Frauen, die es in Führungspositionen gebracht haben, werden sie profitieren und können für sich wichtige Details ableiten. Das sind wichtige Bausteine bei der Karriereplanung. Aber nicht nur im Beru, auch im privaten Bereich müssen die Frauen Dinge einfordern. In der Partnerschaft muss die familiäre Sorgearbeit geteilt und gesellschaftlich aufgewertet werden. In Skandinavien ist man da schon viel weiter und auch Alleinerziehende haben ein ganz anderes Standing und schaffen es deshalb in Führungspositionen zu kommen.

Führen Frauen anders als Männer?

Früher wurde bei Frauen die Sozial- und Kommunikationskompetenz und auch die Empathie in den Fokus gerückt. Manche haben dennoch versucht, sich dem männlichen Stil anzupassen, um erfolgreich zu sein. Es weicht sich inzwischen aber immer mehr auf.

Welche Erfahrung haben sie dabei gesammelt?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es sehr gut funktioniert, wenn in Führungsteams beide Geschlechter vertreten sind, weil dann unterschiedliche Denkstrukturen und Empfindungen abgebildet werden und diese Bandbreite ist sehr wertvoll. Mein Credo lautet: Leistung muss honoriert werden, egal, ob sie in Voll-oder Teilzeit, von Mann oder Frau, im Homeoffice oder Büro erbracht wird. Wichtig ist, was der Mensch kann, der das Maß der Dinge sein muss.

Andersherum sind im Zuge der wegbrechenden Babyboomer ja auch die Arbeitgeber gefordert, sich familienfreundlich zu präsentieren. Das ist doch auch eine Chance für Frauen oder?

Es ist eine Win-Win-Situation für beide Seiten. Man kann als Staat die Strukturen schaffen mit Kitas und dank der Digitalisierung ist hybrides Arbeiten möglich. Diese Frauen haben das Wissen, kennen die Verwaltung und die Anforderungen.  Es geht ja auch um die Altersversorgung, um die sich junge Frauen vielleicht noch keine Gedanken machen. Aber aktuell gibt es immer mehr Fälle von Altersarmut bei Frauen, die jahrzehntelang gearbeitet haben. Das muss aber in die Köpfe rein. Überhaupt kann ich Frauen nur auffordern, die Selbstzweifel nach hinten zu stellen, Dinge auszuprobieren und Herausforderungen anzunehmen. Da ist man dann oft zufriedener, als wenn man da bleibt, wo man ist. Und Frauen müssten eigentlich wissen, dass sie ein großes Organisationstalent haben und jede Menge Strukturiertheit mitbringen. Diese Zusatzqualifikationen müssen erkannt und genutzt werden.

Elke Rutschmann

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