Debatten im Landtag vom 8. und 9. November 2017

Fall Serebrennikow sorgt für Diskussion über Kunst

Stuttgart. Der Fall des russischen Theater-Regisseurs Kirill Serebrennikow, der in Russland bis Januar unter Hausarrest gestellt wurde und deshalb zur Inszenierung der Uraufführung des Märchens „Hänsel und Gretel“ im Stuttgarter Operhaus nicht ausreisen durfte, sorgte am Donnerstag für eine breite Diskussion über die Kunst und Kultur im Landtag. Zur Freiheit des Individuums gehörten Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit […]

Stuttgart. Der Fall des russischen Theater-Regisseurs Kirill Serebrennikow, der in Russland bis Januar unter Hausarrest gestellt wurde und deshalb zur Inszenierung der Uraufführung des Märchens „Hänsel und Gretel“ im Stuttgarter Operhaus nicht ausreisen durfte, sorgte am Donnerstag für eine breite Diskussion über die Kunst und Kultur im Landtag.
Zur Freiheit des Individuums gehörten Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit und eben auch die Freiheit der Kunst, sagte Manfred Kern (Grüne) in der von seiner Fraktion beantragten aktuellen Debatte „Kunst ist eine Tochter der Freiheit – eine Debatte aus Anlass des Falls „Serebrennikow“ in der Oper Stuttgart“. Es könne nicht sein, dass Kunst gefährdet werde oder nicht entstehen dürfe, wenn sie kritisch, unbequem, politisch zu werden drohe. Kunst brauche Autonomie und Handlungsspielräume, aber keine Zensur. Kern betonte, mit der Debatte solle zum Ausdruck gebracht werden, dass „wir die Entwicklung in Russland mit Sorge betrachten und es skandalös empfinden, dass Serebrennikov sein Opernprojekt in Stuttgart nicht vollenden durfte“.
Auch Kunst-Staatssekretärin Petra Olschowski kritisierte das Vorgehen Russlands gegen den kritischen Theater-Regisseur. „Einen Tag, nachdem Ministerin Theresia Bauer einen Anruf erhielt, bei dem ihr von hoher diplomatischer Stelle versichert wurde, man habe mit Putin gesprochen und es werden Erleichterungen für Serebrennikow geben, wurde dessen Hausarrest verlängert. Einen Tag, nachdem Frank Walter Steinmeier sich während seines Besuchs in Moskau bei Putin für den Künstler eingesetzt hat, wurde Sofia Apfelbaum, die Leiterin des Jugendtheaters in Moskau, im Zusammenhang mit dem Fall festgenommen“, berichtete sie. Für die Staatssekretärin kein Zufall: „So funktioniert staatliche Willkür.“

Gradmesser für demokratische Gesellschaft

Olschowski sagte, Kunst und Kultur seien „Gradmesser für den Zustand und die Stabilität einer demokratischen Gesellschaft“. Mit der Beschneidung der Kunst beginne auch immer die Beschneidung der Demokratie. In Russland werde Zensur indirekt ausgeübt. So werde Serebrennikow nicht seine künstlerische Haltung, Arbeit und Inhalt seiner Arbeit vorgeworfen, sondern stattdessen die nicht rechtmäßige Verwendung von Steuergeldern. Staatlich gefördert werde in Russland nur das, was die nationalistischen Ideologien stärke. Russland vor Augen müsste auch in einem demokratischen Deutschland gekämpft werden gegen die Vorstellung einer national verordneten Leitkultur sowie die staatlichen Ideologien, die politischen Interessen und nicht künstlerischen Interessen folgen. „Es geht in der Kunst immer um unsere eigene Freiheit“, sagte die Staatssekretärin. Diese müsse immer neu verhandelt, verteidigt und erstritten werden.
Sabine Kurtz (CDU) erinnerte an die vielen Künstler, die weltweit politisch verfolgt werden, wie Fazil Say oder Ai Weiwei. Auch in Baden-Württemberg gebe es Angriffe auf die Kunstfreiheit. Sie erinnerte an das Stück „Das Märchen vom letzten Gedanken“ im Jahr 2014 in Konstanz, als der türkische Generalkonsul dagegen protestierte. „Einen Angriff auf die Kunstfreiheit können wir nicht tolerieren“, sagte Kurtz. Deshalb sei im Koalitionsvertrag der Satz vorhanden: „Wir schützen die Freiheit der Kunst und bewahren sie vor jeder Einflussnahme.“ Gleichzeitig warnte sie, Kunst zu überfrachten. Ein Kunstwerk müsse weder nützlich sein noch gefallen. Umgekehrt dürfe ein Kunstwerk gefallen, es müsse keinem Zweck dienen. Politikern stehe es nicht zu, Kunst zu bewerten oder gar Mittel entsprechend Geschmack oder politischer Anforderung zu gewähren.

Revoir: Es ist Zeit für laute Töne

Die Einschränkung der Freiheit, die Unterdrückung aller Andersdenkenden, die Verfolgung der Freigeister habe sich immer zuerst gegen Kunst und Kultur gerichtet, konstatierte Martin Rivoir (SPD). Bei den Künstlern fange man an, wenn man Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zerstören wolle. „Wir müssen uns hier laut für Herrn Serebrennikow aussprechen. Es ist Zeit für laute Töne“, erklärte Rivoir. Der Hausarrest komme einer Vorverurteilung gleich und bedeute faktisch Berufsverbot. Er forderte die sofortige Freilassung des Künstlers. Die Oper „Hänsel und Gretel“ in Stuttgart aufzuführen und damit auf die Lage des Regisseurs hinzuweisen, sei genau die richtige Antwort auf die Willkür in Russland.
Von einer staatlichen Unbeeinträchtigung der Kunstfreiheit könne man leider in vielen totalitären Regimen in Russland, China und weltweit nicht sprechen, sagte Nico Weinmann (FDP). In Russland würden nicht Kunstwerke offensiv moniert, sondern der kritische Geist, der dahinter stehe, werde mundtot gemacht. Neben der klaren Benennung der Missstände befürwortete der Liberale die Stärkung der auswärtigen Kulturpolitik, beispielsweise durch das Goethe-Institut oder die Deutsche Welle.
Nirgendwo werde so modern und provokativ inszeniert wie in Deutschland, stellte Rainer Balzer (AfD) fest. Die Subventionierung liege hierzulande bei über 80 Prozent. Er hinterfragte, ob diese Subventionen noch gerechtfertigt sind. Manche Inszenierungen seien anscheinend nicht mehr für den Bürger und den Kunstgenuss, sondern es „sind Inszenierungen einer politisierten Parallelgesellschaft aus Kritikern, Regisseuren und Dramaturgen, die sich untereinander  bejubeln“. Die Aufgabe der AfD sei es, die Freiheit der Meinungsäußerung und die Sicherheit der Bürger in Deutschland zu garantieren. Daraus folge die Freiheit der künstlerischen Tätigkeit. Gerade Jugendliche, die zum ersten Mal in die Oper gingen, sollten sich von der Inszenierung angesprochen fühlen. Wenn die Theater mit Steuergeldern subventioniert würden, dürften sich die Intendanten und Theaterregisseure nicht von der Bevölkerung entfremden.

Quelle/Autor: Wolf Günthner

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