Debatten im Landtag vom 11. und 12. Oktober 2017

Gemeinschaftsschule weiterhin umstritten – auch innerhalb der Koalition

Stuttgart. Nach der Debatte um die Zukunft der Ganztagsschule vom Mittwoch ist in der Landesregierung ein zweiter bildungspolitischer Zwist offen ausgebrochen. Unter großen Beifall von CDU, FDP und AfD kritisierte der CDU-Abgeordnete Raimund Haser im Landtag die von der grün-roten Landesregierung vor fünf Jahren geführte neue Schulform scharf. Die Hälfte der Gemeinschaftsschulen, „die heute am […]

Stuttgart. Nach der Debatte um die Zukunft der Ganztagsschule vom Mittwoch ist in der Landesregierung ein zweiter bildungspolitischer Zwist offen ausgebrochen. Unter großen Beifall von CDU, FDP und AfD kritisierte der CDU-Abgeordnete Raimund Haser im Landtag die von der grün-roten Landesregierung vor fünf Jahren geführte neue Schulform scharf. Die Hälfte der Gemeinschaftsschulen, „die heute am Markt sind, wären gar nicht mehr genehmigungsfähig“. Die Grünen-Bildungspolitikerin Sandra Boser verlangte dagegen, den Respekt aller Beteiligten für alle Schüler und Lehrkräfte – unabhängig von der Schulform.
Die SPD-Fraktion hatte die Aktuelle Debatte „Fünf Jahre innovative Pädagogik: Gemeinschaftsschulen unterstützen statt schlechtreden“ beantragt. Haser wies den im Titel enthaltenen Vorwurf zurück und berichtet von „einem guten Freund“, der an einer Gemeinschaftsschule unterrichte, und der sich, angesichts zurückgehender Schülerzahlen, frage, was er falsch gemacht habe. Auf die Diskussionen in den Gemeinderäten sei er gespannt, wenn klar werde, „dass Geld zum Fenster hinausgeschmissen wurde“. Zugleich lobte er die neue Schulform als „Aufsteigerschule“, die aber in ihre Teile zerlegt werden müsse, um zu klären, was funktioniert und was nicht. Denn bei der Einführung sei der Kühlschrank aufgemacht, "Tiramisu, Gurke und Fleisch herausgeholt und zusammengerührt worden, um dann festzustellen, „dass das nicht schmeckt“.

FDP hält bei der Gemeinschaftsschule Korrekturen für nötig

Für die AfD ist die Gemeinschaftsschule „nach der Abstimmung der Eltern mit den Füßen gescheitert“. Rainer Balzer schlug den Bogen zur Euro-Rettung: Die Gemeinschaftsschule müsste nicht gerettet werden, wäre sie eine gute Schule.
Auch der bildungspolitische Sprecher der FDP-Fraktion Timm Kern machte kein Hehl aus seiner „Skepsis, ob sämtliche Heilserwartungen tatsächlich erfüllt werden“. Aber die FDP habe immer wieder deutlich erklärt, „dass wir uns nicht gegen die Gemeinschaftsschule sperren, wo sie vor Ort gewünscht wird – immer vorausgesetzt, es gelten gleiche Bedingungen für alle Schularten". Es zeige sich aber, dass die Gemeinschaftsschule „sich nicht organisch entwickeln konnte und in dem Ruf stünde, sie sei ohne massive Bevorzugung und restriktive Schutzvorschriften nicht arbeitsfähig“. Deshalb seien Korrekturen notwendig. Kern verlangte, die sogenannte Binnendifferenzierung aufzuheben und Kurse auf unterschiedlichen Niveaus sowie Verbünde mit anderen Schulen zuzulassen. Dabei werde es „wieder ganz wesentlich auf die CDU und ihre Kultusministerin ankommen: Statt fauler Kompromisse mit dem grünen Koalitionspartner wäre politischer Mut erforderlich, einen echten Schulfrieden ins Auge zu fassen“. Der Ball liege im Feld des Kultusministerium, zu derartigen Gesprächen einzuladen. 
Boser zitierte den Wunsch einer Schülerin, wer die Gemeinschaftsschulen kritisiere, möge doch eine besuchen. Sie verteidigte das längere gemeinsame Lernen und erinnerte daran, dass es 2011 dringend notwendig gewesen sei, auf den Reformstau zu reagieren. Jetzt vertrauten „Gemeinden, Eltern und Schüler darauf, dass alle Bildungsabschlüsse wohnortnah offenstehen“. Und die Grüne erinnerte daran, wie sich zum Beispiel der Handwerkstag für die neue Schulform stark gemacht habe und weiter stark mache.  

Sozialdemokraten sind von Kultusministerin Eisenmann enttäuscht

Für die Sozialdemokraten warf Stefan Fulst-Blei, „konservativen Kräften“ vor, „die Gemeinschaftsschule trotz der Erfolge in anderen Bundesländern massiv ideologisch zu bekämpfen“. Mit dem Regierungswechsel 2016 hätten betroffene Eltern und Lehrkräfte „die Hoffnung auf eine Art Burgfrieden verbunden", da Kultusministerin Susanne Eisenmann als Schulbürgermeisterin selbst Gemeinschaftsschulen eingerichtet habe. Diese Hoffnung sei nicht erfüllt worden: „Im Gegenteil, man fragt sich heute, was einem lieber ist, die offene Ablehnung – unangenehm, aber man weiß woran man ist, oder die jetzt vorherrschende Politik der perfiden Nadelstiche". 
Der Mannheimer Landtagsabgeordnete warf Eisenmann konkret vor, nicht widersprochen zu haben, als der CDU- Fraktionsvorsitzende „die schlechten IQB-Test-Ergebnisse des Landes pauschal mit dem Hinweis auf die grün-roten Reformen begründet hat, obwohl wir alle in diesem Hause wissen, dass hier nur Schulen des alten schwarz-gelben Systems abgeprüft wurden“. Trotzdem sei versucht worden, die Gemeinschaftsschule „zum Sündenbock zu machen“. Konkret monierte Fulst-Blei die unterschiedliche Behandlung von Lehrkräften in der Weiterbildung, die Übergangsregelungen auf berufliche Gymnasium oder die Verunsicherung der Schulen, die eine gymnasiale Oberstufe einrichten wollen.
Zum Abschluss der mehr als einstündigen Debatte kam Volker Schebesta (CDU) noch einmal ans Rednerpult, unter anderem, um auf Kern zu reagieren: Eine konkrete Einladung sprach der Staatssekretär allerdings nicht aus, sondern er kündigte an, dass die Ministerin, den Ball aufnehmen und „zum Angriff übergehen wird“.

Quelle/Autor: Brigitte Johanna Henkel-Waidhofer

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11. und 12. Oktober 2017