Debatten im Landtag vom 11. und 12. Oktober 2017

Koalition uneins über Ganztagsschule

Stuttgart. Die CDU will der Ganztagsschule parallele Betreuungsangebote zur Seite stellen. Wie Karl Wilhelm Röhm, ihr bildungspolitischer Sprecher, am Mittwoch im Landtag erklärte, sollen künftig an einem Schulstandort verschiedene Angebotsformen möglich sein. Die Situation des „Ganz- oder Garnicht-Ganztags“ müsse erweitert werden, weil die Schulform unter „ungünstigen, ideologischen Rahmenbedingungen“ entstanden sei und unter der Devise: „Für […]

Stuttgart. Die CDU will der Ganztagsschule parallele Betreuungsangebote zur Seite stellen. Wie Karl Wilhelm Röhm, ihr bildungspolitischer Sprecher, am Mittwoch im Landtag erklärte, sollen künftig an einem Schulstandort verschiedene Angebotsformen möglich sein. Die Situation des „Ganz- oder Garnicht-Ganztags“ müsse erweitert werden, weil die Schulform unter „ungünstigen, ideologischen Rahmenbedingungen“ entstanden sei und unter der Devise: „Für alle Kinder das Gleiche, anstatt für jedes Kind das Richtige.“

In der Landtagsdebatte über „Qualitätsvolle Betreuungsangebote an den Schulen in Baden-Württemberg“ beklagte Röhm zudem, dass das bisherige „Gesamtkonzept Ganztag der SPD unseriös finanziert war“. Für den größeren Regierungspartner verteidigte Sandra Boser (Grüne) das mit den Sozialdemokraten verabschiedete Schulgesetz und die gebundene Ganztagsschule.

Röhm bezog sich auf die beiden Ganztagsschulgipfel, die Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) veranstaltet hat. Boser erläuterte ihre Positionen ebenfalls auf Basis der Erkenntnisse aus beiden Veranstaltungen mit Kommunen, Lehrkräften oder Elternvertretern. Beide setzten allerdings deutlich andere Schwerpunkte. Röhm, der frühere Rektor des Münsinger Gymnasium, will eine „Auflösung des Gegensatzes von Ganztagsschule und Betreuung“. Ganztagsschule sei weder ein Selbstzweck noch ein politischer Lottogewinn.

„Zeigt sich hier die Uneinigkeit einer unpassenden Koalition?“, fragte der AfD-Abgeordnete Rainer Balzer. Die Ganztagsschule sei „eine Ideologie“, die ins Leere laufe. Und er kritisierte, wie „Grün-Schwarz jetzt zu reparieren versucht, was Grün-Rot verbrochen hat“. Die CDU müsse auffangen, „was der grüne Koalitionspartner verbockt hat“.

Stefan Fulst-Blei (SPD) erinnerte daran, dass die erfolgreichsten PISA-Länder über verbildliche Ganztagsschulen verfügen. Es sei pädagogisch nicht durchdacht, an einem Standort mehrere Angebote vorzuhalten – und die Rhythmisierung von Unterricht und Betreuung über den Vormittag hinaus sei grundlegend für guten Unterricht. Wie solle der aber laufen, „wenn sich die Hälfte der Kinder herausziehen kann?“, fragte der Sozialdemokrat. Der Gesellschaft tue eine „Durchmischung gut“, vor allem, dass auch Schüler aus wohlhabenden Familien in Ganztagsschulen gehen, statt die Schulform wie zu Zeiten der CDU-FDP-Landesregierung auf soziale Brennpunkte zu beschränken. „Gerade mit Blick auf unsere Demokratie ist die Entwicklung des Miteinanders von großer Bedeutung“, sagte er.

Der bildungspolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, Timm Kern, kritisierte die Grünen, denn „man hat den Eindruck, die SPD habe mit absoluter Mehrheit regiert“. Es könne doch jetzt nicht so getan werden als hätten die Grünen mit der vergangenen Legislaturperiode nicht zu tun gehabt. „Die Antwort der Landesregierung auf die heute zu beratende Anfrage der CDU ist eine niederschmetternde Bilanz eines grün-roten Vorzeigeprojekts“, so Kern weiter. Grün-rotes Ziel sei es gewesen, „bis zum Jahr 2023 70 Prozent aller Grundschulen auf Ganztagsbetrieb nach Paragraf 4a des Schulgesetzes, also verpflichtend-rhythmisierte Ganztagsschulen umgestellt zu haben“. Zum Schuljahr 2016/17 seien aber nur 345 von insgesamt 2367 Grundschulen auf die von der ehemaligen Landesregierung präferierte Form umgestellt: „Und fragt man, welche Grundschulen ganz auf verpflichtend-rhythmisierten Ganztag umgestellt haben, dann sind es nur noch ganze zwei Prozent!“

Die Kultusministerin selber versuchte einen Ausgleich, zumal sie in ihrer Zeit als Stuttgarter Schulbürgermeisterin bekennende Anhängerin gebundener Ganztagsagebote war, unter anderem mit der Begründung, dass die Mittel auf diese Weise besonders effizient einsetzt werden können. „Wir wollen in aller Offenheit sehen, wie unsere Konzepte wirken“, so Eisenmann, für die „völlig unstrittig ist“, dass der Bedarf am klassischen, verbindlichen, pädagogisch wertevollen Ganztagsunterricht vorhanden ist. Zugleich gebe es aber den Wunsch nach mehr Flexibilisierung. Diese „einzelnen Faktoren“ würden jetzt unter Einbindung aller relevanten Partner diskutiert.

Offen ließ Eisenmann, ob die dem Wunsch der CDU-Fraktion nachkommen wird und Parallelangebote zugelassen werden. Es sei noch keine Entscheidung getroffen. Und überhaupt nicht gelten lassen wollte die Ministerin den AfD-Einwurf, dass das Engagement der Vereine vor Ort durch die Ganztagsangebote ausgehöhlt würde: Das sei schlicht eine falsche Annahme.

Quelle/Autor: Brigitte Johanna Henkel-Waidhofer

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