Debatten im Landtag vom 28. März 2012

Kultusministerin bringt Gesetzentwurf zur Gemeinschaftsschule ein

Stuttgart. Die grün-rote Landesregierung hat am Mittwoch im Landtag ihren Gesetzentwurf zur Gemeinschaftsschule eingebracht. Danach sollen mit Beginn des Schuljahres 2012/13 landesweit 40 Gemeinschaftsschulen ihren Betrieb aufnehmen. Diese können von Kindern mit allen Arten der Grundschulempfehlungen besucht werden. Die neue Schulart soll nach dem Willen von Grün-Rot zur Regelschule neben Haupt-/Werkrealschule, Realschule und Gymnasium werden. […]

Stuttgart. Die grün-rote Landesregierung hat am Mittwoch im Landtag ihren Gesetzentwurf zur Gemeinschaftsschule eingebracht. Danach sollen mit Beginn des Schuljahres 2012/13 landesweit 40 Gemeinschaftsschulen ihren Betrieb aufnehmen. Diese können von Kindern mit allen Arten der Grundschulempfehlungen besucht werden. Die neue Schulart soll nach dem Willen von Grün-Rot zur Regelschule neben Haupt-/Werkrealschule, Realschule und Gymnasium werden.
Bei der Einbringung des Gesetzentwurfs zur Änderung des Schulgesetzes verteidigte Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer (SPD) den Abschied vom bisherigen dreigliedrigen Schulsystem. «Wir wollen den verhängnisvoll engen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg auflösen», sagte die Ministerin. Das Sortieren von Schülern nach der vierten Klasse auf unterschiedliche Schularten passe nicht «zu unserem Menschenbild und dem demokratischen System». Die Gemeinschaftsschule führe zu mehr sozialer Gerechtigkeit, zu attraktiven Schulstandorten auch im ländlichen Raum und bringe Bewegung in die Schulentwicklung.
Warminski-Leutheußer warf der CDU/FDP-Vorgängerregierung vor, einen schulischen Entwicklungsstau hinterlassen und wichtige Zukunftsfragen nicht beantwortet zu haben. Das bisherige System habe die Chancen zu höherer Bildung nicht ausgeschöpft. Nach Ansicht der Ministerin profitieren besonders Migranten, die es beim dreigliedrigen System schwer hatten, von der Gemeinschaftsschule, mit der Baden-Württemberg ein modernes und leistungsfähiges Schulsystem erhalte. «Die Gemeinschaftsschule ist für Lehrer und Schüler gleichermaßen attraktiv, zudem hat die Ganztagesschule viele positive Effekte», urteilte Warminski-Leutheußer.
Georg Wacker (CDU) kritisierte in der ersten Lesung, noch nie habe ein Gesetzentwurf so viel Kritik hervorgerufen wie die Einführung der Gemeinschaftsschule. Die Reform sei «pure Ideologie», unausgewogen und überhastet und mache es keinem Recht: «Weder den Befürwortern, noch den Kritikers. Sie sitzen zwischen allen Stühlen.» Der frühere Kultus-Staatssekretär forderte von Grün-Rot den Nachweis, dass Schule mit der neuen Schulart besser gelinge. «Ihre gerechte Schule führt zu Ungerechtigkeit an anderen Schulen», warnte Wacker und forderte, auch an den anderen Schulen den Klassenteiler auf 28 Schüler zu senken. Zum Wert des dreigliedrigen Schulsystems führte der CDU-Abgeordnete statistische Zahlen vor; im Jahr 2000 hätten 64,6 Prozent der Schüler die Mittlere Reife erlangt, 2010 seien es 75,9 Prozent gewesen.

Ziel ist Entkoppelung des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft

Für die Grüne sagte Sandra Boser, die Regierung schaffe mit der Gemeinschaftsschule das seit langem von Eltern, Schülern und Lehrern geforderte neue Angebot. Ziel sei es, mehr Schüler zu einer besseren Ausbildungsreife zu bringen. Außerdem möchte das Land die «Entkoppelung des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft» schaffen. Sie argumentierte, die bisherige Trennung der Kinder nach der vierten Klasse habe oft auch zu Trennung von Freundschaften geführt. Mit der Gemeinschaftsschule gebe es nun für alle Schule die Möglichkeiten, den «gestiegenen Anforderungen der Heterognität» gerecht zu werden. Wesentlicher Bestandteil der Gemeinschaftsschule sei ein rhythmisiertes Unterrichtsangebot durch ein gebundenes Ganztagesangebot. «Dies ist eine Schule für Alle. Eine Schule, die allen gleiche Möglichkeiten bietet. Damit schaffen wir einen Schritt weg von der sozialen Selektion hin zu mehr Chancengleichheit», urteilte Boser.
Wenn soziale Herkunft über die Bildungschancen entscheide, müsse dies korrigiert werden, erklärte Christoph Bayer (SPD). Er zitierte Wissenschaftler, nach deren Meinung das dreigliedrige System gescheitert sei. Die Drei-Klassen-Gesellschaft müsse endlich abgeschafft werden zugunsten einer wertorientierten Bildungspolitik. «Die Gemeinschaftsschule ist keine Einheitsschule, sondern eine Schule der Vielfalt, in der Kinder zum bestmöglichen Erfolg kommen können», sagte Bayer. Deshalb habe die neue Schulart Zuversicht und Unterstützung verdient.
Allerdings äußerte sich Timm Kern (FDP) skeptisch. «Sie werden das Gegenteil erreichen», prophezeite der Liberale. Nach seiner Meinung «werden schwächere Schüler unter die Räder kommen»; auch sei die Gemeinschaftsschule ein untaugliches Konzept für die Fläche. Die FDP befürworte eine leistungsfördernde Pädagogik, erklärte Kern. Der Gemeinschaftsschule fehle es an Gestaltungsfreiheit und Flexibilität, bemängelte er. Mit einem Seitenhieb watschte der Liberale auch den bisherigen Koalitionspartner CDU ab: Das CDU geführte Kultusministerium sei nicht für seine Offenheit bekannt gewesen. «Nachdem das Pendel bisher konservativ ausgeschlagen hat, geht es jetzt nach links.» Dabei sei ein «Kurs der Mitte» notwendig. Er forderte die Regierung auf, offen zu sagen, das Grün-Rot langfristig keine Haupt- und Realschulen mehr will.

Quelle/Autor: Wolf Günthner

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28. März 2012