Debatten im Landtag vom 7. und 8. März 2018

Land bekommt Antisemitismus-Beauftragten

Stuttgart. In Baden-Württemberg wird es künftig einen Antisemitismus-Beauftragten geben. Die Landesregierung habe sich auf die Einrichtung des Beauftragten geeinigt, der im Staatsministerium angesiedelt werde, kündigte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Mittwoch im Landtag an. Er werde dafür auch zeitnah einen Personalvorschlag machen. Auf Antrag der Fraktionen von Grünen, CDU, SPD und FDP diskutierte das Parlament […]

Stuttgart. In Baden-Württemberg wird es künftig einen Antisemitismus-Beauftragten geben. Die Landesregierung habe sich auf die Einrichtung des Beauftragten geeinigt, der im Staatsministerium angesiedelt werde, kündigte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Mittwoch im Landtag an. Er werde dafür auch zeitnah einen Personalvorschlag machen.
Auf Antrag der Fraktionen von Grünen, CDU, SPD und FDP diskutierte das Parlament das Thema „Antisemitismus entschlossen bekämpfen“, wobei alle vier Fraktionsvorsitzenden der AfD-Fraktion vorwarfen, sich nicht entschieden gegen den Antisemitismus zu bekennen und Abgeordnete in ihren Reihen zu dulden, die sich antisemitistisch äußern. Der Schutz der Juden und des jüdischen Lebens gehöre in Baden-Württemberg zur Staatsräson. Die Abgeordneten von Grünen, CDU, SPD und FDP stimmten für den Antrag, die AfD-Fraktion enthielt sich der Stimme.
„Wir müssen auf Antisemitismus hinweisen, vor ihm warnen und laut und sichtbar gegen ihn eintreten“, sagte Andreas Schwarz (Grüne). Für Antisemitismus dürfe es keinen Raum in Deutschland und keinen Schlussstrich geben. Er sei ein übergreifendes Phänomen und Ausdruck einer generellen menschenverachtenden Haltung. „Antisemitismus war und ist ein übergreifendes Phänomen. Es ist Ausdruck einer generellen menschenverachtenden Haltung“, urteilte Schwarz. Der Antisemitismusbeauftragte werde eine hörbare Stimme gegen jede Form von Antisemitismus sein. Er sei Anlaufstelle, koordiniere bereits vorhandene Maßnahmen, leiste Präventionsarbeit und soll jährlich einen Bericht vorlegen. Schwarz verteidigte die weitere Förderung und den Erhalt der Gedenkstätten: „Nur wer sich seiner Vergangenheit bewusst ist, kann aus ihr lernen.“ Die Erinnerungskultur werde von einem breiten bürgerschaftlichen Engagement getragen.
Antisemitismus trete verstärkt in manchen Zuwanderergruppen auf, sagte Schwarz. Es gehe aber nicht, dass die AfD den Antisemitismus-Vorwurf instrumentalisiere, um Stimmung gegen andere Bevölkerungsgruppen zu machen. Antisemitismus sei jedoch keinesfalls hauptsächlich ein Problem von Zuwanderern. Der interfraktionelle Antrag sei ohne die AfD-Fraktion eingebracht worden, da sich die AfD nicht richtig abgrenze zu antisemitischem Gedankengut. Der Landtag sende ein starkes und klares Signal aus: „In Baden-Württemberg gibt es keinen Raum für Antisemitismus.“  

Kampf gegen Antisemitismus „ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“

Deutschland wolle keine geschönte Geschichte. Antisemitisches Denken dürfe niemals eine Chance haben, egal ob von rechts oder links oder mit islamistischem Hintergrund, sagte Wolfgang Reinhart (CDU). Jede Form sei „gleich schlecht“; deshalb gebe es dafür Nulltoleranz. Wer als Ausländer nach Deutschland komme und antisemitisch auftrete, für den gebe es keinen Platz. Reinhart verurteilte auch, dass „Jude“ ungerührt als Schimpfwort auf deutschen Schulhöfen alltäglich sei: „Das geht nicht.“ Er sei dankbar für die Bereicherung des gesellschaftlichen Lebens durch die jüdischen Gemeinden. Der CDU-Politiker warf der AfD vor, ein „massives antisemitisches Problem“ zu haben. Auch deshalb müsse der Kampf gegen den Antisemitismus „ein zentrales Thema“ bleiben. Für Innenminister Thomas Strobl (CDU) ist dieser Kampf „eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“.
SPD-Fraktionschef Andreas Stoch empfand es als „keinen Freudentag im Parlament“. Mit den jüdischen Gemeinden verbinde die Sozialdemokratie der gemeinsame Kampf gegen Antisemitismus, Rechtsextremismus und Rassismus. „Wir sind dankbar, dass es trotz der Shoah, dem Massenmord an sechs Millionen Juden, wieder jüdisches Leben in Deutschland gibt“, sagte Stoch. Deshalb seien die Provokationen, Pöbeleien und Drohungen, die Juden ertragen müssten, „eine Schande für unser Land“. Er erinnerte daran, dass es in Deutschland zwischen 2001 und 2015 vier antisemitische Straftat pro Tag gegeben habe. Angriffe auf Juden seien „Angriffe auf uns alle“. Der Antisemitismusbeauftragte solle auch Maßnahmen ergreifen, um Antisemitismus in den Köpfen „vor allem junger Menschen“ zu bekämpfen. Dass antisemitische Ressentiments wieder hoffähig seien, sei auch der AfD zu verdanken, konstatierte Stoch. Jüdischen Mitbürgern gab er das Versprechen: „Sie stehen nicht alleine. Nie wieder. Nicht in diesem Land.“
Angesichts der Ermordung von sechs Millionen Juden in der NS-Zeit habe Deutschland die Verpflichtung, Menschen jüdischen Glaubens heute ihren eigenen Staat zu garantieren. Dies heiße aber nicht, dass israelische Politik nicht kritisiert werden dürfe. „Aber das Existenzrecht Israels ist nicht verhandelbar; und vor allem ist es nicht akzeptabel, Antisemitismus und Rassismus als Kritik an der israelischen Politik zu tarnen“, sagte FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. Es sei ein Alarmzeichen, dass mittlerweile jüdische Feiern abgesagt werden müssten oder nur unter Polizeischutz durchgeführt werden könnten. Da durch die Migration aus Ländern des Mittleren und Nahen Ostens sowie Nordafrikas ein starker traditioneller Antisemitismus Deutschland erreicht habe, sei rasch ein neues und wirksames Einwanderungsrecht nötig. „Wer unseren Schutz braucht, der ist willkommen. Wer sich auf unserem Arbeitsmarkt nützlich macht, der ist willkommen. Wer unsere Gesetze und auch kulturellen Gebräuche akzeptiert, der ist willkommen. Wer aber Hass, Vorurteile und Gewalttätigkeit nach Deutschland tragen will, dem müssen wir die Türe weisen und zwar mit unmissverständlicher Deutlichkeit“, machte Rülke deutlich.
Der Antrag der AfD-Fraktion, die die Mittel für die Gedenkstätte in Gurs –  den Ort, wohin die badischen Juden deportiert wurden – aus dem Haushalt herausstreichen zu wollen, bezeichnete Rülke als „armseligsten Antrag in der Geschichte dieses Landtags von Baden-Württemberg.“ Die Debatte sei notwendig, auch aufgrund der Wiederkehr des Antisemitismus in deutschen Parlamenten. Er kritisierte die AfD, gegen den Antisemitismus in der eigenen Partei nichts zu unternehmen.
„Sie wollen ein Tribunal mit der AfD-Fraktion veranstalten, wir springen aber nicht über ihr kleines Stöckchen“, wies AfD-Fraktionschef Bernd Gögel die Vorwürfe zurück. Die AfD bekenne sich rückhaltlos zur bürgerlich-freiheitlichen Rechtsordnung. Gegen Volksverhetzung gebe es Strafgesetze, die angewandt werden müssten. Und kriminelle Ausländer müssten ebenso behandelt werden. „Sie also und niemand sonst haben Terroristen, Mörder und Vergewaltiger hereingelassen, die in unserem Land jüdische Deutsche und deutsche Christen hassen und verachten“, erklärte Gögel. Die Sündenböcke für die „katastrophale Migrationspolitik“ müssten nicht bei der AfD gesucht werden. Es sei für die Juden in der Öffentlichkeit gefährlich geworden und ebenso für die christlichen Deutschen. Aber genau die Antragsteller – Gögel nannte sie „Kartellparteien“ – hätten dies in „seltener Blindheit zugelassen und im Vielfaltswahn gewollt“.

Ministerpräsident dankt den Fraktionen Grüne, CDU, SPD und FDP

Angesichts von brennenden Israel-Flaggen und Anschlägen auf jüdische Einrichtungen konstatierte Kretschmann, der „Wahnsinn des Antisemitismus“ sei längst noch nicht überwunden. Der Antisemitismus sei sogar in vielen Parlamenten angekommen, „leider auch in unserem“. Da Antisemitismus die Gesellschaft auseinandertreibe, sei er für die Initiative der vier Fraktionen dankbar, sagte der Ministerpräsident. An den Verbrechen der Nazis trage die heutige Generation keine Schuld. Aber sie trage Verantwortung, dass „sich dieses niemals wiederholt“.

Quelle/Autor: Wolf Günthner

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7. und 8. März 2018