Debatten im Landtag vom 17. und 18. Februar 2016

Landtag empfiehlt weiteren NSU-Untersuchungsausschuss

Stuttgart. In ihrer letzten Plenarsitzung haben die Abgeordneten des 15. Landtags von Baden-Württemberg die Fortsetzung des NSU-Untersuchungsausschusses empfohlen. Einstimmig votierten alle vier Fraktionen für die Empfehlung des am 5. November 2014 installierten Ausschusses. Sie beschlossen, dass sich auch der am 13. März zu wählende 16. Landtag in einer Enquete mit der Klärung der noch offenen […]

Stuttgart. In ihrer letzten Plenarsitzung haben die Abgeordneten des 15. Landtags von Baden-Württemberg die Fortsetzung des NSU-Untersuchungsausschusses empfohlen. Einstimmig votierten alle vier Fraktionen für die Empfehlung des am 5. November 2014 installierten Ausschusses.
Sie beschlossen, dass sich auch der am 13. März zu wählende 16. Landtag in einer Enquete mit der Klärung der noch offenen und neu aufgeworfenen Fragen im Zusammenhang mit dem Komplex „Rechtsterrorismus in Baden-Württemberg und Nationalsozialistischer Untergrund“ befassen soll.  Außerdem wurde die Landesregierung ersucht, eine Bundesratsinitiative zu beschließen, um in das Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes (Kontrollgremiumgesetz – PKGrG) eine Ermächtigungsgrundlage zur Übermittlung personenbezogener Daten an Untersuchungsausschüsse des Bundestags und der Landtage aufzunehmen.

Drexler zieht positive Bilanz

Der Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler (SPD) hatte zuvor eine positive Bilanz gezogen. Alle parteipolitischen Streitigkeiten seien im Sinne der Sache „hinten angestellt“ worden, lobte Drexler. Dies äußere sich auch in der vertrauensvollen Zusammenarbeit während 39 Sitzungen in zwölf Monaten, der Vernehmung von 136 Zeugen und  der Anhörung von 18 Sachverständigen sowie der Einstimmigkeit in mehr als 140 Beweissachen.  Der Landtags-Vizepräsident musste allerdings auch einräumen, dass es nicht gelungen sei, aus Zeitgründen alle offenen Fragen zu klären.
Drexler forderte, keine Form von extremistischem Gedankengut in Behörden zu verharmlosen, eine bessere Zusammenarbeit von Verfassungsschutz und Polizei, die Sicherheitsbehörden zu stärken und einen rücksichtsvollen Umgang zwischen Opfern und Behörden. Vieles habe ihn erinnert an die rechte Gewalt in den 1990er-Jahren, erklärte der SPD-Politiker. Er verwies auf die Zunahme rechtsextremistischer Straftaten auf 13 850 Straftaten im vergangenen Jahr – ein Zuwachs von 30 Prozent. „Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass so etwas in der Bundesrepublik 60 Jahre nach der NS-Zeit möglich ist“, sagte Drexler.

Kiesewetter als Zufallsopfer der Rechtsterroristen

Für den NSU-Ausschuss  steht fest, dass die im April 2007 in Heilbronn ermordete Polizistin Michele Kiesewetter ein Zufallsopfer der Rechtsterroristen war. Das Gremium habe keine Anhaltspunkte dafür gefunden, dass Kiesewetter und ihr schwer verletzter Streifenpartner gezielt als Anschlagsopfer ausgesucht worden seien. Es gebe auch keine begründeten Zweifel daran, dass die NSU-Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die Täter gewesen seien. Obwohl konkrete Beweise fehlen, schließt das Gremium weitere Täter nicht aus. Das Motiv für den Anschlag sei unklar; möglicherweise komme Hass auf die Staatsmacht in Frage. Unklar ist auch, weshalb die Heilbronner Theresienwiese als Tatort ausgesucht worden war.
Die Ausschuss-Obmänner der vier Fraktionen würdigten ebenfalls die kollegiale und effektive Ausschussarbeit. Matthias Pröfrock (CDU) sagte, die Morde und Verbrechen des NSU hätten das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden erschüttert. Dies sei ein Anschlag auf die Demokratie und den Rechtsstaat gewesen. „Aber Demokraten stehen zusammen, wenn es darauf ankommt“, konstatierte Pröfrock unter dem Beifall des Parlaments. Jede Art von Extremismus, auch von Links oder aus religiösen Gründen, stelle eine Gefahr für die Demokratie dar. „Wir müssen Extremisten und Terroristen die Stirn bieten“, forderte der CDU-Abgeordnete. Aus Sicht von Pröfrock habe die Ausschussarbeit gezeigt, dass es keine Hinweise auf Verbindungen der ermordeten Polizistin in rechtsextremistische Kreise gebe. Außerdem seien Rassismus-Vorwürfe gegen die Ermittler in Baden-Württemberg haltlos.

FDP: Hätten uns breiteren Ansatz gewünscht

Jürgen Filius (Grüne) äußerte Mitgefühl mit den Angehörigen der Opfer. Es gebe „keine vernünftigen Zweifel an der Täterschaft“. Nicht nachvollziehen kann der Grünen-Obmann, dass zwei Polizisten Mitglied des rassistischen Ku-Klux-Klan (KKK) im Raum Schwäbisch Hall waren und die Disziplinarmaßnahmen nicht strenger ausgefallen seien. Fehler bei der Polizei dürften nicht unter den Teppich gekehrt werden, der Umgang mit Fehlern müsse verbessert werden. „Manche Beamten waren auf dem rechten Auge blind“, sagte Filius und forderte: „Die Verharmlosung von rechtem Gedankengut muss aufhören.“  
Polizisten in der verbrecherischen Organisation Ku-Klux-Klan seien nicht hinnehmbar, sagte Nikolaos Sakellariou (SPD). Die beiden Polizisten seien aber Ausnahmen. Der Ausschuss habe auch mit Mythen und Theorien aufgeräumt. Der NSU sei für die Taten verantwortlich, die Polizistin Kiesewetter ein Zufallsopfer; sie habe keine Kontakte in die rechte Szene gehabt. Als positiv bewertete Sakellariou, dass der Bericht des Ausschusses öffentlich sei und nun für jedermann einsehbar ist.
Die FDP machte einen Wermutstropfen geltend. „Wir hätten uns einen breiteren Ansatz gewünscht“, stellte Ulrich Goll fest. Denn jede Form des Extremismus sei falsch und verwerflich. Der Liberale erinnerte an die links orientierte RAF, die einst „eine Blutspur durch die ganze Republik gezogen“ habe. Goll ging auch auf den Fall des Neonazi Florian H. ein, der im Herbst 2013 tot in einem brennenden Wagen in Stuttgart gefunden worden war. Er soll behauptet haben, Kiesewetters Mörder zu kennen, was der Ausschuss bezweifelt. Es gebe keine Fakten dafür, sagte Goll. Auch für Spekulationen, der junge Mann könnte ermordet worden sein, sieht der Ausschuss keine Anhaltspunkte. Allerdings seien die Ermittlungen der Polizei Stuttgart in dem Fall grob mangelhaft gewesen.

Quelle/Autor: Wolf Günthner

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