Debatten im Landtag vom 19. und 20. Dezember 2018

Landtag lehnt gegen Stimmen der SPD Gründung des Stadtkreises Reutlingen ab

Stuttgart. Die Stadt Reutlingen wird kein Stadtkreis und bleibt damit Große Kreisstadt. Die Fraktionen von Grünen, CDU und FDP lehnten den im Juli 2015  gestellten Antrag  ab. Die 116 000 Einwohner zählenden Großstadt hatte die Gründung eines eigenen Stadtkreises nach Paragraf 3 der Gemeindeordnung beantragt. Die SPD-Fraktion stimmte für den Stadtkreis, die Abgeordneten der AfD-Fraktion […]

Stuttgart. Die Stadt Reutlingen wird kein Stadtkreis und bleibt damit Große Kreisstadt. Die Fraktionen von Grünen, CDU und FDP lehnten den im Juli 2015  gestellten Antrag  ab. Die 116 000 Einwohner zählenden Großstadt hatte die Gründung eines eigenen Stadtkreises nach Paragraf 3 der Gemeindeordnung beantragt. Die SPD-Fraktion stimmte für den Stadtkreis, die Abgeordneten der AfD-Fraktion enthielten sich der Stimme. Damit bleibt Reutlingen weiterhin im Landkreis Reutlingen; der Landkreis hatte im Januar 2016 den Antrag auf Stadtkreis-Gründung abgelehnt.
In ihrem gemeinsamen Antrag kamen Grüne und CDU zu der Feststellung, dass nach umfassender Abwägung aller für und gegen eine Gebietsänderung sprechenden entscheidungserheblichen Aspekte keine überwiegenden Gründe des öffentlichen Wohls dafür sprechen, die Stadt Reutlingen zum Stadtkreis zu erklären. Nach Auffassung der Regierungsfraktionen hat sich die Gebietsreform von 1973 bewährt. Sie sehen aktuell keinen Änderungsbedarf im Hinblick auf Zuschnitt und Größe der Gemeinden und Landkreise in Baden-Württemberg.  Grüne und CDU empfehlen, dass die Große Kreisstadt Reutlingen und der Landkreis im Rahmen eines moderierten Dialogs klären, ob und welche Zuständigkeiten in eigener Verantwortung an die Stadt übertragen werden können.
„Die Strukturen des Landes haben sich bewährt“, sagte Innenminister Thomas Strobl (CDU). Man habe sich die Entscheidung über den ersten Antrag dieser Art in der Geschichte des Landes nicht leicht gemacht, wobei die Landesregierung keine abschließende Bewertung vorzunehmen habe. Dieses Recht obliege dem Landtag. Bei einer Gründung eines Stadtkreises müssten die Interessen der Allgemeinheit überwiegen. Reutlingen sei zwar eine selbstbewusste Großstadt mit beachtlichen Angeboten, doch Reutlingen stehe nicht für sich allein, sondern sei seit der Landesgründung Teil des Landkreises, erklärte Strobl.

Vorschlag zu mehr Zusammenarbeit zwischen Stadt und Kreis

Der Antrag Reutlingens genieße bei den Grünen Sympathie, sagte Hans-Ulrich Sckerl (Grüne), zumal die Stadt auch als Stadtkreis ihre Aufgaben „aus eigener wirtschaftlicher Kraft bewältigen“ könnte. Nach dem „umfassenden Abwägungsprozess“ kamen die Grünen – im Gegensatz zur CDU – zu dem Schluss, dass beide Positionen, die der Stadt und des Landkreises, vertretbar seien. Sckerl sprach sich deshalb für eine Evaluation der Kommunalreform von 1973 aus. Die nächste Landesregierung solle den Gebietszuschnitt in Baden-Württemberg prüfen. Bis dahin setzen die Grünen auf eine „interkommunale Zusammenarbeit“ zwischen der Stadt und dem Landkreis Reutlingen. Diese war bisher, so war im Landtag zu hören, vom Landkreis abgelehnt worden. Thomas Poreski (Grüne) beschrieb das Grünen-Fazit: Ein Stadtkreis wäre möglich, aber rechtlich nicht zwingend. Und die CDU sei dagegen. 
Die CDU wolle das Bestehende stärke, erklärte Ulrich Hockenberger (CDU). Seine Fraktion habe das Ganze im Blick. Er erinnerte an Gründe des öffentlichen Wohls (Gemeinwohlbelange) als verfassungsrechtliche Vorgaben für Gebietsänderungen. Dazu zähle zum Beispiel das Steigern der Leistungsfähigkeit von Kommunen, die Effizienz der Aufgabenwahrnehmung und das Sichern der Solidität kommunaler Haushalte. Die Gründe für einen Stadtkreis müssten ein Festhalten am Status Quo überwiegen. „Nach unserer Auffassung ist gerade dieses Überwiegen im Verfahren nicht so zweifelsfrei und unwidersprochen vorgetragen worden, dass wir davon überzeugt werden konnten“, berichtete Hockenberger. Sein CDU-Kollege Karl Klein, ebenfalls ein ehemaliger Bürgermeister, sagte, die Entscheidung über den Antrag Reutlingens stehe nicht dem Gemeinderat und dem Innenministerium zu, sondern allein dem Parlament. Er sprach sich für eine bessere Zusammenarbeit zwischen Stadt und Landkreis aus.
Gegen die Auskreisung sprach sich Hans-Peter Stauch (AfD) aus. Allerdings betonte der in Reutlingen geborene und dort wohnende Abgeordnete, dies sei seine persönliche Meinung. Nachdem er zu Bauten und Infrastruktur in seiner Heimatstadt Stellung genommen hatte, sagte er, die AfD stehe für direkte Demokratie; den Bürgern müssten Referenden zugestanden werden. Im Zuge der Kommunalwahl am 26. Mai 2019 sei ein Bürgervotum möglich. Auch Stauch plädierte für eine einvernehmliche Lösung und eine Kooperation von Stadt und Landkreis.

SPD stellt sich hinter den Antrag von Reutlingen

Seine Fraktion unterstütze den Antrag der Stadt Reutlingen, sagte Rainer Stickelberger (SPD).  Die „Lyrik“ der Sprecher der Regierungskoalition könne nur mühsam überdecken, dass die Koalition „gespalten ist“. Auch der Beschlussantrag gehe über die „Qualität eines Vorworts“ nicht hinaus. Das Verfahren habe sich „unzumutbar lange hingezogen“, der Innenminister sei völlig auf Tauchstation gegangen und habe sich hinter den Regierungsfraktionen versteckt. Die CDU erwiderte, in der Vorgängerregierung habe SPD-Innenminister Reinhold Gall den Antrag Reutlingens zehn Monate lang liegen lassen. Der Innenminister hätte ja einen Gesetzentwurf in den Landtag einbringen können, bemerkte Karl Klein süffisant. Stickelberger kritisierte auch, dass Reutlingens Oberbürgermeisterin Barbara Bosch, die während der Debatte auf der Zuhörertribüne saß, aus den Medien die Regierungsposition erfahren habe. Den Beschluss von Grünen und CDU bezeichnete der frühere Justizminister als „nichtssagend, oberflächlich und wachsweich“. Eine Würdigung aller Umstände sei nicht erfolgt. Dürftiger gehe es nicht, vor Gericht „werden Sie auf die Nase fallen“. Grün-Schwarz schiebe den Schwarzen Peter wieder auf Stadt und Landkreis.
Unterstützung für die Regierungsfraktionen kam dagegen von der FDP. Die Liberalen hätten gründlich und lange diskutiert, berichtete Ulrich Goll. Der Fall Reutlingen sei „ganz schwer“ zu entscheiden gewesen. Der Antrag der Stadt sei gut begründet und in sich schlüssig. Im Zuge der Gebietsreform 1973 hätte man dies so machen können – Anm.: allerdings hatte Reutlingen damals noch keine 100 000 Einwohner – aber gleichzeitig den Kreiszuschnitt von Reutlingen anders gestalten müssen. Nach Ansicht von Goll gibt es Perspektiven, wie man die Sache lösen kann: Vom Druck, der von der vom Landtag geforderten besseren Kooperation zwischen Stadt und Land ausgeht, könne man sich einiges erhoffen.

Quelle/Autor: Wolf Günthner

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