Debatten im Landtag vom 26. und 27. Juni 2019

Opposition sieht Koalition als zerstritten und entscheidungsschwach, Koalition lobt Erfolge auf Zukunftsfeldern

Stuttgart. Die Opposition kritisierte die Landesregierung am Mittwoch in der aktuellen Debatte „Grün-Schwarz kämpft mit sich selbst und verschläft die Zukunft des Landes“ als zerstritten und entscheidungsschwach. Redner der Regierungsfraktionen und Innenminister Strobl priesen dagegen Erfolge auf wichtigen Zukunftsfeldern wie Mobilität und Digitalisierung. Innenminister Thomas Strobl (CDU) wies darauf hin, das Thema der von der […]

Stuttgart. Die Opposition kritisierte die Landesregierung am Mittwoch in der aktuellen Debatte „Grün-Schwarz kämpft mit sich selbst und verschläft die Zukunft des Landes“ als zerstritten und entscheidungsschwach. Redner der Regierungsfraktionen und Innenminister Strobl priesen dagegen Erfolge auf wichtigen Zukunftsfeldern wie Mobilität und Digitalisierung.
Innenminister Thomas Strobl (CDU) wies darauf hin, das Thema der von der FDP beantragten aktuellen Debatte sei fast wortgleich mit demjenigen von Mitte Mai. Damals habe Ministerpräsident Kretschmann bereits eine umfassende Arbeitsbilanz der Regierung gezogen, deshalb wolle er nun nur einige wenige Themen ansprechen.Gerne ergreife er die Gelegenheit, zu schildern, wie diese Landesregierung die Zukunft unserer Heimat kraftvoll gestalte.
Beispielsweise beim Thema Digitale Infrastruktur. „Wir haben 500000 Haushalte an das schnelle Internet bekommen“, sagte Strobl. Jedes Jahr gebe das Land dafür 100 Millionen Euro an die Kommunen. Die Digitalisierungsstrategie suche bundesweit ihresgleichen. 70 konkrete Projekte würden vorangetrieben, das CYber-Valley „ist ein enorm schlagkräftiger Forschungsverbund“ und mache Baden-Württemberg im Feld der KI-Spitzenforschung international sichtbar. Das sei ein entscheidendes Zukunftsthema, bei dem Baden-Württemberg weltweit unter den Top Ten sei, beim maschinellen Lernen habe Baden-Württemberg, sei vermutlich sogar Nummer eins in Europa. Die Cyberwehr sei „bundesweit und wahrscheinlich sogar europaweit einmalig“ und helfe gerade auch kleinen und mittleren Unternehmen, also dem Mittelstand.
Mit der „größten Einstellungsoffensive, die es bei der baden-württembergischen Polizei jemals gegeben hat“, so Strobl, habe man die Polizei gestärkt. Baden-Württemberg sei bundesweit das erste Bundesland, das flächendeckend seine Streifenpolizisten mit Body-Cams ausgestattet habe. Stellen in der Justiz seien geschaffen worden, in der Bildungspolitik wieder Ruhe eingekehrt. „Jetzt geht es endlich um Qualität, und nicht mehr um Strukturen.“
Die Koalition arbeite gemeinsam mit der Industrie an der Mobilität der Zukunft und stärke den Automobilstandort. Gerade am Vortag habe das Kabinett 26 Millionen Euro für zwei Projekte bewilligt, eines für eine Forschungsfabrik für Brennstoffzellen und Wasserstoff. „Wir reden nicht, sondern wir handeln ganz konkret“ so resümierte Strobl.

FDP kritisiert vor allem Bildungsministerin und Innenminister

FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke vermisste zu Anfang der Debatte die „neue Königin der CDU“ im Landtag, Kultusministerin Susanne Eisenmann, die den innerparteilichen Konkurrenzkampf um die Spitzenkandidatur bei der Landtagswahl 2012 gewonnen habe. Dabei liege gerade im Bereich der Bildung viel im Argen in Baden-Württemberg. Wo Verbesserungen nötig seien, sei sich diese Koalition nicht einig. Das sehe man etwa am Streit um die Zukunft der Ganztagsschule. Die Grünen wollten dort weiter eine „ideologisch geprägte Taktung“, die FDP wie offensichtlich auch die CDU „mehr Flexibilität und Offenheit“. Doch das könne die Kultusministerin gegen die Grünen nicht durchsetzen.
Beim Bürokratieabbau komme nichts voran, das Bildungszeitgesetz sei, anders als im Koalitionsvertrag geplant, nicht evaluiert worden. Die Digitalpolitik, so kritisierte Rülke den dafür zuständigen Innen- und Digitalisierungsminister und Vizeregierungschef Strobl (CDU), „beschränkt sich auf die Vergabe von Förderbescheiden“.
In der Energiepolitik seien die tollsten Versprechungen gemacht worden, etwa 10 Prozent mehr Bruttostromerzeugung aus Windkraft als Ziel ausgegeben worden. Erreicht worden seien aber nur 3,7 Prozent, also nur gut ein Drittel. Bei der CO2-Einsparung hätten die Grünen als selbsternannte „Dekarbonisierungspartei“ 2013 eine Reduktion um 25 Prozent bis 2020 angestrebt, erreicht worden sei nicht einmal die Hälfte. Diese Regierung sei eine „der lahmen Hand und der eingeschlafenen Füße“, so Rülke abschließend.
Zwei Gemeinsamkeiten zeichneten die Koalitionspartner aus, sagte Andrea Lindlohr (Grüne): „Wir sind erfahren und wir haben einen langen Atem.“ Die öffentlichen Haushalte seien gut aufgestellt, die Schuldenbremse werde eingehalten. Das sei „eine Klammer über alle unsere Politik“. Ein Beispiel für die gute Zusammenarbeit im Land biete die Koalition auch heute. Gerade habe ein Vorredner der CDU bekräftige, zum Ausstieg aus der Atomkraft zu stehen, wohingegen im Bund die CDU-Mittelstandsvereinigung das wieder in Frage stelle.
Grün-schwarz „bringe Innovation voran“, sagte Lindlohr. So etwa beim Klimaschutz, diesem „großen Zukunftsthema“, das die Jugend zurecht umtreibe. Energieeffizienz sei zentral, auch für eine „CO2-neutralen, klimafreundliche Moblität“.  Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner habe kürzlich  die Jugend „hocharrogant“ und zudem „schlechtinformiert“ abgebügelt, das solle sie Profis überlassen. Und dies, obwohl die Jugendlichen auf wissenschaftliche Studien verwiesen und nur forderten, diese auch politisch umzusetzen. Dagegen sei „die FDP wie aus der Zeit gefallen, und das spüren sie auch“.
Winfried Mack (CDU) meinte, es gelte jetzt, Baden-Württemberg „wetterfest zu machen“. Zwar seien im Land in den vergangenen Jahren 100 000 neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstanden und würden rund fünf Prozent des Bruttosozialprodukts für Forschung und Entwicklung im Haushalt aufgewendet, denn dies sei „Saatgut für die Wirtschaft in der Zukunft“. Doch seien weitere Anstrengungen nötig, die das Land auch unternehme. So etwa im Bereich der Künstlichen Intelligenz, der Fotonik, mit einer Landesstrategie Bioökonomie und der Batterietechnologie.Angesichts der steigenden Bevölkerungszahl sei brauche man „eine strategische Landesentwicklung“. Dazu gehöre ein „kraftvoller Ausbau der Verkehrsinfrastruktur“. Alle Bundesstraßenmittel, die Baden-Württemberg bekommen könne, sollten jetzt auch verplant und verbaut werden.

SPD-Abgeordneter hält Regierung für „entscheidungsfaul“ wie keine zuvor 

„Gegenseitige Blockaden von zum Teil wichtigen Projekten“ sieht dagegen Carola Wolle (AfD) im Wirken der Koalition. Die CDU selbst habe 17 Punkte in einem Geheimpapier aufgelistet, bei denen es keine Einigkeit in der Koalition gebe. Beim Fahrverbot für Dieselautos habe es „halbherzige Rückzugsgefechte der CDU“ gegeben; durchgesetzt in der Sache hätten sich die Grünen.
Die notwendige Aufstockung der Polizei komme auch nicht so voran, wie es Innenminister Strobl wolle. Von einer Umsetzung des Gesetzes zur Ausreisepflicht könne keine Rede sein, hier gelte vielmehr das grüne Motto: „Kommen kann jeder, gehen muss keiner“, so sagte Wolle. „Die CDU schaut hilflos zu.“ Hier wie in vielen Politikfeldern, etwa dem Wohnbau, der Bildung, der Zuwanderung fungiere die CDU als „Steigbügelhalter“ grüner Vorstellungen. Doch das würden der Wähler der CDU nicht danken; diese werde vielmehr den Weg der SPD gehen.
Sascha Binder (SPD) meinte, von einer Regierung dürfe man zumindest das Abarbeiten der eigenen Agenda erwarten. Doch bei Grün-Schwarz geschehe da wenig: Ganztagsschule, Schulleiterstellen, Fahrverbote – lauter ungelöste Konfliktfelder der Koalition. Bei der Landesbauordnung habe man nach drei Jahren immerhin endlich eine Einigung erzielt, der Kommunalfonds, der den Wohnbau ankurbeln solle, sei aber noch ohne Konzept. Der Innenminister habe ein Polizeigesetz angekündigt; das aber fehle noch immer.
„So entscheidungsfaul wie diese Landesregierung gab es selten eine in Baden-Württemberg“ bilanzierte Binder. Angesichts der internen Streitigkeiten und „Sandkastenspiele“ der Landesregierung und Koalition wäre es gut gewesen, so Binder, die Koalition hätte wie die Große Koalition im Bund, „auch eine Revisionsklausel in ihrem Koalitionsvertrag“.

Quelle/Autor: Christoph Müller

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