Debatten im Landtag vom 24. Oktober 2018

Streit über den Fortschritt der Digitalisierung im Gesundheitswesen

Stuttgart. Über den Fortschritt der Digitalisierung im Gesundheitswesen in Baden-Württemberg ist es im Landtag zum Streit zwischen den Regierungsfraktionen und der Opposition gekommen. Während Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) und Innenminister Thomas Strobl (CDU) sowie Abgeordnete von Grünen und CDU die Fortschritte lobten, anerkannten AfD, SPD und FDP zwar Neuerungen, kritisierten aber auch Versäumnisse der Landesregierung. […]

Stuttgart. Über den Fortschritt der Digitalisierung im Gesundheitswesen in Baden-Württemberg ist es im Landtag zum Streit zwischen den Regierungsfraktionen und der Opposition gekommen. Während Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) und Innenminister Thomas Strobl (CDU) sowie Abgeordnete von Grünen und CDU die Fortschritte lobten, anerkannten AfD, SPD und FDP zwar Neuerungen, kritisierten aber auch Versäumnisse der Landesregierung.
„Unsere Politik wirkt“, sagte Lucha in der von den Grünen beantragten Aktuellen Debatte „E-Health und Empathie: Digitalisierung im baden-württembergischen Gesundheitswesen“, und nannte als Beispiel  eine Millionen-Investition des Schweizer Pharmakonzerns Roche in Mannheim, die 500 neue Arbeitsplätze schaffe. Strobl hob den „Hochtechnologiestandort“ und „traditionell starken Gesundheitsstandort“ Baden-Württemberg hervor.
Beide Minister gingen auch auf konkrete Neuerungen ein. Der Südwesten sei „voranmarschiert“ und habe als erstes Bundesland das Fernbehandlungsverbot aufgehoben und wolle bis 2021 auch zur elektronischen Gesundheitskarte und Patientenakte sowie zum elektronischen Rezept eine Lösung erreichen, sagte Lucha. Der im Sozialministerium eingerichtete Beirat für Digitalisierung in Medizin und Pflege soll Prozesse auswählen und steuern, damit das „Modellhafte Erproben“ in eine Regelversorgung überführt werden könnten. Alle Uni-Kliniken seien vernetzt, an der Uni Tübingen und der Oberschwabenklinik Ravensburg würden telemedizinische Projekte laufen, berichtete Lucha.

Strobl sieht große Chancen durch künstliche Intelligenz

Für Strobl ist das schnelle Internet in der Fläche „die Grundvoraussetzung für alle Digitalisierungsaktivitäten“; dort sei das Land „ganz gut unterwegs“. Der Innenminister ging auch auf die Schlüsseltechnologie Künstliche Intelligenz ein; am Beispiel von Forschern am KIT Karlsruhe sowie einem Unternehmen in Tuttlingen, das Technik für ferngesteuerte Operationen herstellt, sieht Strobl „gigantische Chancen, die unser Gesundheitswesen revolutionieren werden“.
Auch Petra Krebs (Grüne) sieht im digitalen Wandel im Gesundheitswesen „sehr große Chancen“. Die Gesundheitskarte müsse „nun endlich“ zum Einsatz kommen. Neue Info-Technologien würden der Gesundheitsversorgung völlig neue Möglichkeiten eröffnen. Die Menschen müssten natürlich immer die Hoheit über ihre eigenen Daten behalten: „Datenschutz ist etwas extrem Wichtiges.“ Krebs sagte, die Grünen würden die Chancen, aber auch die Risiken von digitalen Entwicklungen „realistisch einschätzen“. Nach dem von der Kassenärztlichen Vereinigung etablierten Telemedizinprojekt müsse der nächste logische Schritt die Erprobung des elektronischen Rezepts für gesetzlich Versicherte sein.
Stefan Teufel (CDU) ist davon überzeugt, dass die Telemedizin künftig „eine tragende Rolle“ im gesundheitlichen Versorgungssystem haben wird. Dadurch sei eine bessere, effizientere Versorgung von Patienten möglich. „Der Landarzt der Zukunft ist mobil und digital“, stellte er fest. Für die CDU sei wichtig, medizinische Forschung und Patientenversorgung zusammenzubringen. Außerdem müsse der Patient „weiterhin Herr seiner Daten sein“. Das Projekt „GERDA – Geschützter E-Rezept-Dienst der Apotheken“ sei ein Leuchtturmprojekt und wichtiger Baustein für die Fortentwicklung von „docdirekt“. Von einer telemedizinischen Regelversorgung sei das Land jedoch noch weit entfernt, räumte Teufel ein. Wichtig seien der CDU, eine zentral gesteuerte E-Health-Aufklärungskampagne, ein effizienter Datenschutz, vernetzbare zentrale elektronische Gesundheitsakten und ein leichterer Zugang zu digitalen Gesundheitsinnovationen.

Baum: Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt stellen

„Fortschritt ohne Entmenschlichung“ hieß die Mahnung von Christina Baum (AfD) zur Digitalisierung im Gesundheitswesen. Die Bedürfnisse der Menschen müssten im Mittelpunkt stehen, Entscheidungen dürften nicht über die Köpfe der Menschen hinweg getroffen werden. Vermieden werden müsste ferner Bürokratie. Schon heute seien Ärzte mit einer Vielzahl von Vorschriften und Dokumentationspflichten bis an die Grenze des Machbaren konfrontiert, sagte die Zahnärztin. Baum warf den Grünen vor, die Debatte habe das Ziel, die medizinische Unterversorgung im ländlichen Raum zu kompensieren.  Digitale Medien könnten niemals den persönlichen Kontakt mit dem Arzt ersetzen, Gerätemedizin sei immer nur eine Ergänzung. „Jeder muss auch weiterhin einen Anspruch auf den Besuch eines Arztes haben“, forderte die AfD-Abgeordnete.
Rainer Hinderer (SPD) reklamierte, nicht die Landesregierung habe das Fernbehandlungsverbot aufgehoben, sondern Landesärztekammer und Kassenärztliche Vereinigung. Auch bei der elektronischen Patientenakte hätten Krankenkassen, DocDirekt, Kassenärzte und Ärztekammer eine Vorreiterrolle. Beim E-Rezept würde die Landesapothekenkammer wichtige Schritte einleiten. Von der Landesregierung höre man nicht viel, wie sie die bestehenden Insellösungen im Bereich der Digitalisierung zusammenbringen möchte. „Wir erleben einen schleppenden Ausbau des Breitbandinternets“, kritisierte Hinderer. Auch die Krankenhäuser müssten besser ausgestattet werden. Die Spitzenposition bei E-Health verdanke Baden-Württemberg nicht seiner Regierung, sondern den Spitzenforschern an den Unis, den Ärzte- und Apothekenkammern und den Krankenkassen. „Sie schmücken sich mit fremden Federn.“
Als größter Pharma- und Medizintechnikstandort und zweitgrößter Biotechnologiestandort habe Baden-Württemberg bei der Digitalisierung eine Verantwortung, mahnte Jochen Haußmann (FDP). Die Zeit sei reif, um aus Modellprojekten endlich in die Regelversorgung überzugehen. Allein auf die Digitalisierung zu setzen, um die Gesundheitsversorgung der Menschen zu sichern, sei nicht ausreichend; dafür seien bessere Bedingungen für die Ärzte und Pflegekräfte notwendig.  Bei der momentanen Breitbandversorgung im Land funktioniere zwar „docdirekt“ über das Telefon, nicht aber Televisiten oder anderes übers Internet. „Was haben die Grünen in diesem Bereich in den vergangenen sieben Jahren getan?“, fragte der Liberale.

Quelle/Autor: Wolf Günthner

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24. Oktober 2018