Debatten im Landtag vom 11. und 12. April 2018

Ziele der Wasserrahmenrichtlinie bis 2027 nicht erreichbar

Stuttgart. Die Umsetzung der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) wird bis 2027 nicht gelingen. „Wir haben schon vieles erreicht und sind auf einem guten Weg. Aber zur Ehrlichkeit gehört auch, dass wir mehr Zeit brauchen“, sagte Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) am Donnerstag in seiner Stellungnahme zur Wasserrahmenrichtlinie im Landtag. Das gehe auch allen anderen Bundesländern und allen […]

Stuttgart. Die Umsetzung der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) wird bis 2027 nicht gelingen. „Wir haben schon vieles erreicht und sind auf einem guten Weg. Aber zur Ehrlichkeit gehört auch, dass wir mehr Zeit brauchen“, sagte Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) am Donnerstag in seiner Stellungnahme zur Wasserrahmenrichtlinie im Landtag. Das gehe auch allen anderen Bundesländern und allen anderen Mitgliedsstaaten der EU so, urteilte er. Es werde deshalb nicht reichen, bis 2027 die WRRL umzusetzen, insbesondere was das Thema Durchgängigkeit der Fließgewässer betreffe. Untersteller prognostizierte, dass dafür noch etliche Jahre ins Land gehen werden.

Seit dem 22. Dezember 2000 besitzt die EU mit der WRRL ein einheitliches Wasserrecht. Da Flüsse nicht an Staatsgrenzen enden und viele Probleme nur grenzüberschreitend gelöst werden können, betrachtet die WRRL Gewässer flussgebietsbezogen – also von der Quelle bis zur Mündung. Mit der WRRL soll ein guter Zustand der europäischen Gewässer erreicht und die ökologische Funktionsfähigkeit der Gewässer wiederhergestellt werden. Baden-Württemberg ist in sechs Bearbeitungsgebiete aufgeteilt, für die – unter Einbezug der Öffentlichkeit – Bewirtschaftungspläne und Maßnahmenprogramme aufgestellt werden. Diese werden alle sechs Jahre aktualisiert.

Das Land befinde sich in der Mitte des zweiten Zyklus und damit mitten in der Umsetzung, berichtete der Umweltminister. Handlungsfelder seien die Reduzierung der Nährstoffeinträge aus der Landwirtschaft und aus den Kläranlagen, die Durchgängigkeit der Gewässer im Land, das Thema Mindestwasser und sowie das Thema Renaturierungen. Gleichzeitig würden neue Konzeptionen erarbeitet. Als bisherige Gewinnerprojekte nannte er die Renaturierungen an der Brenz, der Murg und der Rems; dort seien auch neue Naherholungsgebiete entstanden und die Flüsse wieder in einen naturnahen Zustand gekommen

Sieben Prozent der Gewässer in gutem Zustand, 58 Prozent in mäßigem Zustand

Untersteller berichtete, nach dem bundesweiten Vergleich von 2016 seien 7 Prozent der Seen und Fließgewässer im Südwesten in einem guten ökologischen Zustand; 58 Prozent in einem mäßigen Zustand, in dem fünfstufigen System nur eine Stufe von gut entfernt. „Das bietet eine gute Perspektive, die beste Kategorie zu erreichen“, sagte der Minister. Lediglich 1,6 Prozent befänden sich in einem schlechten Zustand, bundesweit seien dies 19,6 Prozent. Eine „Erfolgsgeschichte“ sei auch der Grundwasserschutz, wo nach Jahrzehnten mit der Schutzgebiets- und Ausgleichsverordnung, mit dem Agrarumweltprogramm FAKT, aber auch mit MEKA 91 Prozent der Landesfläche in einem guten Zustand seien.

Bernd Murschel (Grüne) bezeichnete die WRRL als eines der größten und umfangreichsten Programme der EU. Ursprünglich habe man gedacht, bis 2015 alle Gewässer in Europa in einen guten Zustand zu bringen. „Davon sind wir jedoch alle noch meilenweit entfernt“, stellte er fest. Jetzt stünde sogar ab 2027 eine dritte Bewirtschaftungsphase im Raum. Im Rahmen der WRRL müssten in Baden-Württemberg verschiedene Flussgebietseinheiten und zahlreiche Teilgebiete, See- und Flusswasserkörper und 23 Grundwasserkörper berücksichtigt werden. Murschels Fazit: Der gute Zustand werde auch 2027 nicht erreicht, weder in Deutschland, noch in Baden-Württemberg. Gründe seien die hohe Bevölkerungsdichte und spezielle Strukturen; der Ansporn sei jedoch größer als in anderen EU-Staaten. „Wir brauchen eine Novellierung der gemeinsamen Agrarpolitik“, forderte der Diplom-Agraringenieur. Mit Fokus auf Umwelt, Boden- und Wasserschutz. Bei Abwassertechnik und Kläranlagen müsste eine neue Schwerpunkttechnologie entwickelt und umgesetzt werden. Und Flüsse und Seen müssten besser vor dem Eintrag gefährlicher Stoffe geschützt werden.

Wasserrahmenrichtlinie steht im Gegensatz zur Nutzung der Wasserkraft

Ein guter Weg sehe anders aus, beurteilte Raimund Haser (CDU) die Wahrscheinlichkeit, dass auch 2027 rund 80 Prozent der Oberflächengewässer in keinem guten Zustand sein werden. Dies liege auch an der WRRL selbst, denn sobald aus nur eine der vier Kriterien nicht erfüllt sei, sei das Wasser insgesamt nicht „gut“. Da müsse differenziert werden, forderte er. Neuere Phänomene und andere biologische Qualitätskomponenten müssten besser berücksichtigt werden; denn es gehe nicht nur um den Eintrag von Schadstoffen aus Industrieanlagen oder der Landwirtschaft, sondern auch um Rückstände von Medikamenten oder um Kleinplastik, die auch die Seen und Flüsse belasten. Der Allgäuer CDU-Politiker legte noch einen weiteren Finger in die Wunde. Die Durchgängigkeit der Flüsse sei „ein hehres Ziel“, das aber konträr zu anderen Zielen der Umweltpolitik gehe, konkret zu Belangen der Wasserkraft und der Kleinen Wasserkraft. Was sei mit den 1100 kleinen Wasserkraftanlagen, die eine lange Tradition hätten, aber höchstens 50 kW leisten.

„Es darf nicht sein, dass wir auf die nachhaltigste und auf lange Sicht wirtschaftlichste, billigste, leiseste, schadstoffärmste und auch nachts nutzbare Energiequelle verzichten, nur weil wir davon ausgehen, dass andernfalls vielleicht die Fischpopulation steigt“, konstatierte Haser. Deswegen plädiere die CDU-Fraktion für ein gesundes Maß zwischen der ökologischen Durchgängigkeit und den Interessen der Wasserkraft. Ökologischer Fortschritt gelinge nur mit den Wasserkraftbetreibern.

Das Ziel „überall gutes Wasser in Europa“ sei positiv, urteilte Klaus-Günther Voigtmann (AfD). Das Umweltministerium habe mit der WRRL zur Verbesserung der Gewässerstrukturen beigetragen, in dem Investitionen der Kommunen bis zu 85 Prozent bezuschusst würden. Die Nitrate im Grundwasser müssten jedoch noch gesenkt werden. In mehr als 60 Prozent der Anlagen zur Trinkwassergewinnen seien inzwischen Spuren von Pflanzenschutzmitteln nachweisbar. Er kritisierte, dass die Kommunen zu teuren Nachrüstungen ihrer Kläranlagen gezwungen werden. Landwirte müssten weitere Ausgaben durch zunehmende Bürokratie, Auflagen und Ausgaben schultern.

FDP: EU hat Anforderungen nachträglich erhöht

Die WRRL zeige, dass es leichter ist, Ziele zu formulieren, als sie dann zu erreichen, sagte Gabi Rolland (SPD). Dennoch anerkannte sie, dass in Baden-Württemberg viel auf den Weg gebracht worden ist. Dennoch habe die Umsetzung „noch Potenzial nach oben“. Geld sei vorhanden und es sei gut, dass die Kommunen Zuschüsse bekommen, um Schadstoffeinträge zu reduzieren und Renaturierungen vorzunehmen. Allerdings dürften diese Gewässer dann nicht zum Freizeitpark verkommen. Rolland sagte, breitere und strenger geschützte Gewässerrandstreifen seien ebenfalls ein Schritt in die richtige Richtung. Auch die Menge der ausgebrachten Pestizide steige. Strengere Grenzwerte würden weder die Luft, noch die Einstufung der Gewässer verbessern, urteilte die SPD-Abgeordnete. Sie wies auch auf die Belastungen von Fischen und Muscheln durch Quecksilber hin; die Quecksilber-Grenzwerte seien am schwierigsten einzuhalten. Auch Rolland ist davon überzeugt, dass die Zeit bis 2027 nicht ausreichen wird, um einen guten Zustand der Gewässer im Südwesten zu erreichen.

Die EU habe die Anforderungen an die WRRL nachträglich immer weiter erhöht, aber den Zeitraum für die Zielerreichung nicht verändert, stellte Gabriele Reich-Gutjahr (FDP) fest. Der Stand der Umsetzung biete noch keinen Anlass, sich zurückzulehnen. Es gebe jedoch deutliche Fortschritte. Als besonders erfreulich bezeichnete sie den Zustand des Grundwassers, dessen Schutz „essenziell“ sei. Deshalb müssten Einträge, woher sie auch stammen, immer dort reduziert werden, wo die Gefährdung vorliegt. Untersteller habe viele Maßnahmen auf den Weg gebracht, sie frage sich jedoch, was „wir richtigerweise tun müssen und was wir besser lassen sollten“.

Quelle/Autor: Wolf Günthner

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11. und 12. April 2018