Corona: Vergaberechtliche Herausforderungen meistern

Das Corona-Virus hat Deutschland und weite Teile von Europa fest im Griff. Das Virus und die zur Eindämmung seiner weiteren Verbreitung getroffenen Maßnahmen machen vor dem Vergaberecht nicht halt. Dabei besteht kein Grund zur Panik. Das Vergaberecht bietet auch in dieser Ausnahmesituation angemessene Reaktionsmöglichkeiten. Laufende Vergabeverfahren Für bereits laufende Vergabeverfahren sollten öffentliche Auftraggeber abwägen, ob […]

Das Corona-Virus hat Deutschland und weite Teile von Europa fest im Griff. Das Virus und die zur Eindämmung seiner weiteren Verbreitung getroffenen Maßnahmen machen vor dem Vergaberecht nicht halt. Dabei besteht kein Grund zur Panik. Das Vergaberecht bietet auch in dieser Ausnahmesituation angemessene Reaktionsmöglichkeiten.

Laufende Vergabeverfahren

Für bereits laufende Vergabeverfahren sollten öffentliche Auftraggeber abwägen, ob sie Verfahren trotz des weitgehenden „Shutdowns“ des öffentlichen Lebens weiterführen. Die Erfahrungen der letzten Tage haben gezeigt, dass Bieter dank guter Home-Office-Lösungen oftmals weiter in der Lage sind, die nötigen Schritte im Ausschreibungsverfahren vorzunehmen. Unter Umständen empfiehlt es sich, im Einzelfall Fristen zur Angebotserstellung oder zur Ausarbeitung der Teilnahmeanträge etwas zu verlängern.

Allerdings gibt es Branchen, in denen aufgrund der derzeitigen Ungewissheit die Kalkulation des Angebots schwer fällt oder ein zeitnaher Leistungsbeginn nicht sichergestellt werden kann. Eine Rücksprache mit (potentiellen) Bietern kann im Einzelfall sicherlich hilfreich sein, um zu entscheiden, ob ein Verfahren weiterlaufen kann oder besser gestoppt bzw. ausgesetzt wird.

Entfällt aufgrund der aktuellen Lage der Beschaffungsbedarf oder fehlen die ursprünglich vorgesehenen Haushaltsmittel, ist zudem die Aufhebung des Verfahrens vergaberechtlich möglich.

Sofern bereits Angebote vorliegen und der Zuschlag nicht erteilt werden kann, weil z.B. erforderliche Gremienentscheidungen nicht möglich sind, droht häufig der Ablauf der Bindefrist. Kommunalrechtlich ist dann die Möglichkeit der Eilentscheidung durch den Bürgermeister/Landrat zu prüfen. Die Beauftragung des Bestbieters bleibt nach abgelaufener Bindefrist im Übrigen trotzdem möglich. Der Bestbieter hat dann allerdings die Möglichkeit, den Vertragsschluss abzulehnen. Es empfiehlt sich daher, von den Bietern vor Fristablauf die Verlängerung der Bindefrist zu verlangen.

Angebotsöffnungen

Eine größere Herausforderung besteht derzeit für einige Verwaltungen im Zusammenhang mit der Öffnung von Teilnahmeanträgen oder Angeboten. Bei eVergabe-Tools müssen sich im Regelfall zwei Mitarbeiter am selben PC einloggen, um die Dokumente herunterladen zu können. Sofern die Verwaltung ihren Betrieb in weiten Teilen ins Homeoffice ausgelagert hat, fällt dies schwer. Deshalb sollte daran gedacht werden, der im Büro tätigen „Notbesetzung“ entsprechende Rechte einzuräumen und Instruktionen zu geben oder für die Tage, an denen Angebotsöffnungen anstehen, ausnahmsweise „Bürotage“ einzuplanen.

Im Homeoffice lässt das Tool „Teamviewer“ eine technische Lösung zu: Hierdurch können sich zwei Mitarbeiter an unterschiedlichen Orten auf einen Computer „zusammenschalten“, sodass die Eingabe der Passwörter beider Mitarbeiter gewährleistet werden kann.

Schwieriger wird es bei Angeboten in Papierform, insbesondere bei nationalen Bauausschreibungen mit bieteröffentlicher Submission. In diesen Fällen führt an der Angebotsöffnung in den Verwaltungsräumlichkeiten im 4-Augen-Prinzip kein Weg vorbei. Doch durch größere Räumlichkeiten und entsprechenden Abstand dürften auch hierbei die gesundheitlichen Aspekte nicht zu kurz kommen.

Bieterpräsentationen, Aufklärungsgespräche und Verhandlungen

Bisher wurde in der Rechtsprechung vertreten, dass ein Bieter keinen Anspruch auf weitere Beteiligung am Verfahren hat, wenn er von sich aus einen angesetzten Verhandlungstermin absagt. Dies ist auf die momentane Situation sicherlich nicht übertragbar. Verlangt ein Bieter mit Verweis auf „Corona“ die Verschiebung, sollte dem nachgekommen werden. Bereits angesetzte Präsentations-, Aufklärungs- oder Verhandlungstermine könnten im Übrigen auch als Videokonferenz abgewickelt werden.

Sollte ein Ausschreibungsverfahren unmittelbar bevorstehen oder derzeit laufen, für das ursprünglich ein wertungsrelevanter Präsentationstermin vorgesehen war, könnten die Zuschlagskriterien zudem modifiziert werden. Die konzeptionellen Inhalte eines Angebots könnten dann allein auf Grundlage der Papierfassung bewertet werden.

Gleiches gilt bei Aufklärungsbedarf: auch hier ist ohne Weiteres ein „Umstieg“ auf die Kommunikation per E-Mail möglich, was zudem aufgrund der damit verbundenen Dokumentation die Rechtssicherheit erhöht.

Dringlichkeitsbeschaffungen

Durch die Ausbreitung des Corona-Virus kann es zudem zu einem besonders dringlichen Bedarf kommen. Dies wird derzeit nicht nur für Medizinprodukte in Betracht kommen, sondern beispielsweise auch für die Beauftragung von Dienstleistern, die die Überlastung oder den Ausfall eigener Kräfte oder beauftragter Dienstleister kompensieren.

Auch die Beschaffung von Hard- und Software zur Einrichtung von Home-Office-Arbeitsplätzen kann hierunterfallen. Schließlich ist auch denkbar, die operative Abwicklung bevorstehender Vergabeverfahren kurzfristig an externe Dienstleister zu vergeben, um die Beschaffungsprozesse auch bei krankheitsbedingten Ausfällen oder personellen Engpässen in geordneten Bahnen weiterführen zu können.

Die vergaberechtlichen Rahmenbedingungen für solche Dringlichkeitsbeschaffungen hat das Bundeswirtschaftsministerium im Rundschreiben vom 19. März 2020 instruktiv dargestellt. Wichtig hierbei: Soweit möglich, sollten Auftraggeber immer noch Vergleichsangebote einholen. Die Direktbeauftragung eines Auftragnehmers bleibt die ultima ratio.

Fazit

Die momentane Lage ist auch rechtlich eine Ausnahmesituation. Das Vergaberecht bietet jedoch den erforderlichen „Instrumentenkasten“, um als Verwaltung weiterhin handlungsfähig zu bleiben.

 

Über den Autor: 

Dr. Alexander Dörr, Rechtsanwalt

Als Full-Service-Anbieter vereint Menold Bezler über 120 Anwälte, Notare, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Unternehmensberater unter einem Dach. Zu den Schwerpunkten der Kanzlei zählt der Bereich öffentliche Hand und ihre Unternehmen. Die Kanzlei unterstützt diese im Beschaffungswesen und Vergabemanagement, in der Digitalisierung, der Daseinsvorsorge uvm. Zudem ist die Kanzlei seit vielen Jahren ein enger Partner der Staatsanzeiger für Baden-Württemberg GmbH & Co. KG. Gemeinsam bieten sie mehrmals jährlich Vergaberechts-Schulungen an. 

 

Dateien:
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Quelle/Autor: Menold Bezler