Ungewöhnlich niedrige Angebotspreise

Angebote, die auf eine öffentliche Ausschreibung eingereicht werden, liegen meist in einem ähnlichen Preissegment. Es ist jedoch nicht selten, dass auch „Ausreißer“ dabei sind. Möchte der Auftraggeber ein Angebot bezuschlagen, dessen Preis oder Kosten im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung als ungewöhnlich niedrig erscheinen, muss der Auftraggeber vom Bieter Aufklärung verlangen (§ 44 UVgO, […]

Angebote, die auf eine öffentliche Ausschreibung eingereicht werden, liegen meist in einem ähnlichen Preissegment. Es ist jedoch nicht selten, dass auch „Ausreißer“ dabei sind. Möchte der Auftraggeber ein Angebot bezuschlagen, dessen Preis oder Kosten im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung als ungewöhnlich niedrig erscheinen, muss der Auftraggeber vom Bieter Aufklärung verlangen (§ 44 UVgO, § 60 VgV).

Die Pflicht, eine Preisprüfung durchzuführen, kann sich demnach aus dem Preis- und Kostenabstand zu den Konkurrenzangeboten ergeben, aber auch aus Erfahrungswerten oder aus dem Abstand zur im Vorfeld erfolgten Auftragswertschätzung des Auftraggebers. Allerdings eignet sich die Auftragswertschätzung nur als Vergleichsmaßstab, soweit die Kosten methodisch vertretbar und auch sonst fehlerfrei ermittelt worden sind (OLG Düsseldorf, VPR 2018, 150).

Als Indiz für ein ungewöhnlich niedriges Angebot, das den öffentlichen Auftraggeber zur Aufklärung des Angebots berechtigt, ist ein erheblicher Preisabstand zum nächst niedrigen Angebot anzusehen. Bei einem Abstand von 20% („Aufgreifschwelle“) ist der Auftraggeber verpflichtet, die Angemessenheit der Preise zu überprüfen (OLG Düsseldorf, VPR 2018, 31). Je näher der Preisabstand an diese Grenze heranrückt, desto stichhaltigere Argumente sind erforderlich, um auf eine Aufklärung rechtssicher verzichten zu können (VK Lüneburg, VPR 2015, 226). Es sollte jedoch bedacht werden, dass einige Bundesländer in ihren Landesvergabegesetzen Aufklärungspflichten bereits ab 10% Preisabstand vorsehen (vgl. z. B. LVG-SA, BerlAVG). Liegt der Preisabstand zwischen dem Angebot des Bestbieters und dem Angebot des zweitplatzierten Bieters im untersten einstelligen Prozentbereich, ist keine Preisprüfung notwendig (VPR 2018 150).

Ein preislich erheblich abweichendes Angebot wird dabei jedoch nicht automatisch von der Wertung ausgeschlossen, sondern erweckt zunächst nur den Verdacht, ungewöhnlich niedrig zu sein. Diesen Verdacht kann der Bieter gegenüber dem Auftraggeber durch entsprechende Erklärungen und die Vorlage seiner Kalkulation und anderer Unterlagen ausräumen. Dazu darf der Auftraggeber den Bieter jedoch nicht pauschal auffordern, „sein Angebot zu erläutern und eine ausführliche Kalkulation vorzulegen“, sondern muss den Bieter explizit darauf hinzuweisen, welche genauen Positionen oder Titel er für auffällig und aufklärungsbedürftig hält (VK Thüringen, VPR 2019, 147).

Sowohl der betroffene Bieter, als auch seine Wettbewerber haben Anspruch auf Einhaltung des Verfahrens zur Preisaufklärung. Kann der Bieter seine Kalkulation nachvollziehbar darlegen und damit die Preise plausibilisieren, ist das Angebot nicht von der Wertung auszuschließen. Denn entscheidend ist nicht, dass die Preise auskömmlich, sondern nachvollziehbar sind (VK Nordbayern, VPR 2019, 148). Auch unauskömmliche Angebote dürfen bezuschlagt werden, z. B. wenn mit der Preisgestaltung wettbewerbskonforme Ziele verfolgt werden (VK Nordbayern, VPR 2019, 24).

 

Über den Autor:

Melina Eberts, LL.M. ist Rechtsanwältin in Heppenheim mit den Schwerpunkten Arbeitsrecht und Bau- & Immobilienrecht. Sie berät ihre Mandanten insbesondere bei der Vertragsgestaltung und Vertragsabwicklung. Als freie Mitarbeiterin unterstützt sie die Redaktion von „ibr-online“ und „vpr-online“ und ist Ansprechpartnerin für das Vergaberecht. Dabei bereitet sie aktuelle gerichtliche Entscheidungen auf und betreut die Online-Dienste, sowie die zweimonatlich erscheinende Zeitschrift „VPR – Vergabepraxis & -recht“.


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Quelle/Autor: Melina Eberts