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Datenpanne mit Ansage: Der lange Absturz der Schul-IT

Symbolische Kulisse mit bitterem Beigeschmack: Am Stand des Kultusministeriums auf der Bildungsmesse Didacta 2025 in Stuttgart wird für „digitales Lehren und Lernen“ geworben – während im Land gravierende Schul-IT-Probleme offengelegt werden. ChatGPT fragen
IMAGO/Arnulf Hettrich)Es klingt wie ein technisches Versehen. Tatsächlich aber ist es ein Lehrstück in Sachen Verwaltungsversagen: In Baden-Württemberg galten über 1400 Lehrerstellen jahrelang als besetzt – obwohl sie es nie waren. Der Skandal rund um das Programm DIPSY ist damit weit mehr als eine technische Panne. Er ist ein Symptom für eine Schulverwaltung, die digital überfordert, strukturell zersplittert und steuerungstechnisch im Blindflug unterwegs ist. Der Fehler entstand 2005 bei der Datenübertragung aus dem Vorgängersystem. Erst 20 Jahre später wurde er entdeckt.
Doch der Blick auf DIPSY ist nur ein Teil der Geschichte. Denn Baden-Württemberg hat sich in den vergangenen 20 Jahren immer wieder an großen Digitalprojekten im Schulbereich versucht – und ist dabei auffällig häufig gescheitert.
Digitalprojekte im Schulbereich scheitern häufig
Beispiel ASV-BW, die Amtliche Schulverwaltung: 2007 als gemeinsames Projekt mit Bayern gestartet, sollte sie ab 2009 landesweit eingeführt werden. Eine Software, die Schulstatistik, Personal- und Schülerdaten zusammenführt, Insellösungen ersetzt, Planbarkeit schafft. Doch das Projekt entwickelte sich zum Digital-Dauerläufer: Erst 2022/2023, also rund 15 Jahre nach Projektbeginn, wurde die Nutzung für alle öffentlichen Schulen verpflichtend. Bereits 2019 hatte der Rechnungshof Baden-Württemberg festgestellt, dass „nach 13 Jahren Projektlaufzeit die zum Projektbeginn formulierten Ziele nicht erreicht worden sind“ – insbesondere bei Kosten, Zeit und Leistung. Statt der ursprünglich kalkulierten vier Millionen Euro lagen die bis dahin angefallenen Kosten bei mindestens 47 Millionen Euro. Die Software sei „hinsichtlich ihrer Kernfunktionalitäten noch nicht für einen flächendeckenden Einsatz geeignet“ gewesen.
Besonders bemerkenswert: Auch in Bayern, wo das Schwesterprojekt ASV-BY betrieben wird, kam der Bayerische Oberste Rechnungshof 2021 zu einem sehr ähnlichen Urteil. Er attestierte dem Projekt „gravierende Mängel in allen zentralen Aspekten der Softwareentwicklung“ – die Rede ist von überzogenen Zeitplänen, unklaren Anforderungen, unzureichendem Projektcontrolling und einer kaum wartbaren Codebasis. Die geplanten Gesamtkosten lagen ursprünglich bei 11,3 Millionen Euro – inzwischen rechnet man dort mit bis zu 272 Millionen Euro bis 2028.
Noch gravierender scheiterte die Bildungsplattform „ella“. Als zentrale digitale Schulumgebung angekündigt, wurde sie im Jahr 2018 krachend eingestampft. Technisch unausgereift, in der Steuerung zerrissen, zwischen drei Ministerien hin- und hergeschoben. Der Rechnungshof Baden-Württemberg sprach von unklarer Verantwortung und massiven Versäumnissen. Die Folge: Statt digitaler Souveränität herrschte betretenes Schweigen.
Keine verlässliche Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte
Hinzu kommt eine Kultusverwaltung , die trotz aller Digitalisierungsoffensiven weiter ohne verlässliche Arbeitszeiterfassung auskommt. Bis heute weiß das Land nicht, wie viele Stunden Lehrkräfte tatsächlich leisten – obwohl der Europäische Gerichtshof und das Bundesarbeitsgericht klargestellt haben, dass Arbeitgeber zur systematischen Zeiterfassung verpflichtet sind. Auch im öffentlichen Dienst. Auch für Beamte. Die Verwaltung aber verweist auf die Besonderheiten des Lehrerberufs.
Der Hintergrund all dieser Missstände ist strukturell: Schul-IT in Baden-Württemberg ist auf mehrere Ministerien verteilt – Kultus, Finanzen, Inneres. Bei Projekten wie ella führte das zu einem Pingpong der Verantwortung. Bei DIPSY passiert es wohl gerade wieder. Gleichzeitig fehlt es an eigenem IT-Fachpersonal. Große Vorhaben werden an externe Dienstleister vergeben, die Steuerung verläuft schleppend, Projektcontrolling bleibt schwach.
Andere Bundesländer machen es nicht perfekt – aber oft besser. Hessen hat mit LUSD eine funktionierende, webbasierte Schulverwaltungsplattform geschaffen, die mittlerweile auch Rheinland-Pfalz nutzt. Berlin denkt über Kooperationen nach.
Klar ist: Der DIPSY-Skandal ist die logische Folge eines Reformstaus, der seit Jahren ignoriert wird. Schon Günther Oettinger sagte vor über zehn Jahren, man könne die Probleme des Kultusministeriums wohl nur durch eine Neugründung lösen. Winfried Kretschmann sprach mehrfach von der Trägheit der Schulverwaltung. Passiert ist seitdem wenig.
Wenn dieser aktuelle Skandal ein Gutes hat, dann vielleicht das: dass sich die Frage nach Steuerung, Kontrolle und digitaler Leistungsfähigkeit im Schulbereich nicht mehr ignorieren lässt.