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Arbeitssucht: Es dauert lang, bis Betroffene selbst darunter leiden

Als Erster im Büro, der Letzte, der nach Hause geht, am Wochenende immer erreichbar: Der vermeintlich hochengagierte Mitarbeiter kann sich auch für öffentliche Arbeitgeber als Problem erweisen. Menschen, für die Arbeit alles ist, sind nicht zwingend besonders produktiv, sondern manchmal krank.
Gestresste Frau am Laptop

Workaholics gefährden ihre eigene Gesundheit.

dpa/Westend61/Svetlana Karner)

STUTTGART. „Zehn Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland arbeiten suchthaft.“ Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie, die die Hans-Böckler-Stiftung gefördert und von Forschenden des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) und der Technischen Universität Braunschweig erstellt wurde (siehe Kasten).

„Betroffene arbeiten nicht nur sehr lang, schnell und parallel an unterschiedlichen Aufgaben, sie können auch nur mit schlechtem Gewissen freinehmen und fühlen sich oft unfähig, am Feierabend abzuschalten und zu entspannen“, heißt es weiter.

Suchthaft Arbeitende kommen aus allen sozialen Milieus und Berufsgruppen. Gefährdet sind Selbstständige oder Führungskräfte, für die die Bezeichnung „Workaholic“, arbeitssüchtig, fast als Ehrenbezeichnung gilt. Doch während Vielarbeiter Selbstwert und Anerkennung aus ihrem Arbeitseinsatz ziehen, erleben suchthaft Arbeitende alle negativen Folgen ihrer Abhängigkeit wie etwa Zerstörung der Sozialbeziehungen, Selbstvernachlässigung oder gesundheitliche Beschwerden.

Arbeitssucht ist keine anerkannte Krankheit

Wie verbreitet das Phänomen ist, ist trotz der jüngsten Studie schwer einzuschätzen, denn dort ist es mit der Definition von „suchthaftem Arbeiten“ sehr weit gefasst. „Arbeitssucht ist derzeit noch keine anerkannte Krankheit“, sagt Dietrich Munz, Präsident der Landespsychotherapeutenkammer Baden-Württemberg. Natürlich sei eine Arbeitssucht grundsätzlich bekannt, in der Kammer gebe es aber noch keine spezifischen Anfragen. Denn es gelte: „Auch wenn es relativ häufig vorkommt, heißt es nicht, dass sich die Leute Hilfe holen. Oft brauchen sie einen Anstoß von außen, um diesen Schritt zu gehen.“

Ähnliches berichtet auch Elke Wallenwein, Vorsitzende der Landesstelle für Suchtfragen in Baden-Württemberg. Zwar lande „alles, was mit Sucht tituliert ist, bei uns, das Thema Arbeitssucht kommt aber so gut wie nicht an“, so Wallenstein. Offensichtlich werde die Problematik oft, wenn das suchthafte Arbeiten als Burn-out wahrgenommen wird. „Es gibt Schnittstellen der Arbeitssucht zum Burn-out“, sagt Wallenstein. „Viele Symptome ähneln sich da.“ Die Grenze zu ziehen, wo Engagement gesund ist und wo es ins Gegenteil umschlägt, ist schwierig.

Rund 8000 Erwerbstätige wurden für Studie befragt

Die Daten für die aktuelle Studie wurden vom Bundesinstitut für Berufsbildung BIBB und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in den Jahren 2017 und 2018 erhoben.
Rund 8000 Erwerbstätige wurden von den Forschenden zum Arbeitsverhalten und ihrem Wohlbefinden befragt. Suchthaftes Arbeiten hat langfristig Folgen für die Gesundheit. Betroffene haben häufiger als andere körperliche oder psychosomatische Beschwerden, suchen deswegen aber seltener ärztliche Hilfe.

Denn auf den ersten Blick ist das gesteigerte Engagement für Arbeitgeber scheinbar lukrativ, investieren Betroffene von suchthaftem Arbeiten doch sehr viel Zeit und Energie in ihren Job. Bei näherer Betrachtung ist das aber alles andere als profitabel. Denn suchthaftes Arbeiten ist durch bestimmte Merkmale charakterisiert: Dazu gehören unter anderem exzessive Arbeitszeiten, Schwierigkeiten, sich von der Arbeit zu lösen, Frustration und Aufregung, wenn Arbeit verhindert wird, und ein unflexibler und zwanghafter Arbeitsstil. Das kann Auswirkungen auf das Betriebsklima und die Zusammenarbeit unter den Kollegen haben. „Es dauert lange, bis Betroffene selbst darunter leiden“, sagt Munz. „Im beginnenden Stadium, wenn es noch kein ausgeprägtes Suchtverhalten gibt, erhalten die Leute ja auch eine gewisse Gratifikation.“

Gesundheitsmanagement und Schließzeiten helfen

Das Arbeitsumfeld könne die Ausprägung von Sucht befördern – aber auch positiv beeinflussen. „Über ein betriebliches Gesundheitsmanagement kann man das bearbeiten“, meint Munz. Ein Steuerelement könnten betriebliche Schließzeiten und die Einhaltung der Arbeitszeiten und Überstundenregelungen sein.

Der Arbeitgeber könne, so erklärt Wallenstein, beispielsweise durch Leitlinien zu E-Mail- oder Smartphone-Erreichbarkeit auch gestalten. In Dienstvereinbarungen zur Suchtprävention etwa werden vermehrt auch Vereinbarungen zu unstofflichen Süchten wie Glücksspiel-, Computer- oder eben Arbeitssucht aufgenommen. Gerade diese seien nach außen wenig auffällig, Betroffene könnten ihre Erkrankung lange verbergen. Zwar gebe es, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, Reha-Maßnahmen. Doch das bedeute längere Fehlzeiten. Daher gelte auch bei dieser Erkrankung: „Je früher man merkt, dass es ein problematisches Verhalten gibt, desto besser ist es eigentlich“, so Munz.

Beate Mehlin

Korrektorat und freie Mitarbeiterin beim Staatsanzeiger

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