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Antisemitismus

Der Landtag setzt ein klares Zeichen gegen Judenhass

Selten trifft der Begriff „Sternstunde“ wohl so zu wie bei der Debatte über den Antisemitismus-Bericht. Bis auf eine Ausnahme verzichteten alle Fraktionen auf Polemik, man stand zusammen. Und als Michael Blume seinen Appell für ein friedliches Zusammenleben in den Saal rief, erhob sich dieser. Ein Signal der Einigkeit.

Alle Abgeordneten, Minister und Besucher erheben sich, um am 9. November der Opfer des Antisemitismus zu gedenken.

Rafael Binkowski)

Stuttgart. Der Landtag ist voll besetzt wie nur selten. Der SWR überträgt zwei Stunden Debatte live. Zu Beginn und am Ende stehen alle auf. Zunächst zu Beginn der Sitzung, als die Landtagspräsidentin Mutherem Aras (Grüne) an den schicksalhaften 9. November erinnerte: Vor 100 Jahren der Hitler-Putsch, vor 85 Jahren die Reichsprogromnacht. „Nie wieder“, sagte sie, und dieser Satz zog sich durch alle Reden der politischen Akteure. Am Ende erhoben sich wieder alle von ihren Sitzen. Michael Blume, der 2018 der bundesweit erste Antisemitismus-Beauftragte eines Bundeslandes wurde, hielt eine bemerkenswerte, die Zuschauer beeindruckende, Rede. „Der Plan der Hamas, mit ihrem Terror einen Krieg der Religionen anzuzetteln, scheitert hier in Baden-Württemberg“, rief er.

Ein emotionaler Appell des Antisemitismus-Beauftragten

Wer sich gegen Antisemitismus engagiere, tue dies nicht nur „den Juden zuliebe“, sondern der beschütze alle und die Demokratie. Und Blume sagte aber auch: „Wenn Sie den Islamismus bekämpfen, müssen Sie auch die Muslime wertschätzen. Vielfalt ist okay, lasst euch nicht auseinander treiben, ihr gehört dazu!“

Dieser Appell war deswegen so authentisch, weil Blume seit seinem Amtsantritt und den Terroranschlägen der Hamas vom 7. Oktober immerfort bedroht wird. „Ich danke auch meiner Frau, dass sie sich nicht einschüchtern lässt“, sagte Blume. Sie ist selbst Muslimin, wohlgemerkt, ebenso wie die Landtagspräsidentin.

Und dieses Signal ging von fast allen Parteien aus. Allen voran von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), der an ein Gespräch mit jungen Jüdinnen und Juden erinnerte: „Noch nie haben sie sich so bedroht gefühlt wie heute.“ Freundschaften seien zerbrochen, ein häufig zu hörendes „Ja, aber …“ habe sie am meisten getroffen. Der Regierungschef fand deutliche Worte: „Die Hamas hat Menschen massakriert, Frauen vergewaltigt und Babys vor ihren Eltern den Kopf abgeschlagen. Um das zu verurteilen, muss man vom Nahostkonflikt nichts verstehen.“ Alles müsse man tun, damit sich Juden in Deutschland wieder sicher fühlten. Zunächst mit Polizeipräsenz in Synagogen und Schulen, Unterricht gegen Vorurteile.

Der Ministerpräsident erinnert an „Rote Linien“

Und Kretschmann erinnerte an die „Roten Linien“, von den Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) gesprochen haben: „Es ist in Ordnung, sich für eine Zwei-Staaten-Lösung einzusetzen, aber nicht, das Existenzrecht Israels in Frage zu stellen.“

Dieser Tenor zog sich durch alle Stellungnahmen. Der grüne Vormann Andreas Schwarz sagte: „Es darf keine Relativierungen geben, hier wird nichts verwischt.“ Er verurteilte sowohl den Antisemitismus von Migranten als auch den in der deutschen Bevölkerung. Seine These: „Wer glaubt, Antisemitismus einfach abschieben zu können, läuft Gefahr, ihn zu verharmlosen.“ Zudem schlug Schwarz auch ein Projekt vor: Ein gemeinsames Jugendwerk von Israel und Baden-Württemberg vor, um den Austausch zu fördern.

Der CDU-Fraktionschef Manuel Hagel erinneret an die Angst vieler Juden, auf die Straße zu gehen: „Diese Realität ist eine Schande für unser Land.“ Und er forderte die Abschiebung von judenfeindlichen Demonstranten: „Wer die Scharia statt das Grundgesetz will, für den ist Deutschland nicht der richtige Ort und sollte das Land verlassen.“

Hagel: Dem Hass nicht die Straße überlassen

Man dürfe Hass und die Vorstellung eines anderen Landes nicht die Straße überlassen. Er kritisierte aber auch die Enthaltung der grünen Außenministerin Annalena Baerbock in der UN-Vollversammlung bei einer israelkritischen Resolution.

Auch der Oppositionsführer, der SPD-Fraktionschef, Andreas Stoch, verzichtete auf Parteipolitik, und forderte die Härte des Rechtsstaates: „Gegen die Detonation eines offenen Antisemitismus ist die Strenge des Gesetzes gefragt.“ Ja, man müsse sich Gedanken machen über den zugewanderten Antisemitismus: „Aber es ist verlogen zu glauben, er käme nur aus Kreisen von Zuwanderern.“ Als einziger Redner thematisierte Hans-Ulrich Rülke, der Fraktionschef der FDP im Landtag, auch die Rolle der Palästinenser, nachdem er klare Worte zum Terror der Hamas gefunden hatte: „Wir müssen deutlich machen, dass wir auch das Schicksal der palästinensischen Zivilbevölkerung sehen.“ Er räumte ein, selbst geglaubt zu haben, der Antisemitismus sei überwunden in Deutschland: „Doch offenbar habe ich mich geirrt.“ Die heimische Judenfeindlichkeit sei „vielleicht noch schlimmer“.

Nur die AfD fällt aus der Rolle und macht Parteipolitik

Das sah der AfD-Fraktionschef Anton Baron ganz anders. Als einziger griff er die anderen Parteien an: „Sie sind mitschuldig an den Übergriffen auf Juden.“ Man habe „Antisemiten importiert“, das sei das „Erbe der Ära Merkel“. Wie bei fast jedem Thema sah er die „verfehlte Migrationspolitik“ als Ursache und meinte: „Wenn sie nicht die Probleme lösen können, überlassen sie es uns.“

Diese Dissonanz blieb jedoch eher eine Randnotiz.

Rafael Binkowski

Chefredakteur des Staatsanzeigers

0711 66601 - 293

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