Debatten im Landtag vom 21. und 22. Juni 2017

Kretschmann ist Artenvielfalt ein persönliches Anliegen

Stuttgart. Die Biodiversität in Baden-Württemberg ist Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) eine Herzensangelegenheit. Dies wurde am Mittwoch im Landtag in der Aktuellen Debatte „Erhalten, was uns erhält: Baden-Württemberg für biologische Vielfalt“ erneut deutlich. Der Regierungschef ergriff in der Aussprache das Wort und äußerte dabei große Sorgen um die Flora und Fauna im Südwesten. Naturschutz und Artenvielfalt […]

Stuttgart. Die Biodiversität in Baden-Württemberg ist Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) eine Herzensangelegenheit. Dies wurde am Mittwoch im Landtag in der Aktuellen Debatte „Erhalten, was uns erhält: Baden-Württemberg für biologische Vielfalt“ erneut deutlich. Der Regierungschef ergriff in der Aussprache das Wort und äußerte dabei große Sorgen um die Flora und Fauna im Südwesten. Naturschutz und Artenvielfalt sei für ihn als Biologe der Grund gewesen, die Grünen mitbegründet zu haben, sagte Kretschmann in der mehrstündigen Debatte. Naturvielfalt der Pflanzen, Tiere und Lebensräume seien sehr stark bedroht. Die Geschwindigkeit des  Artensterbens – zwei von fünf Pflanzen- und Tierarten im Land sind gefährdet  – sei für ihn besorgniserregend. „Wenn wir unsere Lebensgrundlagen zerstören, sind wir irgendwann selbst bedroht“, sagte der Regierungschef. 
„Wir haben die Verantwortung, die Natur zu bewahren und zu schützen“, sagte Kretschmann. Niemand habe das Recht, zu entscheiden, was aussterben darf und war nicht. Man dürfe das Aussterben von Tierarten nicht einfach hinnehmen, sondern müsse etwas dagegen tun. Als Beispiel nannte er den Wanderfalken, der im Südwesten vom Aussterben bedroht. „Heute haben wir wieder 260 Revierpaare“, berichtete der Ministerpräsident erfreut. Biodiversität sei eine Lebensversicherung „für uns und zukünftige Generationen“. Diese Vielfalt sichere auch die Ernährung. Zudem sei eine intakte, vielfältige, reiche Natur durchaus auch ein Wirtschaftsfaktor, beispielsweise im Tourismus. „Naturschutz ist einfach auch Pflege und ein Stück Heimat“, konstatierte der Regierungschef. 
Baden-Württemberg habe „die modernste Naturschutzstrategie Deutschlands“, sagte er. Der Nationalpark entwickele sich zum Erfolgsprojekt. In 33 der 35 Landkreise seien schon Landschaftserhaltungsverbände etabliert worden. Dies sei eine ganz entscheidende und wichtige Weichenstellung für die bestmögliche Pflege der Kulturlandschaften. „Wir schaffen einen landesweiten Biotopverbund auf mindestens zehn Prozent der Landesfläche. Auch in der Landwirtschaft werden wir Maßstäbe mit unseren Agrarumweltprogrammen setzen mit der Stärkung des Ökolandbaus“, kündigte Kretschmann an. Um die biologische Vielfalt zu schützen, habe er die Minister Franz Untersteller (Grüne) und Peter Hauk (CDU) gebeten, konkrete Vorschläge zu erarbeiten, die im Herbst vorgelegt werden sollen. Das Land gestalte außerdem den Prozess der Automobiltransformation, der hin zur Elektromobilität, hin zu null Emission stattfinde. 
Schon im Februar 2016 hatte die Grünen-Fraktion eine Aktuelle Debatte unter demselben Thema eingebracht. Fraktionschef Andreas Schwarz (CDU) rechtfertigte den erneuten Aufschlag mit der Wichtigkeit des Themas: Ohne diese bunte biologische Vielfalt würde Baden-Württemberg eine Stück Heim und einen Teil seiner Identität verlieren. Es gebe drei Gründe, sich um die Natur zu kümmern: Die Klugheit, weil die Natur die Ernährung sichere. Die Gerechtigkeit, weil die Natur für weitere Generationen bewahrt werden soll. Und das Glück, denn das Leben in der Natur erzeuge nachweislich Glück und die Beziehung zwischen Mensch und Natur sei Teil eines guten Lebens. „Wir rücken deshalb den Natur- und Artenschutz ins Zentrum der Landespolitik“, sagte Schwarz. 
Es gebe viele ökologische, ökonomische und soziokulturelle Gründe, die Natur zu bewahren, auch eine ethische Verpflichtung, erklärte der Grünen-Fraktionschef. Denn 40 Prozent der Tiere und Pflanzen stünden im Südwesten auf der Roten Liste. Baden-Württemberg werde den Naturschutz stärken. Zwischen 2011 und 2016 seien dafür mehr als 60 Mio. Euro ausgegeben worden, bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode werden die Mittel auf 90 Mio. Euro erhöht. „Auch ökologische Schulden sind implizierte Schulden.“
Raimund Haser (CDU) ging auf den schwierigen Spagat zwischen der Gewährleistung der preiswerten Lebensmittelsicherheit und den Zielen der Biodiversität ein. „Wir müssen die Agrarflächen erhalten und sie auch effektiv gestalten“, sagte er. Die Politik müsse dafür sorgen, dass das Geld „dort ankommt, wo die Landschaft gepflegt wird.“. Aber man verliere zu viel Geld für Juristerei, für Gutachten, für Naturschutzverwaltung. Mit mehr Effizienz würde auch mehr Geld unten beim Bauern ankommen. „Wenn wir weiter 97,5 Prozent unseres Landes als Kulturlandschaft haben und 50 Prozent von Bauern bewirtschaftet werden, dann müssen wir aufhören, die Bauern ständig an den Pranger zu stellen“, forderte Haser. Er nahm auch die Verbraucher in die Pflicht. „Solange die Leute lieber viermal in den Urlaub fahren als dreimal und das Geld an der Kühltheke einsparen, können wir nicht gleichzeitig den Bauern vorwerfen, dass sie zu wenig für den Naturschutz tun“.  Naturschutz sei nicht nur Aufgabe der Bauern und Waldbesitzer: „Jeder von uns kann etwas tun.“ Naturschutz fange bei jedem Einzelnen an. 
Thomas Axel Palka (AfD) erinnerte an den Rückgang von Bauernhöfen sowie Schweine- und Rinderhaltern von bis zu 72 Prozent. Auf 24 Prozent des Ackerlandes im Südwesten stehe heute Mais. „Die Monotonie auf unseren Feldern wird durch die Agrarpolitik in Brüssel gemacht“, kritisierte er die Politik der EU. Die EU-Kommission betreibe auch eine Zerstörung des Biolandbaus. „Es müssen wesentliche Entscheidungen der Agrarpolitik wieder in Berlin oder noch besser in Stuttgart fallen“, forderte er. Biologische Vielfalt sei auch das Ergebnis von gemäßigter, kultivierter Auseinandersetzung des Menschen mit der Natur. „Nur das Denken in Generationen und gesichertes Eigentum schaffen diese Nachhaltigkeit, die eine von den Gründen idealisierte Natur und eine von oben erzwungene Politik nicht schaffen können“, sagte Palka. 
Gabi Rolland (SPD) forderte die Landesregierung auf, die intensive großflächige Monokultur zurückzudrängen. Auch das flächenhafte Ausbringen von Glyphosat und anderen Pestiziden sollten verboten werden. „Machen Sie ernst mit der Ausweisung von weiteren Bannwäldern und Erweiterung des Nationalparks“, lautete eine weitere Forderung. Rolland sprach sich auch für die Nutzung der Gewässerrandstreifen für Ökopunkte aus. Damit noch mehr Wiesen gemäht werden können, will die SPD auch, dass mehr Geld in die Landschaftspflegerichtlinien gesteckt wird. Zudem sollen die Streuobstbauern einfacher unterstützt werden. Die Umwandlung von mehr Acker- und in Grünland und die Finanzierung von zusätzlicher Beweidung sind weitere von Rolland vorgetragene SPD-Forderungen. Auch die Natuparks bedürften mehr finanzielle und personelle Unterstützung. „Sorgen Sie auch dafür, dass Ihre zuständigen Minister für Landwirtschaft und Naturschutz am gleichen Strang ziehen“, zielte Rolland auf den Zwist zwischen den Ministern Hauk und Untersteller. 
Auch die FDP sparte nicht mit Kritik. „Die Grünen vergessen, dass Nachhaltigkeit nicht nur Energieeffizienz, Ressouceneffizienz und Artenschutz ist, sondern auch Bildung, wirtschaftliche Stärke, Infrastruktur und Haushaltsdiszplin“, sagte Andreas Glück. Beim ideologischen Feldzug gegen das Automobil handele es sich um das Gegenteil von Nachhaltigkeit. Beim Naturschutz gehe der Trend im Südwesten hin zum Totalreservat, zur Flächenstillegung und zur künstlich hergestellten Wildnis. Außerdem fehle „jeglicher Respekt vor dem Eigentum anderer Leute“. Statt sinnvoller Naturschutzvorhaben mitzutragen, sollten erst einmal die bestehenden Großschutzgebiete wie die sieben Naturparke weiter entwickelt werden. Glück kritisierte auch die Kostenexplosion beim Nationalpark, dessen Zentrum doppelt so teuer werde wie geplant. Ein absoluter Witz sei die Verwendung von Alaska-Zeder an der 6800 qm Fassade des Gebäudes anstelle von heimischem Holz. Der Liberale monierte auch „Triggerpunkte“ bei den Grünen und nannte dabei die Windkraft und den Feinstaub. Er sprach auch von einem „gestörten Verhältnis zum Datenschutz“. Beim Naturschutz wollten die Grünen „nur das machen, was Ihnen in den Kram passt, und nicht das, was richtig ist.“ 

Quelle/Autor: Wolf Günthner

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