Zwangsbehandlung wird neu geregelt
Stuttgart. Ein Ende der gegenwärtigen rechtlichen Grauzone bei der Zwangsbehandlung in Psychiatrie und Maßregelvollzug ist in Sichtweite: In erster Lesung hat sich der Landtag am Donnerstag mit dem Gesetz zur Änderung des Unterbringungsrechts befasst, das allen Beteiligten Rechtssicherheit darüber gibt, unter welchen Vorgaben künftig eine Zwangsmedikation von untergebrachten Patienten erfolgen kann.
Die gesetzliche Neuregelung war nötig geworden, nachdem das Bundesverfassungsgericht im Oktober 2011 die bisherige in Baden-Württemberg geltende Rechtsgrundlage für Zwangsbehandlungen für verfassungswidrig und eine Behandlung grundsätzlich nur mit Einwilligung des untergebrachten Patienten für zulässig erklärt hatte. Seitdem gab es für das Personal in psychiatrischen Krankenhäusern keine gesetzlich gedeckte Möglichkeit, Patienten gegen ihren Willen zwangsweise zu behandeln. In der Praxis brachte dies seitdem sowohl für psychiatrische Patienten in akuten Phasen und deren Angehörige als auch für Ärzte und Pflegepersonal in den Psychiatrischen Kliniken erhebliche Belastungen mit sich.
Gesetz von allen Fraktionen mitgetragen
Das nun vorgelegte Gesetz, das vom Sozialministerium in enger Abstimmung mit Experten, Verbänden und Betroffenen erarbeitet wurde und parteiübergreifend von allen Landtagsfraktionen mitgetragen wird, berücksichtigt alle verfassungsrechtlichen Vorgaben. Demnach ist eine Behandlung künftig nur mit Einwilligung des Patienten möglich. Das Gesetz definiert gleichzeitig aber eng umrissene Ausnahmefälle.
Sozialministerin Katrin Altpeter (SPD) verwies darauf, dass Baden-Württemberg das erste Bundesland sei, das eine entsprechende Neuregelung in den Landtag eingebracht habe. Von dem Urteil des Bundesverfassungsgesetzes sind auch andere Bundesländer betroffen. Zudem werde derzeit in ihrem Haus an einem neuen „Psychisch Kranken-Hilfe-Gesetz“ gearbeitet, in das die neue Unterbringungsregelung eingebettet werde.
Richtervorbehalt bei Weigerung des Patienten
Besonders verwies Altpeter auf den Richtervorbehalt, der greife, falls eine Zwangsbehandlung trotz Weigerung durch den Patienten aus ärztlicher Sicht erfolgen müsse. Demnach muss ein psychiatrische Krankenhaus in diesem Fall bei Gericht einen Antrag auf Zwangsbehandlung stellen, zu dem zwingend das Gutachten eines psychiatrischen Sachverständigen eingeholt werden müsse. „Diesen Richtervorbehalt, der mit persönlich sehr wichtig war, haben wir gewählt, da nur er dem hohen Rechtsgut des Selbstbestimmungsrechtes psychisch kranken Menschen angemessen ist“, sagte Altpeter. „Die Einschaltung von Gerichten sichert größtmögliche Neutralität.“
Die Sprecher aller Landtagsfraktionen stimmten dem Gesetzentwurf zu und lobten das Ministerium für den intensiven Beteiligungsprozess bei der Vorbereitung. Den passenden plakativen Vergleich zur hochkomplexen Thematik lieferte der Grünen Abgeordnete Manfred Lucha: „Diese gesetzliche Neuregelung der Zwangsbehandlung ist wie der Sicherheitsgurt im Auto – wir legen ihn an, hoffen aber, dass er nie zum Einsatz kommt."