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Artikel aus den Verwaltungshochschulen

Kommentar: Die App TikTok gefährdet unsere Demokratie

Sollte die Nutzung von TikTok verboten werden? Die USA beschäftigt sich derzeit mit eben dieser Frage. Vieles spricht zumindest dafür, finden die Kommentatoren Corea Nieter und Jeny Ganzer.

Wie viele Daten greift TikTok ab?

dpa/REUTERS | Dado Ruvic)

KEHL. In den USA wird über ein Verbot der App TikTok diskutiert. TikTok-Chef Shou Zi Chew musste bereits im US-Kongress unbequeme Fragen beantworten. In den USA befürchtet man, dass die durch die App gesammelten Nutzerdaten von der chinesischen Regierung zu Spionagezwecken genutzt werden.

Auf folgende Daten hat TikTok Zugriff: Welche Videos angesehen werden, welche Kommentare geschrieben werden, Privatnachrichten, den Such- und Browserverlauf, die E-Mail-Adresse, Telefonnummer und – wenn man zustimmt – auch den Standort und die Kontaktliste.

Es besteht auch die Gefahr der konkreten Einflussnahme auf Inhalte. Etwa wird behauptet, dass die App Inhalte, die die Volksrepublik China kritisieren, schlechter verbreiten lässt oder gar zensiert.

19 Millionen Menschen nutzen TikTok in Deutschland, meist Menschen bis 25 Jahre; 23,6 Stunden im Monat verbringen die Nutzer im Durchschnitt auf der Plattform. Zum Vergleich: 31,6 Millionen Menschen nutzen Instagram, hier sind die Nutzer im Durchschnitt älter als bei TikTok. Über die App werden vor allem Kurzvideos hochgeladen und verbreitet.

Eine konkrete Gefahr gehe von TikTok nicht aus, so der US-amerikanische Cyberexperte Adam Segal. Beweise, dass die Daten tatsächlich missbraucht werden, gibt es bislang nicht. Es hat in der Vergangenheit zwar Cyberattacken aus China auf die USA gegeben, jedoch sind diese nicht auf TikTok zurückzuführen.

Deutschland schließt ein Verbot aus

In Deutschland hat Bundesinnenministerin Faeser ein Verbot ausgeschlossen. Sie sehe hierfür keine rechtliche Grundlage. Man sei sich der Gefahr jedoch bewusst und wolle allgemein gegen Einflussnahmen des chinesischen Staates vorgehen.

Es geht letztlich um nicht weniger als um den Widerstreit zweier Grundrechte: Staats- und Datenschutz auf der einen und Meinungsfreiheit auf der anderen Seite.

Nun stellt sich die Frage: Wieso wurde die Debatte um den Datenschutz nicht mit gleicher Vehemenz bei anderen Internet-Riesen wie Google, Facebook und Co. geführt?

Denn in unserer heutigen Internet-Gesellschaft tolerieren wir zumeist wohlwollend den offenliegenden Konflikt dieser beiden Grundrechte. Worum geht es also im Fall von TikTok genau?

„Soziale Medien werden zum Schauplatz einer alten Rivalität“

Der Verbotsstreit ist nur ein Gefecht von vielen, die zwischen den USA und China ausgetragen werden. Politisch und wirtschaftlich ringen die zwei Supermächte um die Vormachtstellung im globalen Machtgefüge. Es geht um Demokratie gegen Totalitarismus, aber auch um Silicon Valley gegen Shenzhen, um Steve Jobs‘ Philosophie gegen das Innovationslabor der chinesischen Machthaber. Die Aktualität des Ost-West-Konflikts zeigt, dass zur Wirklichkeit unserer globalisierten Welt nicht nur wunderbare Möglichkeiten des Austauschs und Miteinanders, sondern auch ernsthafte Konfrontationen gehören. Die sozialen Medien werden zum neuen Schauplatz einer alten Rivalität. Eine Rivalität, die mit den richtungsweisenden Büchern „Orientalism“ und „Clash of Civilizations“ seit Jahrzehnten in den Geisteswissenschaften diskutiert wird.

In außenpolitischer Hinsicht zeugt es von nicht wenig Selbstgerechtigkeit, wenn die USA ihren Regierungsmitarbeitern TikTok verbietet, aber vor gerade einmal 10 Jahren selbst in einen der größten Überwachungs- und Spionageskandale verwickelt war. Damals wurden durch den US-amerikanischen Geheimdienst NSA Telefongespräche von 122 Regierungschefs, darunter Angela Merkel, abgehört.

Vorsicht ist besser als Nachsicht

Andererseits liegt der Vorwurf der Spionage gegen die Volksrepublik nicht fern. Auch wenn momentan noch keine handfesten Beweise vorliegen: Vorsicht ist besser als Nachsicht. Ein Verbot der App in den USA zöge auch eine andere Betrachtungsweise in Deutschland nach sich. Das Bewusstsein für die Bedrohung der nationalen Sicherheit würde geschärft.

Wie so oft geht es auch um monetäre Interessen. Schließlich buhlt man auch um die Gunst der Jugendlichen und somit der Konsumenten von morgen. Solange sich jemand auf TikTok aufhält, kann seine Aufmerksamkeit nicht durch andere Social Media-Plattformen beansprucht und durch Werbeeinnahmen zu Geld gemacht werden.

Letztlich ist das drohende TikTok-Verbot in den USA ist nicht nur aufgrund der Spionageabwehr, sondern durchaus auch im Kontext des Umgangs mit sozialen Medien zu vertreten. Denn TikTok fördert generell die rein oberflächliche Beschäftigung mit jedweder Thematik. In den Kurzvideos besteht keine Möglichkeit zur tiefergehenden Auseinandersetzung mit Inhalten. TikTok bewegt sich zwischen Inhaltsleere und subtiler Meinungsmache, die mitunter propagandistische Formen annehmen kann. Insofern ist es nicht unbedingt negativ zu bewerten, wenn Jugendliche gezwungen werden, sich wieder durch andere Medien zu informieren und unterhalten zu lassen.

Quelle/Autor: Cora Nieter, Jens Ganzer

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