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Artikel aus den Verwaltungshochschulen

Kommentar: Ich mach mir die Wahl, widdewidde sie mir gefällt

"Es ist der Versuch, die Funktionsfähigkeit unseres demokratischen Systems zu retten, ohne dabei demokratisch vorzugehen." So beschreibt Autor Nico Gunzelmann die Wahlrechtsreform im Bund.
Plenarsaal Deutscher Bundestag

Die Ampel im Bund hat eine Wahlrechtsreform beschlossen.

dpa/ Flashpic | Jens Krick)

LUDWIGSBURG. Wenn man Kinder nach ihren Vorbildern und Lieblingsgeschichten fragt, wird man wohl erstaunlich oft den Namen des kessen rothaarigen Mädchens aus Schweden zu hören bekommen: Pippi Langstrumpf. Mit ihrer lebensfrohen und unbekümmerten Art macht sie sich ihren Alltag wie es ihr eben gerade passt. Doch nicht nur Kindern scheinen die Prinzipien der jungen Schwedin als Blaupause zu dienen. Auch in der Politik bediente sich der ein oder andere schon an den Lebensweisheiten der Pippi Langstrumpf.

So beispielsweise Andrea Nahles, die später Vorsitzende der SPD wurde, als sie in einer Bundestagsdebatte ihre, zugegebenermaßen schief gesungene, Interpretation des berühmten Pippi-Langstrumpf-Lieds zum Besten gab. Aber es gibt auch ein aktuelles Beispiel, welches leider ungleich weniger zum Schmunzeln einlädt: die Wahlrechtsreform der Ampelregierung.

Gut gemeint, schlecht gemacht oder wie gewollt und nicht gekonnt wären wohl passende Attribute dessen, was die Koalition am 17. März mit ihrer Regierungsmehrheit im Bundestag durchgedrückt hat. Es ist der Versuch, die Funktionsfähigkeit unseres demokratischen Systems zu retten, ohne dabei demokratisch vorzugehen. Eine Logik, die man vermutlich nur in der Villa Kunterbunt versteht.

Bundestag hat sich aufgebläht

Grundsätzlich ist eine Wahlrechtsreform richtig: In den letzten Legislaturperioden hat sich der Deutsche Bundestag mehr und mehr aufgebläht. Entgegen der ursprünglich angedachten Anzahl von 598 Abgeordnete sitzen zurzeit 739 im Parlament. Nur noch der Volkskongress in China ist größer. So wichtig wie das Anliegen also ist, so faul ist der Verbesserungsvorschlag der Bundesregierung, der sich mehr an politischem Kalkül als an vornehmen demokratischen Idealen orientiert.

So sieht die Reform unter anderem vor, den mit der Erststimme mehrheitlich gewählten Direktkandidaten nicht mehr ins Parlament einziehen zu lassen, wenn es das Zweitstimmergebnis seiner Partei nicht zulässt. Das würde bedeuten, dass der betreffende Wahlkreis gar nicht mehr direkt im Bundestag vertreten ist. Nach derzeitigem Wahlrecht würde der mit Erststimme gewählte Direktkandidat als Überhangmandat dennoch einen Sitz im Parlament erhalten. Und das aus gutem Grund: die Wahl des Direktkandidaten mit der Erststimme ist die direkteste Form, wie die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland an der Demokratie teilhaben können. Außerdem sichert die Erststimme zu, dass jeder Fleck der Bundesrepublik einen Vertreter im Bundestag hat, der die einzelnen Sorgen und Nöte seines Wahlkreises kennt und an den sich die jeweiligen Bürgerinnen und Bürger direkt wenden können. Mit dem neuen Wahlrecht entfiele diese Möglichkeit. Außerdem dürfte es in Anbetracht eines ohnehin schwindendenden Vertrauens in die Demokratie wohl sehr schwer zu vermitteln sein, dass ein eigentlich gewählter Kandidat nicht mehr beachtet wird.

CSU bald nicht mehr im Bundestag vertreten?

Darüber hinaus soll auch die sogenannte Grundmandatsklausel abgeschafft werden. Diese garantiert Parteien, die bundesweit unter der 5%-Prozenthürde bleiben, gemäß ihrem Zweitstimmergebnis dennoch ins Parlament einzuziehen, wenn sie drei Wahlkreise gewonnen hat. Von dieser Regelung profitiert zurzeit beispielsweise die Partei Die Linke, die nur im Bundestag vertreten ist, weil sie in Berlin drei Wahlkreise gewinnen konnte. Relevant könnte diese Regelung aber künftig auch für die CSU werden. Da die CSU nur in Bayern antritt, ist ihr Zweitstimmergebnis bundesweit niedrig, obwohl sie in Bayern selbst fast alle Wahlkreise gewinnen konnte (in dieser Legislaturperiode 46 von 47). Die Wahlrechtsreform könnte nun dazu führen, dass die CSU nicht mehr in den Bundestag einzieht, da sie unter der 5%-Hürde liegt, obwohl sie gemessen an den Wahlkreisen fast ganz Bayern und damit über 13 Millionen Menschen direkt repräsentiert.

Wäre eine der Ampelparteien in selbiger Lage, wäre es niemals zu diesem Vorschlag gekommen – politisches Kalkül auf Kosten der Demokratie. Nun könnte man sagen, die CSU müsse deutschlandweit antreten, allerdings ist es nicht die Aufgabe einer Bundesregierung zu bestimmen, wie und wo eine Partei für eine Wahl zu kandidieren hat. Erst recht nicht, wenn diese Partei von fast einem ganzen Bundesland gewählt wird. Dabei ist es irrelevant, um welche Partei und welches Bundesland es sich handelt.

Vorgehensweise erinnert an Pippi Langstrumpf

Zuletzt gebietet es der demokratische Anstand, einen Vorschlag zur Wahlrechtsreform im größtmöglichen Konsens aller demokratischen Parteien zu beschließen, sowie es in der Vergangenheit gang und gäbe war. Mögliche Vorschläge gibt es zur Genüge. Die Ampelparteien aber nutzen lieber die Gelegenheit, die Demokratie noch mehr zu verschleiern und einen unliebsamen politischen Gegner, der nebenbei fast ein ganzes Bundesland vertritt, zu beseitigen.

Das erinnert von der Vorgehensweise weniger an aufrechte Demokratinnen und Demokraten als an ein kühnes junges Mädchen mit roten Haaren. Oder wie Andrea Nahles jetzt anstimmen würde: „Ich mach mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt.“

Quelle/Autor: Nico Gunzelmann

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