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Als Unrecht in Gesetzesform gegossen wurde

Das NS-Sondergericht in Baden war im Westflügel des Mannheimer Barockschlosses untergebracht.
IMAGO/Zoonar.com/Günter Gegenheimer)Karlsruhe. Ein Mann sagt nach eineinhalb Jahren Regierung der Nationalsozialisten in der Öffentlichkeit, „dass Hitler bisher noch nichts gebracht hat“. Ein anderer hört einen englischen Rundfunksender in deutscher Sprache, eine Frau hat abgetrieben und so „die Lebenskraft des deutschen Volkes maßgeblich beeinflusst“. Und ein Metzgermeister hat heimlich ein Rind geschlachtet. Für alle endete ihr Tun mit dem Tod oder langen Haftstrafen wegen eines Sondergerichts, das ohne Rücksprache handeln durfte.
Am 21. März 1933 wurde von den Nationalsozialisten die „Verordnung zur Bildung von Sondergerichten“ verkündet. Mehr als 12 000 Akten gibt es allein vom badischen Sondergericht, das damals im Mannheimer Barockschloss untergebracht war. Es folgten weitere Verordnungen wie etwa eine gegen „Volksschädlinge“, die die Regierung herausgab, ohne mit dem Parlament zu sprechen.
„Es erschreckt mich heute noch, dass damals solche Texte entstanden sind, die zum Inhalt nur Unrecht enthielten“, sagte der ehemalige Generalbundesanwalt und aktuelle Verfassungsrichter Peter Frank am Montagabend bei einem Podiumsgespräch im Generallandesarchiv in Karlsruhe zum Thema „Der 8. Mai 1945 – Befreiung von Unrecht?“.
Die Gewaltenteilung wurde damals aufgehoben einzig mit dem Ziel, „einen kurzen Prozess zu machen“, sagt Michael Kißener, Professor für Zeitgeschichte an der Universität Mainz. „Das war keine Auslegung von Gesetzen, sondern eine Einlegung von NS-Ideologie in Normen“, ergänzt Cord Brügmann, Jurist, Historiker und Direktor der Stiftung Forum Recht.
Das Regime nutzte den Hebel der Justiz, um Gegner auszuschalten
Doch wie konnte es dazu kommen, dass eine Regierung faktisch das Unrecht in Gesetzesform gießen konnte? „Das nationalsozialistische Regime nutzte den Hebel der Justiz, um politische und regimekritische Gegner auszuschalten“, schreibt Martin Stingl, Leiter des Generallandesarchivs, in einer Mitteilung.
Die Sondergerichte wurden ab 1933 mit zunehmenden Befugnissen ausgestattet, „die unter Aushöhlung rechtsstaatlicher Grundsätze zur Durchsetzung und Festigung der Herrschaft der NSDAP maßgeblich beitrug“, betont Stingl.
In den Jahren 1933 bis 1945 wurden vor dem ehemaligen Sondergericht Mannheim rund 8000 Fälle verhandelt, die heute zum Bestand des Generallandearchivs Karlsruhe gehören. Knapp 700 Fälle des Sondergerichts Freiburg lagern zudem im Staatsarchiv Freiburg.

Schulübergreifender Seminarkurs beschäftigt sich mit den Akten
In szenischen Lesungen wurden bei der Veranstaltung einzelne Akten vorgetragen von Schülern des Bismarck-, Goethe- und Helmholtz-Gymnasiums Karlsruhe, die sich in einem schulübergreifenden Seminarkurs damit beschäftigen. Der Seminarkurs ist Teil des Projekts „Denunziation – Repression – Verfolgung: Politischer Dissens und Alltagskriminalität vor den nationalsozialistischen Sondergerichten 1933-1945“, das von der Stiftung Erinnerung – Verantwortung – Zukunft (EVZ) gefördert wird.
Die NS-Sondergerichte ermöglichten unter drastischer Beschneidung der Rechte des Angeklagten beschleunigte Verfahren ohne gerichtliche Voruntersuchung, gegen deren Urteile keine Rechtsmittel zulässig waren. Könnte das heute auch wieder passieren? „Nein“, sagt Verfassungsrichter Peter Frank. Sondergerichte würden gegen die Verfassung verstoßen. Diese regelt, dass es keine Ausnahmegerichte mehr geben darf.
Es bestehe allerdings eine Gefahr der Wiederholung, „wenn in der Demokratie die falschen Personen an der richtigen Stelle sitzen“, ergänzt Brügmann. Jedoch bestehe aus seiner Sicht keine Gefahr, „dass so etwas bei uns schnell geschehen könnte“, betont der Jurist.
„Geschichte wird sich sicherlich nicht 1:1 wiederholen“, sagt Kißener. „Aber strukturell kann durchaus wieder etwas Ähnliches entstehen“, warnt der Historiker – und mahnt: „Wir müssen den Rechtsstaat wertschätzen und die Juristen schützen“.