Themen des Artikels

Um Themen abonnieren und Artikel speichern zu können, benötigen Sie ein Staatsanzeiger-Abonnement.Meine Account-Präferenzen

Expertenbeitrag

Hochrangige Politiker aus Baden-Württemberg

Ob Kurt-Georg Kiesinger, Carlo Schmid oder Theodor Heuss: Aus dem Ländle kamen seit Gründung der Bundesrepublik Politiker, die es sowohl landesweit als auch bundesweit bis in die höchsten Spitzenpositionen schafften. Und dabei nicht zwingend in Baden-Württemberg geboren sein mussten wie etwa Roman Herzog oder auch nicht aus der lokalen oder regionalen Politik stammten wie beispielsweise Horst Köhler.

Seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland gab es einige Spitzenpolitiker aus Baden-Württemberg, die auch bundesweit höchste politische Ämter inne hatten.

Porträtbilder (v. l. nach r.): Imago/Zuma, Schaack Lothar, Bundesarchiv (alle obere Reihe), Imago Stock & People, Michael von der Lohe, Bundesarchiv)

Stuttgart. Landespolitik umfasst so unterschiedliche Aufgaben wie Gemeindefinanzreform, Landesplanung, Landesnaturschutz oder Schulpolitik. Aber der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg war und ist immer auch ein bundespolitischer Machtfaktor. Bei Lothar Späth, der 1989 Helmut Kohl gerne gestürzt hätte, war dies besonders sichtbar und ist durch den gescheiterten Putsch von Bremen in die Annalen der CDU-Geschichte eingegangen.

Aufs Ganze betrachtet, und dieser Befund wird erst recht vor dem Hintergrund der zahlenmäßigen Erweiterung der deutschen Bundesländer durch die Wiedervereinigung des Jahres 1990 deutlich, hat das politische Gewicht Baden-Württembergs wohl seinen Höhepunkt in der späten Bundesrepublik der 1970er und 1980er Jahre erreicht.

Wer sich die Riege der Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg betrachtet, der findet in den Einzelbiographien von Reinhold Maier, dem Fuchs aus dem Remstal (1952/53), Gebhard Müller (1953-1958), dem nüchternen Verwaltungsjuristen mit der ausgeprägten Neigung zur schwäbischen Sparsamkeit und dem Schutz der Staatskasse vor unnötigen Geldausgaben, mit Kurt Georg Kiesinger (1958-1966), dem glanzvollen und sprachgewandten Repräsentanten, „König Silberzunge“ apostrophiert, der die Jahre des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Aufstiegs ganz maßgeblich geprägt hat, echte Charaktere.

Kurt Georg Kiesinger war der Ministerpräsident der Jahre 1958 bis 1966. Als Wahlkreisabgeordneter für Ravensburg seit 1949 und später als Vorsitzender des renommierten Auswärtigen Ausschusses war Kiesinger bereits ein profilierter Bundespolitiker, der sich frühzeitig in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion als ein Verfechter der Entspannungspolitik, aber auch durch ein klares Bekenntnis zum westlichen Bündnis einen Namen gemacht hatte.

Kiesinger wurde Kritisch beäugt und war ein vorsichtiger Taktiker

Kiesinger zählte dabei innerhalb der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu denjenigen, die von Adenauer kritisch beäugt wurden. Kiesinger war ein vorsichtiger Taktierer. Dem nordwürttembergischen CDU-Landesvorsitzenden Klaus H. Scheufelen hatte er im Vorfeld der Kandidatensuche zugeraunt: „Bitte meinen Namen nur, wenn Chance ist“.

Dabei hatte sich Kiesinger durch unermüdliche Reisen sorgfältig vorbereitet und im Land bekannt gemacht, um einen allfälligen Vorwurf der „landespolitischen Unbedarftheit“ entgegenzutreten.

Bereits Kiesingers Wahl zum Ministerpräsident 1958 war von scharfen Debatten über seine NSDAP-Mitgliedschaft geprägt. Seine Amtsführung als „Philosoph auf dem Landesthron“ hat vor allem durch die bildungspolitischen Akzente – Begründung der Universität Konstanz – und den personellen Ausbau des Staatsministeriums, dazu beigetragen, das politische Gewicht Baden-Württembergs zu erhöhen.

Kiesinger war als Ministerpräsident von Baden-Württemberg in der CDU eine feste Größe, doch er war 1966 als der nach den erfolgreichen Bundestagswahlen im September 1965 einsetzende rapide Zerfall der Regierung Erhard einen Wechsel im Amt des Bundeskanzlers in den Bereich der Möglichkeiten rücken ließ, nicht der natürliche Kandidat. Rainer Barzel als Fraktionsvorsitzender und Gerhard Schröder als Außenminister ließen jeweils keinen Zweifel daran, dass sie sich für den besseren Kanzler hielten.

Baden-Württemberg war an Erhards Kabinettstisch, wie schon bei Konrad Adenauer, durch Bruno Heck erfolgreich vertreten. Zwar hatte Kiesinger Erhard mehrfach gemahnt, die Dinge nicht schleifen zu lassen.

Aber es war dann sowohl dem Einfluss der Mehrheit des CSU-Präsidiums – Franz Josef Strauß wollte allerdings Eugen Gerstenmaier – als auch der Ungeschicklichkeit Gerhard Schröders geschuldet, der Kiesinger am Vorabend der Entscheidung das vermeintlich großzügige Angebot unterbreitet hatte, dass jener unter ihm Außenminister und die deutsch-französischen Beziehungen reparieren könne, dass sich der Kompromisskandidat Kiesinger 1966 am Ende durchgesetzt hat.

So sehr Kiesinger von 1958 bis 1966 als Landesvater die Geschicke Baden-Württembergs geprägt hat, so wenig ambitioniert war sein Verständnis „als wandelnder Vermittlungsausschuss“ als Bundeskanzler in der von ihm geführten Großen Koalition.

Ministerpräsident und Bundeskanzler

Dennoch zählt Kiesinger, so wie Willy Brandt (als Regierender Bürgermeister von Berlin), Helmut Kohl, Gerhard Schröder und Olaf Scholz (als Erster Bürgermeister von Hamburg) zu den fünf Bundeskanzlern der Bundesrepublik, die vor ihrer Berufung ins Amt des Bundeskanzlers Ministerpräsident eines Bundeslandes gewesen sind.

Neben den Ministerpräsidenten waren es immer wieder einzelne Politiker aus Baden-Württemberg, die sehr hoch gestiegen sind – Theodor Heuss, als überragender Bundespräsident des ersten Nachkriegsjahrzehnts, auch Roman Herzog als Bundespräsident, der von 1978 bis 1983 als Landesminister mit dem Rückenwind aus Baden-Württemberg seine weitere Karriere vorbereitete.

Selbst der Nicht-Politiker und hohe Beamte Horst Köhler, der zwar nie im Landesdienst und 2004 überraschend Bundespräsident wurde, könnte dazugerechnet werden. Und es waren Männer wie Carlo Schmid, Eugen Gerstenmaier und Wolfgang Schäuble, die eine tiefe Furche der Geschichte der Bundesrepublik gezogen haben.

Die jeweiligen Landesgruppen haben Einfluss und Gewicht

Wer das innere Gefüge des Deutschen Bundestages kennt, weiß um das Gewicht der Landesgruppen. Den Landesgruppen Baden-Württemberg der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien hat es zudem nie an Macht- und Selbstbewusstsein gefehlt. Die Zusammensetzung einer Bundesregierung, die Auswahl der Minister erfolgt – wir haben es gerade gesehen – durch die jeweiligen Parteivorsitzenden, muss immer den regionalen Proporz widerspiegeln. Dies zählt zu den Lebensgesetzen der zweiten deutschen Demokratie, die immer auch Konsensdemokratie ist und gemeinsame, bisweilen auch kleinste gemeinsame Nenner sucht.

Die föderale Struktur der Bundesrepublik spiegelt sich in den informellen Zirkeln und Gremien. Der Begriff der Hausmacht kommt scheinbar aus einer anderen Zeit. Doch er beschreibt ganz gut die Machtbasis in der Bundes- wie Landespolitik.

Die starke Verbundenheit aller, die in und für Baden-Württemberg in Bonn und Berlin Politik gemacht haben, mit ihrem „Ländle“, ist auffällig und kann als Indiz dafür genommen werden, dass es dem 1952 gebildeten Südweststaat weder an Identität noch an politischem Selbstbewusstsein mangelt.

Der vordergründige Eindruck, dass die Baden-Württemberger gerne die Kerneraufgaben in der zweiten Reihe übernehmen, aus jüngster Zeit würden dazu die politischen Biographien des gegenwärtigen Kanzleramtsministers Thorsten Frei und des langjährigen Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, in der Merkelzeit einfallen – ist vordergründig richtig und verstärkt sich durch die Häufung der Biographien der nearly men Gerstenmaier, Schäuble und Späth, aber kann so wohl nicht als durchgängiger Befund gelten.

Auffällig ist schließlich auch die noch immer ins Auge fallende Prägung des Landes durch die CDU, ebenso wie der Umstand, dass die FDP auch in ihrem Stammland im Laufe der Jahre in eine drastische Abwärtsspirale geraten ist und mit ihrem politischen Personal nur in den Anfangsjahren der Bundesrepublik Staat machen konnte.

Schließlich haben die Grünen in gewisser Hinsicht der SPD den Rang abgelaufen und dadurch, dass Winfried Kretschmann ganz in die Rolle des Landesvaters geschlüpft ist, einen Anspruch geltend gemacht, der die nächsten Landtagswahlen mit Spannung erwarten lässt.

Die Beschäftigung mit den Biographien ist zugleich ein Spiegel von politischem Erfolg, Mut und Charakter. Sie lehrt zudem die Einsicht, dass es immer nur ganz wenige sind, die über die Gabe verfügen zu prägen.

Zur Person: Historiker und ehemaliger Beamter

Ulrich Stefan Schlie wurde 1965 in Nürnberg geboren und ist Historiker und ehemaliger politischer Beamter. Von November 2005 bis März 2012 war er Leiter des Planungsstabs und von April 2012 bis Februar 2014 als Ministerialdirektor der Leiter der Abteilung Politik im Bundesministerium der Verteidigung tätig. Derzeit hat er die Henry-Kissinger-Professur für Sicherheits- und Strategieforschung am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn inne.

Schlie schrieb unter anderem Bücher und Artikel über die europäische Geschichte seit dem 18. Jahrhundert und zur deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Er ist Mitglied des International Institute for Strategic Studies (IISS) und der Atlantik-Brücke.

Ulrich Schlie, Professor für Sicherheits- und Strategieforschung. Foto: Universität Bonn

Nutzen Sie die Vorteile unseres

Premium-Abos. Lesen Sie alle Artikel aus Print und Online für

0 € 4 Wochen / danach 199 € jährlich Nachrichten aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung in Baden-Württemberg Jetzt abonnieren

Lesen Sie auch