Mindestkriterien

Nicht alles ist verhandelbar im Verhandlungsverfahren

Im Verhandlungsverfahren dürfen grundsätzlich alle Inhalte der Angebote zwischen dem Auftraggeber und den Unternehmen verhandelt werden. Allerdings sind neben den Zuschlagskriterien auch die in den Vergabeunterlagen festgelegten Mindestanforderungen nicht verhandelbar. Wann aber sind Mindestanforderungen „unverhandelbar festgelegt? Holger Schröder,Fachanwalt für Vergaberecht bei Partner Rödl & Partner, Nürnberg klärt darüber auf.

Verhandlungen über den ausgeschriebenen Leistungsgegenstand und die Angebote sind erlaubt und oft notwendig.

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N ÜRNBERG . Laut der EU-Vergaberichtlinie sollen Verhandlungen dazu dienen, die Angebote so zu verbessern, dass der öffentliche Auftraggeber Bau-, Liefer- und Dienstleistungen erhält, die genau auf seinen Bedarf zugeschnitten sind.

Dabei sind Verhandlungen über den ausgeschriebenen Leistungsgegenstand und die Angebote erlaubt und oft notwendig, um den späteren Vertragsinhalt zu konkretisieren. Diese Verhandlungen können alle Merkmale der ausgeschriebenen Leistungen betreffen, wie Qualität, Mengen, Geschäftsklauseln sowie soziale, umweltbezogene und innovative Aspekte, soweit es sich nicht um Mindestanforderungen handelt.

Physische, funktionale und rechtliche Mindestanforderungen

Die öffentlichen Auftraggeber legen die Mindestanforderungen fest, die physische, funktionale und rechtliche Bedingungen sowie wesentliche Merkmale umfassen, die jedes Angebot erfüllen muss. Diese Anforderungen dienen dazu, sicherzustellen, dass nur geeignete Unternehmen den Zuschlag für öffentliche Aufträge erhalten, die über die notwendigen fachlichen, technischen und wirtschaftlichen Kapazitäten verfügen. Angebote, welche die Mindestanforderungen nicht erfüllen, müssen ausgeschlossen werden. Die EU-Richtlinie betont, dass die öffentlichen Auftraggeber diese Mindestanforderungen im Voraus festlegen sollten und während der Verhandlungen nicht mehr ändern dürfen.

Zwar könnte die Formulierung in Paragraf 17 Absatz 10 Vergabeverordnung (VgV) „vom Auftraggeber festzulegenden […] Bedingungen“ darauf hindeuten, dass der Auftraggeber zur Festlegung von Mindestanforderungen verpflichtet ist, urteilte das Oberlandesgericht Düsseldorf (Beschluss vom 28. März 2018 – Verg 54/17). Jedoch bedeutet dies nicht zwingend, dass diese Anforderungen bereits zu Beginn des Verhandlungsverfahrens festgelegt werden müssen oder dass sie nicht auch zu einem späteren Zeitpunkt festgesetzt werden könnten.

Die Vorschrift basiert auf europäischem Recht, daher ist eine richtlinienkonforme Auslegung erforderlich. Laut dem nordrhein-westfälischen Vergabesenat bedeutet die Formulierung „sollten […] im Voraus angeben“ nicht, dass die Anforderungen zwingend im Voraus festgelegt werden müssen. Es ist empfehlenswert, dies vor der ersten Verhandlungsrunde zu tun, aber es besteht keine Verpflichtung. Der Auftraggeber könne die Mindestanforderungen auch nach der ersten Verhandlungsrunde festlegen, soweit dies die Grundsätze des Wettbewerbs, der Gleichbehandlung und der Transparenz nicht beeinträchtigt.

Das Gleichbehandlungsgebot kann aber verletzt werden, wenn ein öffentlicher Auftraggeber nach der Abgabe der Erstangebote neue Mindestanforderungen einführt, die nur einige Teilnehmer erfüllen können. Zwar können manche öffentlichen Auftraggeber erst im Verlauf der Verhandlungen erkennen, ob und welche Mindestanforderungen wettbewerbsverträglich sind. Jedoch könnten wettbewerbsausschließende Mindestanforderungen möglicherweise nicht mehr durch das Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers gedeckt sein.

Nachträglicher Verzicht auf Mindestanforderungen unzulässig

Es bleibt angesichts des Wortlauts des EU-Rechts zweifelhaft, ob solche neuen Mindestanforderungen durch eine sehr gute Begründung und Dokumentation gerechtfertigt werden können. Ein nachträglicher Verzicht auf ursprünglich festgelegte Mindestanforderungen ist jedenfalls unzulässig (Vergabekammer Westfalen, Beschluss vom 27. Oktober 2023 – VK 3-30/23). Daher sollten öffentliche Auftraggeber Mindestanforderungen bereits in den Vergabeunterlagen festlegen und darauf achten, keine zu hohen Anforderungen zu setzen, die den Vergabewettbewerb später einsch ränken könnten.

Was die VgV erlaubt

Paragraf 17 Absatz 10 VgV lautet: „Der öffentliche Auftraggeber verhandelt mit den Bietern über die von ihnen eingereichten Erstangebote und alle Folgeangebote, mit Ausnahme der endgültigen Angebote, mit dem Ziel, die Angebote inhaltlich zu verbessern. Dabei darf über den gesamten Angebotsinhalt verhandelt werden mit Ausnahme der vom öffentlichen Auftraggeber in den Vergabeunterlagen festgelegten Mindestanforderungen und Zuschlagskriterien.“

Holger Schröder ist Fachanwalt für Vergaberecht sowie Partner bei der Kanzlei Rödl & Partner in Nürnberg.

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