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Manne Lucha zur Krankenhausreform: „Führen keine Schlachten um Standorte mehr“

Die Gesundheitsminister verhandelten in dieser Woche in Friedrichshafen über die Krankenhausreform. Gastgeber Manne Lucha (Grüne) sieht die Klinikstruktur in Baden-Württemberg als modellhaft für die Reform. Am Montag wollen sich die Länder und der Bund auf gemeinsame Eckpunkte einigen.
Manne Lucha (Bündnis 90/Die Grünen), Baden-Württembers Minister für Gesundheit und und Vorsitzender der Gesundheitsministerkonferenz, spricht nach der Bund-Länder-Runde zur geplanten Krankenhausreform in einer Pressekonferenz. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe soll über Eckpunkte für die Reform beraten.

Manne Lucha ist Vorsitzender der Gesundheitsministerkonferenz. Bund und Länder konnten sich bislang nicht auf Eckpunkte für die Krankenhausreform einigen.

dpa/ Britta Pedersen)

Staatsanzeiger: Wie ist es, mit Karl Lauterbach zu verhandeln? Sie sind ja Verhandlungsführer der Länder. 

Manne Lucha: Es ist konstruktiv, Herr Lauterbach ist ein absoluter Profi. Er ist ein Vollblutpolitiker und ist durch und durch Wissenschaftler. Er kennt das politische Geschäft und prägt den Gesundheitsbereich seit zwei Jahrzehnten mit. Aber es gibt ja unterschiedliche Aufgaben der Länder und des Bundes. Herr Lauterbach hat vom ersten Tag an signalisiert, dass ihm ein Einvernehmen wichtig ist. Er und ich gehörten den jeweiligen Verhandlungsgruppen für den Koalitionsvertrag im Bund an, und da haben wir was Gutes hinbekommen. 

Sie haben eine Doppelfunktion. Sie sind Vorsitzender der Gesundheitsministerkonferenz und gleichzeitig vertreten Sie Baden-Württemberg. Ist das schwierig?

Es ist leicht und schwierig gleichermaßen. Es ist leicht, weil sich das Leitbild Baden-Württembergs, die sektorenübergreifende Versorgung voranzubringen, jetzt schon ausgezahlt hat. Beim Punkt der Primärversorgung sind wir uns bei den Verhandlungen fast einig und der folgt den Erfahrungsmustern aus Baden-Württemberg, die Herr Lauterbach ausdrücklich lobt. Und natürlich ist es eine Reform, die ein bisschen die Quadratur des Kreises beschreibt. Wir bilden sowohl die Bedarfe von einwohnerschwachen Gebieten in der Sicherung der Grundversorgung ab als auch ein Land wie Baden-Württemberg, das schon sehr effizient ist.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und Manne Lucha
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat in Friedrichshafen mit den Ministern der Länder, darunter Manne Lucha, über die Reform verhandelt. Foto: Sozialministerium

Die Verhandlungen für die Krankenhausreform befinden sich auf der Zielgeraden. Welche Punkte sind Ihnen besonders wichtig? 

Es muss geklärt werden, dass alles, was die Planungshoheit der Länder betrifft, dort auch verantwortet wird. Außerdem muss der Anteil der Vorhaltevergütung, die unabhängig von der tatsächlichen Nutzung der Betten gezahlt wird, so ausgestattet sein, dass sie für die Versorgung weiterhin Spielräume lässt.

Sie haben sich erfolgreich gegen die Einteilung der Krankenhäuser in Level gewehrt. Was spricht dagegen? 

Dagegen spricht, dass die Einteilung in Level suggeriert, dass es nur an bestimmten Orten Qualität gibt. Diese muss aber überall stattfinden. Klar ist, dass bisherige Maximalversorger oder Universitätskliniken ein anderes Leistungsspektrum haben. Da haben wir heute schon sehr viele Vorgaben, etwa dass komplexe Operationen nur dort gemacht werden können.  Wir haben auch eine Festlegung auf OP-Mindestmengen, die wir nicht unterschreiten wollen. Aber in eine Level-Einteilung passen bestimmte, gute Angebotsmuster nicht hinein. Deswegen verzichten wir darauf, beschreiben aber genau, an welchen Standorten welche Leistung erbracht wird. Und das ist dann auch ein Qualitätsmerkmal: Die Bürgerinnen und Bürger müssen sich darauf verlassen können, dass die medizinische und pflegerische Leistung, die sie am Standort X erhalten, die bestmögliche ist.

Gibt es keine Qualitätsunterschiede zwischen den einzelnen Kliniken?

Es gibt Unterschiede in der Erbringung der Art der Leistung. Es wird nicht jeder eine Pankreas-OP machen. Es wird weiterhin Zentren geben, die die Qualitätsvoraussetzungen erbringen, die wir wiederum über Leistungsgruppen definieren. Insofern bedarf es da keiner Einteilung in Level. Und gerade wir in Baden-Württemberg waren gut beraten, in den letzten Jahren Standorte zusammenzufassen. Wir haben gute Angebote in ländlichen und städtischen Räumen geschaffen. 

Nach den ersten Plänen von Herrn Lauterbach gab es einen Aufschrei. Da war noch die Rede davon, dass selbst große Kliniken zittern müssen. 

Die Level, die die Expertenkommission vorgegeben hat, hatten für den Bundesminister einen Informations-aspekt, vor allem über die Größe von Einrichtungen. Fest steht: Sollte er noch an Leveln festhalten, werden sie keine Bindungswirkung auf das Leistungsgeschehen haben. Das ist ausschließlich vorgesehen in der Strukturierung und in der Festlegung der Leistungsgruppen.

Der Verlust eines Krankenhauses in einer Kommune oder einem Landkreis wird mitunter emotional aufgefasst. 

Das haben wir doch schon gevespert. Die großen Kontroversen sind in Baden-Württemberg, was Standorte betrifft, entschieden. Da führen wir keine zukünftigen Schlachten um große Schließungsdebatten mehr. Es wird noch um die eine oder andere kleinere Einheit gehen, die aber in der Regel auf einem guten Weg ist. 

Bei der Standortsuche für das Klinikum Mittelbaden gab es einen Bürgerentscheid gegen den geplanten Standort.

Da ging es nicht um die Krankenhausversorgung, sondern es gab Einwohner, die dieses Bauwerk nicht haben wollten. Der Entscheid ging eindeutig für den Standort aus. Ich selbst war dort und habe offensiv dafür geworben. Das Beispiel zeigt, dass die Kommunen rasch in der Lage sind, mit einem Ein-Standort-Haus das richtige Angebot zu machen. Das war auch in der Ortenau so. Das klappt, wenn man die Leute informiert und mitnimmt, wofür wir ja auch die strukturierten Dialoge haben. Ich selbst war in sehr, sehr vielen Kreistagen bis hin zu einzelnen Fraktionen. Wir haben einen radikalen Rückgang der Fallzahlen gehabt im letzten Jahr. Darum sind auch die Krankenhäuser in diese großen finanziellen Schwierigkeiten geraten. Da müssen wir bündeln. 

Wird die Krankenhausreform der große Wurf, als der sie angekündigt wurde? 

Die angestrebte Entökonomisierung ist ein Paradigmenwechsel. Dabei werden die Fallpauschalen bei circa 40 Prozent ein Faktor bleiben. Aber 60 Prozent werden über die Vorhalte-Vergütung plus das Pflege-Budget gedeckt. Mit diesem Kostendeckungsbudget sollen Fehlanreize verhindert werden. Denn die Medizin am Standort X soll qualitativ hochwertig gemacht werden und nicht, damit man Erträge hat. Drei Bereiche sind davon ausgenommen: Kindermedizin, Geburtshilfe und Notfallmedizin werden extra budgetiert. Zudem kommt durch die Reform die Primärversorgung. Sie ermöglicht die sektorenübergreifende Versorgung von vielen Anbietern, die bisher gegeneinander und nicht miteinander gearbeitet haben. 

Offene Fragen nach Ministertreffen am Bodensee

Die Gesundheitsminister trafen sich auf Einladung Manne Luchas am Mittwoch und Donnerstag in Friedrichshafen. Zentrales Thema war am Donnerstag die Krankenhausreform. Wie in der vergangenen Woche konnten sich Länder und Bund nicht auf Eckpunkte einigen. Am Montag beraten die Minister mit den Fraktionen des Bundestags über die Reform. Ob es eine Einigung geben wird, konnten die Vertreter der Länder sowie Lauterbach nicht vorhersagen. Im Raum stehen sechs Streitpunkte. Karl Lauterbach wollte diese nicht im Einzelnen nennen und verwies auf die Vertraulichkeit der Gespräche. Konkret nannten die Beteiligten als strittiges Thema die Leistungsgruppen, nach denen die Klinik-Leistungen entsprechend vergütet werden sollen.

Rückblick: Wie haben Sie die Zeit während Corona persönlich erlebt? Der politische Druck war enorm.

Die Leute hier im Ministerium haben 24/7 gearbeitet. Vorneweg ist es die Aufgabe des Ministers, für und mit seinen Fachleuten, die Expertise haben und für die Rechtssicherheit sorgen, zusammenzuarbeiten. Der politische Raum ist nicht gnädig. Die Opposition in Baden-Württemberg war auch noch im Wahlkampfmodus. Ihre Strategie war die persönliche Schädigung statt fachlicher Auseinandersetzung. Da braucht man eine gute Mannschaft.

Die Kommunen mussten die Verordnungen relativ kurzfristig umsetzen. Kann man den Ablauf, auch für künftige Krisen, anpassen?

Ja, manche Verordnung kam sehr kurzfristig, aber der Prozess, wie diese zustande kam, der war durch die Umstände vorgegeben. Wenn Sie situativ und adäquat handeln müssen während einer sehr dynamischen Infektionskrankheit, dann müssen Sie sehr kurzfristig reagieren. Die kommunale Seite saß mehrmals wöchentlich am Tisch.

Sie sind auch Minister für Integration. In Frankreich erleben wir gerade, was passiert, wenn diese nicht funktioniert. Was läuft hier anders, dass es solche Ausschreitungen nicht gibt?

Ich würde nie und nimmer die französische Situation mit unserer vergleichen. Darum erlaube ich mir keine Wertung. Was ich aber bei uns als allergrößten Vorzug sehe, ist der Föderalismus. Dieser ermöglicht das unmittelbare kommunale Handeln. Durch das Integrationsmanagement, das wir auf den Weg gebracht haben, konnten wir 1200 Integrationsmanagerinnen und Integrationsmanager flächendeckend und dauerhaft einsetzen. Zudem haben wir die Integrationsbeauftragten vor Ort. Die Mittel dafür stellen wir den Kommunen und den Wohlfahrtsverbänden zur Verfügung, damit diese nach den jeweiligen Gegebenheiten die Arbeit gestalten. Das gewährt eine große Stabilität im Umgang mit den Menschen mit Fluchtgeschichte.

Sie haben sich für die Kindergrundsicherung ausgesprochen. Nun will Bundesfinanzminister Lindner nur zwei Milliarden dafür einplanen, Bundesfamilienministerin Paus rechnete aber mit zwölf Milliarden Euro.

Herr Lindner verstößt zum zweiten Mal entscheidend gegen eine Verabredung aus dem Koalitionsvertrag. Das ist nicht akzeptierbar.

Quelle/Autor: Rafael Binkowski und Philipp Rudolf

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