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Waldweiden

140 Ziegen für mehr Artenvielfalt

Nach über 100 Jahren gibt es sie wieder: Ziegen im Wald bei Utzenfeld. Nicht die Tierernährung, sondern der Arten- und Klimaschutz stehen dabei im Vordergrund. Wissenschaftler sehen weiteres Zukunftspotenzial der modernen Waldweiden in den zunehmenden Dürreregionen.
Sechs Ziegen auf einer Wiese mit Bäumen im Hintergrund.

Die Ziegen auf der Waldweide im südbadischen Utzenfeld fressen künftig drei Tage im Monat die Fläche ab.

Susanne Hartwein)

Utzenfeld. Seit Juni weiden 140 Ziegen von Klaus und Lukas Wetzel in einem Wald bei Utzenfeld im Südschwarzwald. Ganz legal: Die höhere Naturschutzbehörde des Regierungspräsidiums Freiburg hat die Genehmigung dazu erteilt. Denn moderne Waldweiden rücken immer stärker in den Fokus der Fachleute in den Behörden, der Wissenschaft, von Kommunen und von Praktikern aus Land- und Forstwirtschaft.

Bis Mitte des 19. Jahrhunderts wurden in den Wäldern Rinder, Pferde, Schweine, Schafe, Ziegen und Gänse gehalten. Um die durch Übernutzung und Kahlschlag beschädigten Wälder zu regenerieren, wurde damals ein bis heute gültiges Weideverbot für Nutzvieh erlassen. Eine moderne Waldweide ist jedoch möglich – sie erfordert ein gezieltes Managementkonzept, regelmäßige Kontrollen von Tieren und Flächen sowie eine fachliche waldbauliche Begleitung. Allein das Eintreiben von Weidetieren in den Wald reicht jedoch nicht aus, um auf Dauer positive Effekte für den Naturschutz zu erzielen.

Mehr lichte Wälder: Von der Idee zur Umsetzung

Die Idee stammt von der unteren Forstwirtschafts- sowie der unteren Naturschutzbehörde in Freiburg. Revierförster Matthias Schmiederer schlug eine ehemalige und damit historische Waldweide für das Projekt vor, auch deshalb, weil sie wenig forstwirtschaftliches Potenzial hat. Für die finale Genehmigung erstellte er zudem die Projektskizze in Abstimmung mit den Behörden. Die 15 Hektar große Fläche liegt mitten im Bewirtschaftungsgebiet der Weidegemeinschaft der Wetzels, die diese ehemaligen Allmendflächen im Auftrag der Gemeinde Utzenfeld (Landkreis Lörrach) pflegen. Bei der Realisierung haben sich der Revierförster und seine Mitstreiter am Konzept zur modernen Waldweide orientiert und an den Verfahrensschritten des daraus abgeleiteten Merkblatts Waldweide ForstBW (siehe Kasten).

Hauptautor dieser Dokumente nebst Checklisten zur Vorbereitung moderner Waldweideprojekte ist Mattias Rupp, einer der Pioniere, die den großen ökologischen Wert lichter Wälder erkannt haben. Seit 20 Jahren erforscht er Waldweiden und hat 60 Projekte realisiert.

Die Utzenfelder Ziegen grasen künftig an drei Tagen im Monat die Fläche ab. Damit fördern sie die Verjüngung der Gehölze und senken die Beschirmung von 80 auf 40 Prozent. Laut Waldgesetz darf dieser Wert nicht weiter unterschritten werden. Dadurch nehmen der Lichteinfall und die Wärmezonen auf der Waldweide zu. Auch vertikal entstehen verschiedene Waldstockwerke. Solche Strukturen mit offenen, sonnigen Bereichen und großkronigen Habitatbäumen mit Kronentotholz sind für viele seltene und bedrohte Arten unverzichtbar.

Die Auswahl der Weidetiere ist entscheidend für den Erfolg

Die Auswahl der Weidetiere ist entscheidend für den Erfolg. Klaus und Lukas Wetzel halten Ziegen der Rassen Thüringer Waldziege, Bunte Deutsche Edelziege und Schwarzwaldziege sowie Kreuzungen daraus. „Die Rassen eignen sich perfekt zur Landschaftspflege, denn sie zeichnen sich durch einen mittleren bis großen Rahmen aus mit einer Widerristhöhe bis zu 100 Zentimeter sowie durch ihre Fruchtbarkeit, Robustheit und Langlebigkeit“, weiß Klaus Wetzel. Ihre Rinder treiben die beiden Landwirte nicht auf die Waldweide, da die Rassen nicht für das steile und steinige Gelände geeignet sind.

Externe Spezialisten dokumentieren den Ausgangszustand der Weide, indem sie die vorhandenen Tier- und Pflanzenarten erfassen. Käfer bestimmen sie beispielsweise mit Totholzkäferfallen und Leimringen an alten Weidbuchen, Vögel im Habitat mithilfe eines Audiologgers, der die Stimmen aufzeichnet. Auch Heuschrecken, Fledermäuse, Flechten und Moose werden kartiert und ihre Entwicklung auf der neuen Waldweide kontinuierlich beobachtet.

Der Anteil lichter Wälder liegt bei einem Prozent der Waldfläche

In Baden-Württemberg liegt der Anteil lichter Wälder aktuell bei einem Prozent der Gesamtwaldfläche. Aus Sicht von Mattias Rupp braucht es viel mehr davon. Meist hängt ihre Etablierung an einzelnen engagierten Förstern, erklärt der Professor für Landschaftsökologie und Naturschutz an der Hochschule Rottenburg. Sie kennen den Wald und passende Standorte für Waldweiden besonders gut. Außerdem sind sie vor Ort oft mit Kommunen und Landwirten vernetzt. „Wenn diese Förster in den Ruhestand gehen, wird ihre Arbeit oft nicht fortgeführt“, so die Erfahrung von Rupp.

Mattias Rupp beschäftigt besonders die durch den Klimawandel zunehmende Dürre. Waldweiden könnten auf betroffenen Flächen wie am Oberrhein zu einer ökologisch sinnvollen Bewirtschaftungsweise entwickelt werden. Und noch mehr: Der Professor will im Rahmen seiner Forschung demnächst die Nutzung von Waldweiden zur Waldbrandprävention untersuchen. In vielen südeuropäischen Ländern ist diese Maßnahme bereits erfolgreich erprobt.

Die Vision von Mattias Rupp: „Waldweiden werden immer noch durch Fördergelder finanziert. Aus meiner Sicht braucht es für ihre gesellschaftliche Verankerung ein landesweites Wirtschaftskonzept. Ich könnte mir die Umsetzung sehr gut in einem ,Weidelandschaftspark‘ vorstellen mit 100 Quadratkilometer Waldweide und Erlebnischarakter für die Menschen sowie hochwertiger Fleischerzeugung.“

„Ein Amt, das für lichte Wälder und Waldweiden zuständig ist, könnte hier Abhilfe schaffen.“ Es könnte sich auch darum kümmern, einen Hektar lichten Wald als Ergänzungsfläche zu schaffen für jeden Hektar Totalschutzfläche der Nationalparks oder Bannwälder. „Denn in diesen dunklen Biotopen kommt es anfangs und temporär zu einer Verarmung der Arten“, so Rupp.

Instrument zur Qualitätssicherung von Waldweiden

Das Merkblatt Waldweide von ForstBW gibt einen Überblick über die Kriterien zur Flächenauswahl, den Rechtsrahmen für die Umsetzung, Fördermöglichkeiten, das Weidemanagement, Instrumente für das Monitoring der Wirksamkeit. Es enthält außerdem eine Projektskizze der einzelnen Schritte zur Realisierung einer Waldweide sowie Muster für die Beantragung der Genehmigung bei den Forstbehörden. Hauptautor der Checklisten zur Vorbereitung moderner Waldweideprojekte ist Mattias Rupp, Professor für Landschaftsökologie und Naturschutz an der Hochschule Rottenburg. Das Merkblatt sei als Instrument zur Qualitätssicherung entwickelt worden.

Fachliche Hinweise zu Waldweiden geben die Stadt- und Landkreise. Fragen beantwortet auch die Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt.

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