Prävention

Frauenhäuser sollen nur die letzte Option sein

Auf 16 430 Fälle ist die Partnergewalt 2023 im Land angestiegen: ein neuer Höchststand. Kommunen, Land und Bund arbeiten daran, die Istanbul-Konvention gegen Gewalt gegen Frauen umzusetzen. Doch dieser müsse „entschiedener entgegengewirkt werden – auch bei angespannter Haushaltslage“, so Landrat Dietmar Allgaier.

Um rund zehn Prozent auf 16 430 Fälle ist die Partnergewalt 2023 im Fünfjahresvergleich angestiegen.

IMAGO/Daniel Scharinger)

Stuttgart.It ’s a dress, not a yes “ – Es ist Kleidung, keine Einladung – heißt es auf einem Plakat, oder „Nein heißt nein“. Zwischen 40 und 50 Menschen waren kürzlich in Lörrach auf der Straße, um gegen Gewalt gegen Frauen zu demonstrieren. Der Anlass durchaus ernst: Mitte März wurde in der Stadt eine junge Frau am helllichten Tag mutmaßlich vergewaltigt. Die Demonstrantinnen machen auf eine Situation aufmerksam, die viele Frauen betrifft: Unsicherheit und Angst, nachts allein nach Hause zu gehen, aber auch Angst vor Partnergewalt, Vergewaltigung, sexueller Nötigung, Femizid. Die Bilanz des Lörracher Frauenhauses für das Jahr 2023 unterstreicht das: 68 Frauen und 69 Kinder wurden aufgenommen, 152 Menschen mussten aus Kapazitätsgründen abgewiesen werden. Doch Lörrach ist nur ein Beispiel.

Dass Frauen viel mehr als Männer sexualisierter und/oder häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, zeigt der Blick in die aktuelle Kriminalstatistik: In rund 80 Prozent der angezeigten Taten sind Frauen die Opfer. Um rund zehn Prozent auf 16.430 Fälle ist die Partnergewalt 2023 im Fünfjahresvergleich angestiegen: ein neuer Höchststand, heißt es im kürzlich veröffentlichten Sicherheitsbericht für Baden-Württemberg. Die steigenden Zahlen stehen in einem Spannungsfeld zu den Bemühungen, im Rahmen der 2011 verabschiedeten Istanbul-Konvention gegen Gewalt gegen Frauen voranzukommen.

Freiburg schafft Koordinierungsstelle für die Istanbul-Konvention

Städte und Landkreise sind dabei, ihr Hilfe- und Unterstützungsregime zu stärken. Der Freiburger Gemeinderat wurde kürzlich über Maßnahmen zur Umsetzung der Istanbul-Konvention informiert. Ziel ist unter anderem ein ganzheitliches präventives Gewaltschutzkonzept, um Frauen und andere vulnerable Gruppen vor Gewalt zu schützen. Ein Handlungsfeld ist die Sicherheit im öffentlichen Raum, weshalb aktuell die Sicherheitspartnerschaft von Land und Stadt Freiburg im Gemeinderat verlängert wurde.

Aber auch die Prävention von sexualisierter und häuslicher Gewalt steht im Fokus, etwa die Täterarbeit. In Freiburg wird – wie schon in anderen Städten – eine Koordinierungsstelle zur weiteren Umsetzung der Istanbul-Konvention geschaffen, die die Angebote der unterschiedlichen Träger vernetzt und sichtbar macht. Hinzu kommt ein Rahmenplan für ein konkretes Maßnahmenprogramm sowie ein Kostenplan.

Es gibt nach wie vor „weiße Flecken“ in der Versorgung

Durch ein flächendeckendes Hilfesysteme im Vorfeld lasse sich der tatsächliche Bedarf an Schutzplätzen reduzieren, so Sozialminister Manne Lucha (Grüne) in der Antwort auf einen Antrag von FDP-Abgeordneten zur Umsetzung der Istanbul-Konvention ( DS 17/6207). So verringere sich die benötigte Anzahl an Schutzplätzen deutlich, „wenn eine gute Präventionsarbeit durchgeführt wird und Betroffenen von Gewalt ausreichend Beratungsstellen und Interventionsstellen zur Verfügung stehen“.

Aus Sicht der Landesregierung sei es „daher angezeigt, durch eine gute Beratungsstruktur Gewaltkreisläufe frühzeitig zu durchbrechen, um durch Intervention, Beratung und Hilfsangebote die Nachfrage nach Schutzplätzen in Frauen- und Kinderschutzhäusern als letzte Option zum Schutz von Leib und Leben zu reduzieren“. Der Landesregierung sei es aber auch ein Anliegen, „dass alle Frauen unabhängig von ihrem Wohnort einen Schutzplatz finden können“, so Lucha . Das Problem: Es gibt nach wie vor „weiße Flecken“ in der Versorgung, also Landkreise ohne eigenes Frauen- und Kinderschutzhaus .

Landrat Allgaier : „Die aktuelle Situation wird den Betroffenen nicht gerecht“

Im Landkreis Ludwigsburg ist man diesbezüglich um eine Lösung bemüht. Der Landkreis kooperiert mit der Kreissparkasse Ludwigsburg und dem Verein Frauen für Frauen, um eine neue Immobilie für ein Frauenhaus zu finden. Das bestehende mit 19 Familienplätzen kann den Bedarf nicht decken. Doch der Bund stellt keine Finanzmittel für den Ausbau zur Verfügung, die Fördermittel des Landes sind gering.

Der Landkreistag und der Städtetag Baden-Württemberg setzen sich daher auch auf Landes- und Bundesebene für Verbesserungen ein. „Die aktuelle Situation wird den Betroffenen nicht gerecht. Gewalt gegen Frauen und Kindern muss entschiedener entgegengewirkt werden – auch bei angespannter Haushaltslage“, so Landrat Dietmar Allgaier . „Wir benötigen eine verlässliche Finanzierung und Absicherung auf allen Ebenen. Ein neues Leistungsgesetz, das den Schutz vor Gewalt zum Inhalt hätte, ist hier längst überfällig.“

Die Istanbul-Konvention 

Die Istanbul-Konvention wurde 2018 von der Bundesrepublik Deutschland ratifiziert. Damit einher geht die Verpflichtung, in einer ganzheitlichen Strategie Maßnahmen gegen Gewalt gegen Frauen umzusetzen. Dazu gehört unter anderem die Gewaltprävention durch Bewusstseinsschaffung und Sensibilisierung der Öffentlichkeit, die Unterstützung und der Schutz durch Hilfsdienste, den Einsatz ausgebildeter Fachkräfte und die Einrichtung von Frauenhäusern. In Deutschland teilen sich Bund, Länder und Kommunen in die Aufgaben.

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