Serie: Kommunalwahl

Immer mehr Listen haben nur ein Thema

Während viele kleinere Gemeinden nach Kandidaten für die Kommunalwahl suchen mussten, treten in einigen Großstädten noch mehr Listen an als 2019. Wird dort eine weitere Zersplitterung die Gremienarbeit erschweren?

So manche Großstadt verzeichnet einen Rekord bei der Anzahl der Listen für die Kommunalwahl, darunter finden sich auch Impfgegner.

Christoph Hardt/Geisler-Fotopres)

Stuttgart. Die Zersplitterung, also mehr Gruppierungen und Parteien in den Gemeinderäten, könnte nach der Kommunalwahl im Juni in einigen Städten voranschreiten.

In Freiburg stehen 20 Listen auf dem Stimmzettel – zwei mehr als bei der vergangenen Wahl 2019. Das ist ein Rekord in der Breisgau-Stadt.

In Pforzheim geht das Team Todenhöfer an den Start

In Heilbronn (rund 130 000 Einwohner) haben zwölf Parteien und Wählervereinigungen, so viele wie nie in der Nachkriegsgeschichte der Stadt, ihre Wahlvorschläge eingereicht. Der Gemeindewahlausschuss ließ alle zwölf Listen zu. Bei der vergangenen Wahl waren neun Parteien und Gruppierungen angetreten. Um einen der 40 Sitze werden sich 475 Kandidaten bewerben. Es sind Rekordzahlen für Heilbronn, wie die Stadt mitteilt.

Im relativen Verhältnis zur Bevölkerungszahl gibt es die meisten Listen in Pforzheim : In der rund 128 000 Einwohner zählenden Stadt werden 17 Listen antreten, um in den Gemeinderat mit 40 Mitgliedern gewählt zu werden.

Etwas weniger Listen im Vergleich zu 2019 gibt es in der Landeshauptstadt . Ihre Anzahl betrug 2019 insgesamt 20, nun wollen es 18 wissen. Vier Listen begeben sich erstmals in die Kommunalpolitik Stuttgarts. Das sind Volt, Klimaliste , Children First und Vielfalt. Insgesamt werden 866 Bewerber am 9. Juni zur Wahl stehen. „Damit fällt die Zahl zwar etwas geringer aus als noch 2019 (damals waren es 913), aber es sind immer noch deutlich mehr als bei allen anderen Gemeinderatswahlen der 2000er‐Jahre“, teilt die Stadt Stuttgart mit. In Karlsruhe stehen 568 Personen auf 15 Listen zur Wahl.

Aktuelle und vergangene Weltkrisen hinterlassen ihre Spuren

Viele der neuen Gruppierungen beziehen sich auf ein Thema oder eine bestimmte Zielgruppe, beispielsweise die Klimaliste in Stuttgart oder die Junge Liste in Ulm, die die Stimme der Jugend sein möchte.

Thematisch hinterlassen aktuelle und vergangene Weltkrisen ihre Spuren. In einigen Großstädten treten Gegner der Corona-Maßnahmen an, beispielsweise in Heidelberg, wo 15 Listen zugelassen sind, mit der „Initiative für Demokratie und Aufklärung“. Sie möchte laut Webseite „den irrationalen und übergriffigen Trends von Klimawandelhysterie, Genderwahn, Gesundheitstotalitarismus“ entgegenwirken. In Freiburg treten mit der Liste Meinrad Spitz Querdenker an.

In Pforzheim und Karlsruhe geht das Team Todenhöfer an den Start, das von dem Ex-CDU-Bundestagsabgeordneten und Publizisten gegründet wurde. Die Partei hat ihren Schwerpunkt in der Friedenspolitik. In vielen Städten tritt zudem die Satirepartei „Die Partei“ an.

„Jedes Auszählverfahren hat seine eigenen Besonderheiten“

Klar ist, dass Listen mit geringeren Stimmenanteilen bei der Sitzzuteilung im Vorteil sind. Das ist dem Auszählverfahren geschuldet. Der Städtetag forderte deshalb das Verfahren nach Sainte-Laguë , das auch bei der Kommunalwahl 2019 zum Einsatz kam, zu ändern. Das Land lehnte das ab.

„Ja, das kann man beklagen“, sagt dazu Ulrich Eith . Der Professor für Politikwissenschaften an der Uni Freiburg betont aber, dass es kein mathematisches Verfahren gibt, das eins zu eins den Stimmenanteil im Verhältnis zur Sitzverteilung abbildet. Jedes Auszählverfahren habe seine eigenen Besonderheiten und damit Vor- und Nachteile.

In anderen Bundesländern sollte der Einzug von Kleinstgruppen in Kommunalgremien mit Prozenthürden gebremst werden. Allerdings ist man davon wieder abgekommen.

Auch Angelika Vetter, Professorin für Politikwissenschaft an der Uni Stuttgart, sieht in dem Mehr an Listen kein Problem. „Es ist grundsätzlich gut, dass die Wähler viele Alternativen haben, auch wenn Einzelinteressen im Gemeinderat vertreten sind“, erklärt sie. Was die Zersplitterung begrenze, sei, dass sich viele kleine Gruppierungen zu Fraktionen zusammenschließen.

„Der Kompromiss ist der Kern einer pluralistischen Demokratie“

Vetter verweist darauf, dass der Bürgermeister als direkt gewählter Mandatsträger nicht zwangsläufig eine Mehrheit im Gemeinderat haben müsse – anders als ein Bundeskanzler oder ein Ministerpräsident, die vom Parlament gewählt werden.

Folglich sei es eine Aufgabe, dass sich die Rathauschefs Mehrheiten suchen müssen. „Der Kern einer pluralistischen Demokratie ist die Kompromissfindung“, so Ulrich Eith .

Philipp Rudolf

Redakteur Kreis und Kommune

0711 66601-184

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