„Wer will denn schon nach Vaihingen?“
Stuttgart. Die Gäubahn, eine 146 Jahre alte Magistrale, die von Zürich über Singen, Rottweil und Böblingen nach Stuttgart führt, soll im Stadtteil Vaihingen gekappt werden – gerade mal zehn Kilometer Luftlinie entfernt vom Hauptbahnhof der Landeshauptstadt.
Für Bahnfahrer – vor allem für Fernreisende – ist Vaihingen aber bislang meist nur eine Durchgangsstation. Denn mit Inbetriebnahme von „Stuttgart 21“, die erst jüngst abermals um ein Jahr bis mindestens Ende 2026 verschoben wurde, soll Vaihingen, der Vorort auf der Filderebene – ein Regionalbahnhof für S-Bahnverkehre – quasi Endstation sein für Reisende aus dem Süden. Kritiker der Kappung äußern sich aufgebracht und flapsig: „Wer will denn schon nach Vaihingen?“
Seit 1879 führt die Eisenbahnlinie durch Vaihingen – weiter auf der sogenannten Panoramabahn in Halbhöhenlage mit teils idyllischen Blicken hinab in Stuttgarts City zum Hauptbahnhof. Das Vorhaben in der Landeshauptstadt wäre in etwa so, als wenn ein ICE auf der Rheintalbahn von Basel und Freiburg her kommend in Karlsruhes südlichem Vorort Rheinstetten – oder Fahrgäste in der anderen Richtung im Süden, kurz vor Basel, in Weil am Rhein – stoppen, und für weitere fünf oder sechs Stationen in die Stadt- und Straßenbahn wechseln müssten.
Im Februar gab es für die DUH einen Dämpfer
So aber ist es im Stadtteil Vaihingen geplant. Es drohen Umsteige-Szenarien wie 2017 in Rastatt. Nach dem Tunnel-Einsturz auf der Rheintalbahn bei Rastatt im August 2017 mussten während sieben Wochen oftmals 200 bis 300 Personen binnen weniger Minuten in Busse umsteigen.
Die Deutsche Umwelthilfe möchte mit derzeit zwei Verfahren die Abhängung der Gäubahn verhindern. Im Februar allerdings gab es einen Dämpfer. Das Verwaltungsgericht in Stuttgart billigte der Deutschen Bahn zu, die Trasse bei Vaihingen „auf unbestimmte Zeit zu unterbrechen“. Seit Ende Mai nun liegt die schriftliche Begründung des Urteils vor, ausformuliert auf 41 Seiten. Die DUH dagegen klagte für die Einhaltung des ursprünglichen Planfeststellungsbeschlusses: Die DUH behauptet, dass die Abhängung der Panoramastrecke und Inbetriebnahme der neuen Anbindung über den Flughafen nahezu zeitgleich erfolgen müsse. Lediglich „für einen Übergangszeitraum von vier bis sechs Monaten“ sei eine Unterbrechung akzeptabel. Tatsächlich ist im Planfeststellungsbeschluss aber keine Aussage getroffen worden zur Länge der Unterbrechung. Das hat auch das Verwaltungsgericht klargestellt, als es die Klage der DUH abgewiesen hat.
Pläne zur Kappung sorgen für aufgeheizte Stimmung
Die Zeiträume, um die es nun wohl tatsächlich geht, sind sehr viel länger: Die Szenarien sehen eine Dauer von bis zu sieben Jahren – „realistisch bis zu zehn“ –, sagen Kritiker. Neben den Klagen von DUH und Landesnaturschutzverband – der bei dem Verfahren im Februar mit im Boot war – bildeten sich Initiativen in Anrainer-Städten, auch einige Rathauschefs positionierten sich. Bereits im März hat die DUH ein weiteres Eilverfahren angestrengt: beim VGH in Mannheim. Die DUH fordert, das Eisenbahnbundesamt (EBA) müsse dazu verurteilt werden, eine Abtrennung der Gäubahn vom Stuttgarter Hauptbahnhof zu untersagen, bis das Gericht in der Hauptsache entschieden habe. DUH-Chef Jürgen Resch rechnet mit einem Urteil noch vor der Sommerpause. Parallel läuft das Hauptsacheverfahren.
Die Pläne mit der „Kappung“ bringen auch andere in Rage. In Rottweil hat sich die Initiative „Pro Gäubahn“ im März 2024 mit anderen Initiativen entlang der Bahnstrecke Singen – Stuttgart zum „Bündnis Gäubahn“ vereinigt und die „Rottweiler Erklärung“ verabschiedet. „Wir erwarten mehr Chaos auf der Schiene, sinkende Fahrgastzahlen und einen Umstieg auf das Auto“, wiederholte Sprecher Michael Rais mehrfach. Mit Kappung der Gäubahn werde wohl „kein einziger Anschluss im Stuttgarter Bahnhof mehr erreicht werden“, befürchten andere.
Pfaffensteigtunnel soll bis zu drei Milliarden Euro kosten
Im Frühjahr hatten sich auch Singens Oberbürgermeister Bernd Häusler (CDU) und der Böblinger Rathauschef Stefan Belz (Grüne) abermals kritisch zu der geplanten Abhängung geäußert. Es müsse zunächst eine alternative Anbindung geschaffen werden, sagte Häusler. Die Bahn und Regionalpolitiker im Raum Stuttgart – darunter Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) – setzen derweil auf den Bau des knapp zwölf Kilometer langen Pfaffensteigtunnels von Böblingen nach Echterdingen. Er käme zu den 50 Kilometer Tunnel für Stuttgart 21 hinzu. 2024 beantragte die Bahn das Planfeststellungsverfahren. Derzeit geht man von bis zu drei Milliarden Euro Baukosten aus.
Laut Resch wäre das „mit knapp zwölf Kilometern der längste Bahntunnel Deutschlands“. Ihm fällt dazu nur ein: „Das ist absoluter Irrsinn.“ Mit dem Erhalt des Gäubahn-Anschlusses hofft er, den Kopfbahnhof zu sichern.