Analyse zur Landespolitik

Warum Kretschmann ein Machtwort sprechen musste

Keine Amtsmüdigkeit, sondern Tatendrang demonstriert Winfried Kretschmann im Dialog mit der Landespresse. Mit einem Machtwort löst er schwelende Konflikte in der Koalition, gerade zur rechten Zeit.

Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen), Ministerpräsident von Baden-Württemberg, geht zur ersten Regierungspressekonferenz nach den Sommerferien im Landtag.

Bernd Weißbrod)

Stuttgart. Gut gelaunt und diskussionsfreudig kam der Ministerpräsident aus der Urlaubspause, als er sich der Landespresse stellte. Amtsmüdigkeit? Nachfolgedebatte? Mit einem Satz abgeräumt: Der Regierungschef will bis 2026 durchregieren. Punkt. Die Ankündigung von CDU-Fraktionschef Manuel Hagel im Sommerloch, keinen möglichen grünen Nachfolger vor 2026 zu wählen? Mit Verweis auf den Koalitionsvertrag, der für fünf Jahre gelte, einfach weggerüffelt. Der Versuch, von CDU-Landwirtschaftsminister Peter Hauk, die Erweiterung des Nationalparks infrage zu stellen: Mit einer Mahnung beseitigt, der Minister rudert zurück.

Wer gedacht hätte, dem 75-jährigen Regenten in der Villa Reitzenstein würde die Kontrolle über den Unterbau der Koalition entgleiten, wurde eines Besseren belehrt. Wirkte der Landesvater vor einem Jahr manchmal verzagt, macht er er nun einen fest entschlossenen Eindruck, seine Agenda durchzuziehen: Erneuerbare Energien ausbauen, Bürokratie abbauen, Fachkräfte gewinnen. In der Krise läuft man nicht weg, das katholische Pflichtethos treibt das grüne Urgestein an.

Was sind die Hintergründe der Konflikte?

Nach wie vor will Kretschmann also das Heft des Handels in der Hand behalten. Was allerdings nicht bedeutet, dass es nicht kräftig knirscht im Gebälk. Denn der überraschende Vorstoß des CDU-Fraktionschefs Manuel Hagel, im Fall eines – nicht gesundheitlich bedingten – Rücktritts von Kretschmann vor 2026 Neuwahlen ausrufen zu lassen, hat durchaus Hintergründe.

Das Sommerinterview mit Manuel Hagel lesen sie hier.

Hört man in die Regierungsfraktionen herein, so scheint es bei den grünen Mandatsträgern durchaus Sorgen zu geben. Die Umfragewerte sind bundesweit sind mies, und ohne Kretschmann-Bonus droht 2026 vielleicht gar der Verlust von Platz eins im Südwesten. Sollte man da nicht doch schon 2024 nach der Kommunalwahl im Herbst die Weichen stellen? Zumal der Favorit auf die Nachfolge, der Bundesminister Cem Özdemir, sich dann entschieden müsste, ob er für den Bundestag oder Landtag kandidiert.

Planen die Grünen doch einen Stabwechsel?

Vielleicht also doch ein Stabwechsel schon 2024/25? Es mögen diese Gerüchte sein, die Hagel zu seinem taktischen Zug bewegt haben. Gleichzeitig hat er damit auch ein Zeichen im innerparteilichen Machtkampf gesetzt: Er und niemand sonst bestimmt die Linie der CDU und macht die klaren Ansagen.

So wie vielleicht manche im grünen Lager Kretschmann überzeugen wollen, so wollen manche derzeit Thomas Strobl überzeugen, den Weg frei zu machen für Hagel an der CDU-Landesspitze. Der potenzielle Nachfolger will nicht den Stefan Mappus geben und Strobl verdrängen, aber er drängt unübersichtlich nach der Macht. Es war daher Zeit für ein Macht-Wort von Kretschmann, und das kam nun wie bestellt.

Rafael Binkowski

Chefredakteur des Staatsanzeigers

0711 66601 - 293

Nutzen Sie die Vorteile unseres

Premium-Abos. Lesen Sie alle Artikel aus Print und Online für

0 € 4 Wochen / danach 167,00 € jährlich Nachrichten aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung in Baden-Württemberg Jetzt abonnieren

Lesermeinungen

Bitte loggen Sie sich ein, um zu kommentieren.