Themen des Artikels

Um Themen abonnieren und Artikel speichern zu können, benötigen Sie ein Staatsanzeiger-Abonnement.Meine Account-Präferenzen

Europawahl

AfD-Spitzenkandidat Marc Jongen: „Wir sind eine Partei der bürgerlichen Mitte“

Manche nennen ihn den Parteiphilosophen, andere den Chefideologen und Vordenker: Marc Jongen hat das AfD-Parteiprogramm mitverfasst. Der gebürtige Südtiroler, der in Karlsruhe lebt, verteidigt seine Partei: Sie bestehe nicht nur aus Höckes und Krahs.

Marc Jongen ist Spitzenkandidat der AfD in Baden-Württemberg. Der ehemalige Assistent des Philosophen Peter Sloterdijk warnte am Samstag beim Wahlkampfauftakt in Donaueschingen vor einem EU-Superstaat: „Das ist die EUdSSR.“

dpa/Heiko Becker)
Staatsanzeiger: Herr Jongen, Sie waren Kulturredakteur in Südtirol und Assistent von Peter Sloterdijk. Dann sind Sie nach Ansicht mancher Beobachter falsch abgebogen. Warum sind Sie in der AfD?

Marc Jongen: Für mich hat sich diese Entscheidung als goldrichtig erwiesen. Ich habe sie keinen Tag bereut. Wir haben in allen Punkten Recht bekommen, sei es die Prognose, dass uns die Euro-Rettung in die Inflation treiben würde, seien es die Probleme mit der ungehemmten Massenmigration, oder die Energiewende, die sich sehr schädlich für die Wirtschaft erwiesen hat. Alles Positionen, in denen wir richtig lagen. Dafür muss man sich nicht schämen.

Seit ihrer Gründung haben viele die AfD verlassen, unter anderem die drei Vorsitzenden Lucke, Petry und Meuthen, mit der Begründung, sie rücke immer weiter nach rechts. Die Partei gilt als Verdachtsfall und wird vom Verfassungsschutz beobachtet. Von der eurokritischen Professorenpartei von 2013 ist doch nicht mehr viel übrig.

Das sehe ich anders. Nach wie vor finden Sie die Eurokritik in unserem Programm. Sie steht nur aufgrund der politischen Konjunktur aktuell nicht im Vordergrund. Ich kann im Übrigen in unserem Programm keine rechtsradikalen Tendenzen feststellen – damals nicht und heute nicht. Was wir fordern, ist eine Normalisierung, das heißt eine Rückkehr zu geltendem Recht, das mehrfach gebrochen wurde, bei der Eurorettung wie in der Migrationskrise. Wenn es zuträfe, dass wir rechtsextrem und fremdenfeindlich sind, dann könnte es außerdem nicht so viele Migranten in der AfD geben.

Wie werten Sie die Vorwürfe gegen Maximilian Krah und Petr Bystron? Wie kann es sein, dass Kandidaten, die in auffälliger Nähe zu Russland und China stehen, die möglicherweise geheime Informationen weitergeleitet und Geld genommen haben, auf Platz eins und zwei Ihrer Europaliste stehen?

Sollten diese Vorwürfe zutreffen, wird man sich von diesen Kandidaten trennen müssen. Bis dahin gilt jedoch die Unschuldsvermutung. Beide haben uns versichert, dass die Vorwürfe unzutreffend sind. Wir haben keinen Grund, daran zu zweifeln, zumal die Erfahrung zeigt, dass Kampagnen gegen uns aufgrund von Falschbehauptungen gefahren werden, in denen ein Kern wahrer, aber harmloser Begebenheiten mit einem Konstrukt aus Lügen umgeben wird.

Björn Höcke verwendet Nazi-Vokabular und Maximilian Krah Worte wie „Umvolkung“ und „orientalischer Landnahme“. Ist das nicht skandalös genug?

Hier wird mit zweierlei Maß gemessen. Die Formulierung „Alles für Deutschland“ haben in der Vergangenheit schon viele verwendet, sogar der „Spiegel“, ohne dass jemand behauptet hätte, das sei eine SA-Parole. Bei Höcke unterstellt man sofort bewusste Absicht. Das heißt nun nicht, dass ich mit allen Aussagen sämtlicher meiner Parteikollegen immer einverstanden bin. Was Sie zitiert haben, würde ich mir nicht zu eigen machen. Aber ich lege Wert auf die Feststellung, dass dies nicht unser Parteiprogramm ist, sondern die Äußerungen einzelner Mitglieder.

Aber Höcke ist doch nicht irgendein Mitglied. Er steht für ein Lager, das seit Jahren an Einfluss gewinnt.

Das ist eine Behauptung, die völlig an der Realität vorbeigeht. Der sogenannte Flügel hat sich vor einigen Jahren aufgelöst, Protagonisten wie Andreas Kalbitz haben die Partei verlassen. Wir sind eine Partei der bürgerlichen Mitte. Wer Politik nach der linksradikalen Parole „no borders, no nations“ macht, dem erscheinen wir freilich als Rechtsaußen.

Sie kandidieren für ein Parlament, das die AfD laut Europawahlprogramm abschaffen will. Wie passt das eine mit dem anderen zusammen?

Unserer Ansicht nach ist dies kein wirkliches Parlament, weil es kein Initiativrecht besitzt. Es spiegelt eine Demokratie vor, die es in Wahrheit nicht gibt. Demokratie kann nur auf der Ebene der Nationalstaaten funktionieren. Nur dort gibt es ein Staatsvolk und ein demokratisches Wir. Unsere Reformideen für Europa gehen aber viel tiefer, wir streben einen Bund europäischer Nationen an, der die Souveränität der Nationalstaaten respektiert.

Warum trauen Sie den Europäern nicht zu, zu einem Staatsvolk zusammenzuwachsen und eines Tages so etwas zu werden wie die Vereinigten Staaten von Europa?

Das funktioniert in den USA, wo es eine gemeinsame Sprache, eine gemeinsame Kultur und ein starkes Wir-Gefühl gibt. Europa ist aufgrund seiner Sprachenvielfalt und seiner unterschiedlichen Traditionen, die ja auch eine Stärke unseres Kontinents sind, für einen Staatenbund geeignet, nicht jedoch für einen Bundesstaat. Es wird in Europa immer starke nationale und kulturelle Eigenheiten und Eigeninteressen geben. Mit einer gewaltsamen Zentralisierung erreicht man das Gegenteil von Harmonie und Zusammenarbeit, man wird noch mehr Unzufriedenheit, Euroskepsis und Gegnerschaft zwischen einzelnen Mitgliedsländern erzeugen.

Sie wurden in Südtirol geboren. Für Sie müsste es doch großartig sein, dass es die EU gibt, dass Ihre ursprüngliche Heimat nicht mehr am Rande eines Gemeinwesens steht, sondern in der Mitte.

Ich bin ja ganz und gar nicht gegen eine europäische Zusammenarbeit und weiß den friedensstiftenden Effekt der europäischen Binnenmarktes auch sehr zu schätzen. Mir geht es – mit der AfD – gerade darum, dass wir das nach dem Zweiten Weltkrieg Erreichte bewahren und es jetzt nicht aufs Spiel setzen, indem wir die Schraube überdrehen. Das geschieht leider zur Zeit in gefährlichem Ausmaß.

Sehen Sie nicht die Gefahr, dass Länder wie die USA, Russland und China uns nicht mehr ernstnehmen, wenn sich Europa verzwergt?

Doch. Deswegen ist eine enge Zusammenarbeit in bestimmten Bereichen auch wichtig. Wir wollen ja nicht zurück ins 19. Jahrhundert, als nationale Einzelinteressen sich zu Kriegen hochschaukelten. Der Binnenmarkt steht nicht zur Disposition, ebenso wenig der gemeinsame Schutz der Außengrenzen und einiges mehr. Aber all das geht, sogar viel besser ohne einen EU-Superstaat.

Der Euro gehört vermutlich nicht zu den Dingen, die Sie bewahren wollen.

Die Einführung des Euros war ein großer Fehler. Wir würden ihn nicht mit einem großen Krach abschaffen, der das Vermögen der Bürger gefährdet, wollen aber perspektivisch auf eine nationale Währung hinarbeiten, die Deutschland aus der Haftungsfalle holt.

Wer Politik gestalten will, braucht Mehrheiten. Diese scheinen Sie sich gerade selbst zu verbauen. Marine Le Pen hat angekündigt, in der nächsten Periode nicht mehr mit der AfD eine Fraktion bilden zu wollen. Der Begriff „Remigration“ scheint auf der anderen Seite des Rheins nicht gut anzukommen.

Da gab es leider einige Missverständnisse. Nie hat die AfD Remigration in dem Zusammenhang gebraucht, wie er medial dargestellt wird. Wir wollen rechtsstaatliche Zustände wiederherstellen. Dazu gehören Maßnahmen, die verhindern, dass Menschen illegal einreisen. Und dazu gehört auch, dass diejenigen, die sich hier unberechtigt aufhalten, in ihre Heimatländer zurückkehren. Das deckt sich weitgehend mit dem, was andere rechte Parteien in Europa vertreten. Ich bin zuversichtlich, dass wir das im Dialog mit unseren französischen Partnern werden klarstellen können.

Der EVP-Fraktionsvorsitzende Manfred Weber hat beim CDU-Landesparteitag am Wochenende in Ludwigsburg gesagt, dass er mit zahlreichen Parteien in Europa zusammenarbeiten könnte, die aus Ihrem Spektrum stammen. Nur nicht mit der AfD. Können Sie sich eine Zusammenarbeit mit der EVP vorstellen?

Es gibt ja bereits jetzt immer wieder überlappendes Abstimmungsverhalten mit der EVP. Das Problem mit CDU/CSU und im Übrigen auch mit der FDP besteht darin, dass sie sich in Deutschland als Kritiker von Dingen aufspielen, die sie in Brüssel selbst mit beschlossen haben. Diese ehemals bürgerlichen Parteien müssen entscheiden, ob sie in der politischen Geiselhaft der rot-grünen Ideologen verbleiben wollen, weiterhin jeden Irrsinn mitmachen, nur ein klein wenig moderater, oder endlich zu einer bürgerlichen Politik der Vernunft zurückkehren wollen.

Was heißt das konkret?

Zum Beispiel den Mut zur Kernkraft zu haben, weil ein Industrieland wie Deutschland das für die Grundlast braucht. Oder dem Genderwahn entgegenzutreten. Und vieles Vernünftiges mehr, das man der politischen Opportunität geopfert hat.

Alice Weidel, Marc Jongen, Emil Sänze und Tino Chrupalla (v.l.n.r.) läuteten den AfD-Europawahlkampf ein – ohne ihren Spitzenkandidaten Maximilian Krah. Foto: dpa/Bernd Weißbrod

Nutzen Sie die Vorteile unseres

Premium-Abos. Lesen Sie alle Artikel aus Print und Online für

0 € 4 Wochen / danach 167,00 € jährlich Nachrichten aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung in Baden-Württemberg Jetzt abonnieren

Lesermeinungen

Bitte loggen Sie sich ein, um zu kommentieren.

Lesen Sie auch