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Ausgleichsregelung: Naturschützer warnen vor „Ablasshandel“

In einer Resolution fordern die Teilnehmer des Zukunftsforums Naturschutz, dass Eingriffe in die Natur so minimiert und ausgeglichen werden, dass es unter dem Strich zu keiner Verschlechterung kommt. Im Gesetz ist das zwar eigentlich so vorgesehen, doch die Praxis sieht oft anders aus. 

Eingriffe in die Natur, etwa für ein Neubaugebiet müssen ausgeglichen werden.

Manfred Grohe)

Stuttgart. Wird ein Neubaugebiet oder eine Straße geplant, sind Ausgleichsmaßnahmen notwendig. Etwa die Schaffung eines Biotops, das Anlegen einer Streuobstwiese, das entsiegeln einer Straße oder die Renaturierung eines Bachlaufs. Auch Hecken und Blühstreifen können dazu beitragen, Insekten Nahrung zu bieten oder Tieren Unterschlupf zu gewähren. Grundsätzlich gilt: Eingriffe in die Natur müssen zunächst vermieden werden. Wo das nicht möglich ist, müssen sie vermindert werden, und das, was dann noch notwendig ist, muss kompensiert werden. Das Ziel ist es, einen Nettoverlust an der Natur zu vermeiden.

„Viel zu oft gelingt das nicht oder wird gar nicht erst ernsthaft versucht“, sagt Gerhard Bronner, der Vorsitzende des Landesnaturschutzverbands (LNV), und fasst damit auch die Erfahrungen der rund 200 Teilnehmer bei der Jahrestagung des Verbands zusammen. Am Samstag ging es um den Sinn und Widersinn von Kompensationsregelungen.

Ausgleichsmaßnahmen teilweise nicht oder unsachgemäß umgesetzt

Die Probleme sind vielfältig: So benötigen viele Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen dauerhafte Pflege. Doch diese wird, wenn sie umgesetzt wird, maximal über 25 bis 30 Jahre übernommen. Alles andere gilt als unverhältnismäßig. Doch eine Straße beispielsweise wird in der Regel ja deutlich länger genutzt.

Auch hätten Bauherren häufig wenig Interesse am Ausgleich, so ein Kritikpunkt der Naturschützer. Dieser sei oftmals nur eine lästige Pflicht und so manche Planung werde nicht oder unsachgemäß ausgeführt. Beispiele dafür nennt Albert Reif. Der emeritierte Professor der Uni Freiburg zeigt anhand von Fotos Beispiele von Baugebieten, in denen Bäume und Grenzhecken trotz Planung fehlen, ein Zierrasen statt der vereinbarten blumenreichen Mähwiese vor einem Gewerbebetrieb angelegt wurde. „Der Bürgermeister hat in so einem Fall kein Interesse daran, zu rügen, da er froh ist, dass sich der Betrieb in seiner Gemeinde angesiedelt hat“, zeigt Reif das Dilemma auf.

Und er zeigt Fotos von unrealistischen Planungen, weil die Flächen für die geplante Bepflanzung nicht geeignet waren. In so einem Fall kann es durchaus vorkommen, dass ein Bauträger solche Projekte für viele Ökopunkte und teures Geld im guten Glauben kauft – dort letztendlich aber statt eines Eichenhains nur Brennnesseln wachsen.

Reif, der ehrenamtlich für den LNV tätig ist, ist trotz vieler negativer Beispiele und Schwachstellen aber davon überzeugt, dass eine Eingriffsregelung, wie sie in Deutschland gilt, alternativlos ist. Doch es seien Reformen notwendig.

So sind Schwächen der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelungen auch die mangelnde Koordinierung der Maßnahmen, kleinteilige Insellösungen, das eingeschränkte Monitoring und auch nicht ausreichende Personalkapazitäten bei den zuständigen Ämtern. Der Landkreistag spricht sich für ein „interkommunales Kompensationsflächenmanagement“ aus.

Vorbild dafür ist das Regionale Kompensationsflächenmanagement (ReKo) des Regionalverbands Bodensee-Oberschwaben. Hier werden über eine eigens gegründete GmbH bereits seit 2014 Kompensationsmaßnahmen über die Gemarkungsgrenzen von 52 Städten und Gemeinden und drei Landkreisen koordiniert.

LNV wehrt sich gegen Pläne der Bundesregierung

Das Ergebnis von ReKo nennt der Hauptgeschäftsführer des Landkreistags, Alexis von Komorowski: hochwertige Ausgleichsmaßnahmen, die bis heute zu 100 Prozent umgesetzt wurden. Zugleich zielten sie auf einen Biotopverbund ab und trügen so zur Zielsetzung des Landes bei, bis 2030 mindestens 15 Prozent der Landesfläche als Biotopverbundfläche zu entwickeln.

„Beim baurechtlichen Ausgleich haben beispielhafte Untersuchungen besonders eklatante Mängel offenbart. Demnach wird nur die Hälfte der festgesetzten Maßnahmen fachgerecht umgesetzt, existiert überhaupt noch und wird fachgerecht unterhalten“, sagte der LNV-Vorsitzende Bronner. Gemeinsam setzen sich Kommunal- und Umweltverbände daher für flächendeckende „Kompensationsagenturen“ ein, die die Kommunen unterstützen, wie etwa ReKo.

Besonders große Sorgen bereitet den Naturschützern das Vorhaben der Bundesregierung, den Vorrang der Realkompensation vor Kompensationszahlungen aufzugeben. „Wer in die Natur eingreift, könnte sich dann mit Geld freikaufen. Solch ein Ablasshandel hilft der Natur aber nicht“, sagt Bronner.

Bislang müssen die Verursacher einen Eingriff in der Regel selbst ausgleichen und dafür auch die benötigten Flächen organisieren, was oftmals das größte Problem ist. Einfache Geldzahlungen seien daher wenig hilfreich. Deshalb fordern die Teilnehmer des Zukunftsforums in ihrer Resolution auch, den Vorrang der Realkompensation beizubehalten.

Außerdem sollten alle Kompensationsmaßnahmen zentral im Internet dokumentiert werden, um eine Kontrolle zu ermöglichen. „Eingriffe in die Natur werden sich nie ganz vermeiden lassen. Umso wichtiger ist es, dass wir damit einen Umgang finden, bei dem Tiere und Pflanzen nicht weiterhin die Dummen sind“, so Bronner.

Stefanie Schlüter

stellvertretende Redaktionsleitung und Redakteurin Politik und Verwaltung

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