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Leitartikel

Beamtenfiktion und Realität

Das Land will sich von der Fiktion verabschieden, dass jeder Beamte für eine vierköpfige Familie zu sorgen hat. Das könnte, zu Ende gedacht, die Besoldungsstruktur revolutionieren, findet Michael Schwarz.

Wer im Strafvollzug beschäftigt ist, gehört zumeist zu den Schlechtverdienern unter den Beamten.

dpa/Jens Kalaene)

Es klingt nach einem Sonderfall und hat doch das Zeug, das Besoldungsgefüge, ja die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums durcheinanderzuwirbeln. Der eherne Grundsatz, wonach ein deutscher Beamter eine Frau und zwei Kinder ernähren hat, gerät ins Wanken. Nach sieben anderen Bundesländern ist auch Baden-Württemberg dabei, sich von der Fiktion der Alleinverdienerfamilie zu verabschieden. Die Doppelverdienerfamilie sei inzwischen die Regel – und darauf müsse das Land bei der verfassungsgemäßen Besoldung abstellen.

So steht es im Entwurf für die Übertragung des Tarifergebnisses auf die 220 000 Landes- und Kommunalbeamten. Für die meisten scheint diese Betrachtung nicht von Belang. Gerade einmal 50 Beamte könnten gezwungen sein, den neu geschaffenen „Familienergänzungszuschlag“ zu beantragen, also aufzustocken, weil ihr Gehalt weniger als 15 Prozent über dem Existenzminimum liegt und der Ehepartner nicht arbeitet.

Doch in Wirklichkeit findet hier ein Paradigmenwechsel statt. Zumindest, wenn man die Idee einmal zu Ende denkt und alle Einkünfte einer Beamtenfamilie, etwa aus Kapitalanlagen und Vermietungen, berücksichtigt. Und beim Partnereinkommen nicht nur einen Minijob ansetzt, wie es das Land nun tut, sondern ein anständiges Gehalt.

Beamte – sind das nicht die, um die sich der Staat kümmert vom Berufseintritt bis zur Bahre? Und die dafür ein Leben lang in die Hände spucken und gleichzeitig bescheiden bleiben, was ihre Besoldung, ihre politische Betätigung und ihre Rechte als Beschäftigte angeht?

Das Verhältnis des Dienstherrn zu seinem Beamten trägt bis heute paternalistische Züge. Frei nach dem Motto: Ich versorge dich und kann mich im Gegenzug uneingeschränkt auf dich verlassen. Und dieses Treueverhältnis gilt nicht nur für den Beamten selbst, sondern auch für seine Familie. Auch für sie muss Vater Staat sorgen. Deshalb ist die Idee, dass es da noch jemanden gibt, der zum Einkommen beiträgt, systemfremd. Oder aber revolutionär.

Denn nehmen wir einmal an, der Staat müsste nicht mehr garantieren, dass alle Schlechtverdiener unter den Beamten tatsächlich eine vierköpfige Familie durchbringen können – und dies ausschließlich auf Basis ihrer Besoldung –, dann würden beachtliche finanzielle Ressourcen frei. Stimmt – das kratzt am Prinzip der amtsangemessenen Besoldung. Doch dann könnten vielleicht endlich die Spitzenkräfte unter den Beamten marktgerecht bezahlt werden. Dann wäre die Bestenauslese mehr als ein leeres Wort. Das mögen jene bedenken, die gegen diese Änderung sind. Im Grundgesetz steht seit 2006, dass das Recht des öffentlichen Dienstes fortzuentwickeln ist. Dies ist die Gelegenheit dazu.

Michael Schwarz

Redakteur Politik und Verwaltung

0711 66601-599

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