Leitartikel 

Der Islam und die Irrwege der CDU

Ist es die Sehnsucht nach den goldenen Zeiten eines Helmut Kohl oder der Versuch, der AfD das Wasser abzugraben? Jedenfalls ist die CDU dabei, sich ein Grundsatzprogramm zu stricken, das deutlich konservativer ist als alles, was unter Angela Merkel galt. Auch das Verhältnis zum Islam und zu rund 4,5 Millionen Menschen muslimischen Glaubens in Deutschland wird neu justiert.

Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel und der aktuelle Parteivorsitzende und Oppositionsführer im Bundestag, Friedrich Merz: In Sachen Islam war die CDU schon moderner aufgestellt.

picture alliance/dpa/Christoph Soeder)

Der Islam gehört zu Deutschland. Das ist keine Forderung, keine Utopie und kein Schreckenszenario. Das ist einfach so, wie Christian Wulff schon 2010 feststellte. Auch unter Angela Merkel schien dies in der CDU noch Common Sense.

Doch unter Friedrich Merz beginnt man, solche Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen – mit Formulierungen wie „Muslime, die unsere Werte teilen, gehören zu Deutschland“. Dieser Satz aus dem Entwurf für ein neues CDU-Grundsatzprogramm zeigt: Es gibt Christdemokraten, die das Rad zurückdrehen oder am rechten Rand fischen wollen. Wer muslimische Wurzeln hat und in zweiter, dritter oder vierter Generation in Deutschland lebt, gehört dazu egal, ob er Recep Erdogan oder Olaf Scholz toll findet.

Wobei dies in anderer Hinsicht alles andere als Wurst ist. Wenn Deutsch-Türken einen Autokraten feiern, muss das jedem Demokraten die Zornesröte ins Gesicht treiben. Wenn Ostdeutsche Björn Höcke huldigen, aber auch. Trotzdem käme niemand auf die Idee, Sätze wie „Ostdeutsche, die unsere Werte teilen, gehören zu Deutschland“ in ein Programm zu schreiben. Eine Partei, die bestimmt, wer dazu gehört und wer nicht – wo kämen wir denn da hin?

Deshalb gilt es, konkrete Schritte zu gehen, statt unsinnige Formulierungen zu fabrizieren. So einen Schritt ist die Bundesregierung gegangen, als sie jetzt mit der türkischen Regierung vereinbart hat, Imame in Zukunft in Deutschland auszubilden. Und selbst die Einbindung von Ditib ist nicht völlig falsch, auch wenn der Moscheen-Dachverband vom türkischen Staat kontrolliert wird. Immerhin endet damit die jahrzehntelange Praxis, dass die Türkei Prediger schickt, die weder das Land noch die Sprache kennen.

Die Vorstellung, dass die Bundesrepublik kein Einwanderungsland sei – noch so ein Glaubenssatz, den die CDU jahrzehntelang predigte, bevor sie sich der Realität öffnete –, hat tiefe Spuren hinterlassen. Viele Zuwanderer haben immer noch das Gefühl, sich für ihr Anderssein rechtfertigen zu müssen. Speziell Muslime, da ihr Glauben ja im Ruf steht, besonders gefährlich zu sein. Als sei nicht auch im Namen Christi über Jahrhunderte gemordet worden. Und als habe das Morden geendet, nachdem die westliche Welt in weiten Teilen vom Glauben abgefallen ist.

Umgekehrt wird ein Schuh draus. Weil wir alle Sünder sind, müssen wir einander annehmen. Und nicht aneinander vorbeileben. Dem deutschen Staat darf es nicht egal sein, was in Betschulen und Moscheen passiert. Und er darf sich auch – wie das Baden-Württemberg beispielhaft tut – um die Ausbildung von Religionslehrern und den Religionsunterricht an staatlichen Schulen kümmern. Selbst wenn es alles andere als einfach ist, dafür die passenden muslimischen Partner zu finden.

Michael Schwarz

Redakteur Politik und Verwaltung

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