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Essay

Die goldenen 1980er kommen für die FDP nicht wieder

Die Liberalen stehen mal wieder in der Existenzkrise, und es lässt sich nicht sagen, wie es diesmal ausgeht. Die Partei, die in der alten Bundesrepublik zum Inventar gehörte, könnte ihre Rolle als unverzichtbare Mehrheitsbeschafferin verlieren.

FDP-Parteichef und Finanzminister Christian Lindner sagte beim Dreikönigstreffen in Stuttgart, dass es jetzt darauf ankomme, sich den Realiäten zu stellen.

dpa/picture alliance / Flashpic/Jens Krick)

Alice Weidel, so sagte FDP-Landeschef Michael Theurer beim Dreikönigstreffen seiner Partei in Fellbach, will die Deutschen zurück in die 1980er-Jahre führen. In eine Zeit, in der es, um die AfD-Partei- und Fraktionsvorsitzende zu zitieren, noch keine „unkontrollierte Masseneinwanderung“, keine Klimafonds, keine militärische Unterstützung der Ukraine und weniger EU gab. Und in der es, um einmal Theurers Brille aufzusetzen, auch keine AfD gab.

Denn das ist das eigentliche Problem der Liberalen. Wenn sie könnten, würden wohl auch sie gerne die Zeit zurückdrehen. Damals, in den 1960er-, 1970er- und 1980er-Jahren, war die FDP die einzige kleine Partei im Bundestag, mit denen die Großen koalierten. Sie wurde gebraucht: als Mehrheitsbeschafferin. Ohne die Liberalen hätte es vermutlich weder die Ostpolitik noch die Nachrüstung gegeben. Ihre Existenz war für die Bundesrepublik vital. Die FDP hat die epochalen Schwenks ermöglicht, die das Land vorangebracht haben.

Dass dazu fünf Prozent der Stimmen oder ein bisschen mehr reichten, war im Nachhinein das eigentlich Erstaunliche. Es genügte, dass die FDP im Bundestag saß: Die Großen buhlten um sie. Weil keiner der beiden Großen mit der Ausnahme der Union Ende der 1950er-Jahre jemals die absolute Mehrheit besaß. Und weil Große Koalitionen das Land eher lähmen als voranbringen, wie die Geschichte gezeigt hat.

Nun ist man wieder bei fünf Prozent in den Umfragen. Und doch hat sich die Situation grundlegend geändert. Es mag sein, dass die FDP trotz schlechter Aussichten bei den kommenden drei Landtagswahlen auch diese Krise übersteht. Und vielleicht sogar bei der Europawahl reüssiert. Noch hat sie ihre Rolle als Mehrheitsbeschafferin nicht völlig eingebüßt.

Doch die Lage wird von Mal zu Mal schwieriger. Erst erschienen die Grünen auf dem politischen Parkett, dann die Linke, dann die AfD. Seit Montag existiert die Wagenknecht-Partei, demnächst möglicherweise die Werte-Union. In der Regel dauert es eine Weile, bis neue Parteien von den alten als mögliche Koalitionspartner akzeptiert werden. Aber dann ändert sich die politische Arithmetik.

Insofern ist die Krise, in der sich die Liberalen derzeit befinden, möglicherweise noch bedrohlicher als 1969 und 1982, als sie das Lager wechselte – und auch bedrohlicher als 2013, als sie aus dem Bundestag flog. Auch damals wurde die Partei in ihren Grundfesten erschüttert. Doch irgendwann war die Krise vorbei.

Dies könnte sich diesmal ändern. Noch steht die viel zitierte Brandmauer, doch was passiert, wenn die AfD im Osten überall die stärkste Kraft wird? Fällt dann die CDU um?

Und welchen Einfluss hätte es, wenn die Amerikaner 2024 Donald Trump und die Franzosen 2027 Marine Le Pen wählen würden? Wie die Italiener 2022 Giorgia Meloni? Und wenn sich dann herausstellt, dass die Welt – zumindest vorläufig – auch unter einer rechtspopulistischen Regierung nicht untergeht?

Die FDP war für die alte Bundesrepublik unverzichtbar. Das ist sie heute nicht mehr. Die Idee, Bürgerrechte und Marktwirtschaft zu verbinden, mag bestechend sein. Doch sie hat zurzeit keine Konjunktur. Was die Liberalen auszeichnet, ist der Mann an der Spitze: Christian Lindner gehört zu den Menschen, die Politik gestalten und erklären können. Beides zugleich können nicht viele, wie der Vergleich mit dem wenig kommunikativem Kanzler und seinem bisweilen wenig kompetenten Vize zeigt.

Lindner sagte in Stuttgart, es gebe einen dritten Weg zwischen Schwarzmalerei und Gesundbeten, nämlich sich den Realitäten zu stellen. Der Parteichef und Finanzminister meinte damit die Krisen, die das Land durchschütteln.

Doch das gilt auch für seine Partei. Das kommende Jahr wird nicht einfach. Die Basis tut sich extrem schwer mit der Ampel, wie die Mitgliederbefragung gezeigt hat. Andererseits gibt es angesichts der Umfragewerte keine Alternative dazu.

Manchmal ändern sich auch in der Politik die Zeiten. Doch im Moment sieht es für die Partei, die immer gebraucht wurde, düster aus.

Etwas zuversichtlicher darf man dagegen im Stammland der Liberalen sein. In Baden-Württemberg ist die FDP noch nie aus dem Landtag geflogen. Sie eignet sich immer noch als liberales Korrektiv in einer Koalition mit der CDU. Allerdings sollte sich die Partei genau überlegen, ob sie sich weiterhin in Richtung Grüne so widerborstig gibt. Schließlich könnte der Tag kommen, da auch Grüne und FDP sich zusammenraufen müssen.

Michael Schwarz

Redakteur Politik und Verwaltung

0711 66601-599

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