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„Die Mutter aller Wahlen“: Wie Rülke versucht, die FDP auf 2026 einzuschwören

Fit wie ein Turnschuh: Hans-Ulrich Rülke führt die FDP in die Landtagswahl 2026, die für die Liberalen zur „Mutter aller Wahlen“ werden könnte.
dpa/Uli Deck)Pforzheim. Das hätte Christian Dürr jetzt vielleicht nicht sagen sollen, aber so ein FDP-Bundesvorsitzender muss aushalten, dass ihn der Saal ausbuht. „Ich bin sogar im Herzen ein Grüner, ich bin Mitglied des SV Werder Bremen“, bekennt er in Pforzheim , der Heimat des baden-württembergischen Partei- und Fraktionschefs. Der wiederum steht nicht im Verdacht, auf Schmusekurs mit den Grünen zu gehen – also den Politikern, nicht den Fußballern. Hans-Ulrich Rülke hat oft genug klargemacht, dass er mit jeder anderen Partei jenseits der Extreme lieber koalieren würde als mit der Ökopartei, doch die Zeiten, in denen man so etwas ausschließen konnte, sind vorbei.
Entsprechend pfleglich gehen die Freidemokraten an diesem Samstag mit der politischen Konkurrenz diesseits der „Höckes und Weidels und Frohnmaiers“ um, denen dieses Land nicht in die Hände fallen dürfe, wie es ihr Spitzenkandidat formuliert.
Rülkes Eltern haben noch nicht FDP gewählt
Sein Auftritt im Congress-Centrum Pforzheim ist auch deshalb ein Heimspiel, weil der gebürtige Tuttlinger hier seit Jahrzehnten lebt. Rülke erinnert an den Nachkriegsbürgermeister Johann Peter Brandenburg, ebenfalls ein Liberaler, der diese vom Bombenhagel des 23. Februar 1945 bis heute gezeichnete Stadt wieder aufgebaut hat.
Rülke wurde nicht in dieses Milieu der Mittelständler und Akademiker geboren, mit dem man die FDP meist verbindet. Seine Eltern waren keine FDP-Wähler und studiert hatten sie auch nicht. Doch „sie wussten stets, dass vor dem Verteilen das Erwirtschaften kommt“.
Der baden-württembergische Parteichef betont die Bedeutung dieser Wahl für die Gesamtpartei mit drastischen Worten. „Es geht um Sein oder Nichtsein“, sagt er und dass am 8. März 2026 die „Mutter aller Wahlen“ stattfinde. Er werde „mit jeder Faser“ dafür kämpfen, dass die Liberalen wieder in den Landtag ziehen. Dies könnte sich zeigen: „Die FDP kann Wahlen gewinnen.“
Oder auch nicht. Die Annahme, dass es nicht reichen könnte, ist ja nicht völlig aus der Luft gegriffen. Zumal sich auch die Linke und das BSW gewisse Hoffnungen auf einen Einzug in den Landtag machen können – alles Parteien, die wie die FDP nach Umfragen mal über und mal unter fünf Prozent liegen.
Vielleicht nimmt auch deshalb der Bundesvorsitzende den Ball nicht so ganz auf. Die FDP im Südwesten habe „die volle Unterstützung der gesamten FDP“, sagt er etwas verhaltener. Auf Nachfrage betont er, dass sich die Bundespartei „im besonderen Maße engagieren“ will. Von Sein und Nichtsein ist keine Rede.
Auch die anderen Kandidaten auf den aussichtsreichen Listenplätzen halten sich zurück. Jochen Haußmann, die grundsolide Nummer zwei, streicht heraus, was anders gelaufen wäre, wäre die FDP immer noch in der Regierung wie bis 2011. Etwa in der Bildungspolitik und bei der Grundsteuerreform.
Anschließend weist er darauf hin, dass er 58 Jahre alt sei, drei erwachsene Kinder habe, 20 Jahre im Mittelstand tätig war und ein Mal im Jahr einen Marathon laufe. Und dass die Strecke, die die Partei jetzt noch bis zur Landtagswahl zurückzulegen habe, 246 Tage dauere.
Dann tritt jene Frau ans Rednerpult, die an diesem Tag den größten Applaus bekommen wird: für eine Rede, in der sie die Seele der Partei streichelt. Alena Fink-Trauschel ist so etwas wie das Fleisch gewordene Versprechen dafür, dass es die FDP auch in Jahrzehnten noch geben könnte. Sie zog 2021 mit gerade einmal 22 als jüngste Abgeordnete in den Landtag ein und beweist dort seither ihr rhetorisches Talent. Dass sie auf Stöckelschuhen fast so groß wie Rülke ist, sich dezent schminkt und Wert auf ein gepflegtes Äußeres legt, dürfte ihr ebenfalls nicht schaden.
Doch das ist es nicht allein: Sie hängt sich, wie ein Parteifreund betont, auch vor Ort in Ettlingen rein. Fink-Trauschel selber berichtet, wie sie eine Frau vor einer Zwangsheirat bewahrt habe. „Ich habe gehandelt.“ Und dies gelte auch für die Partei: „Wir hören, wir handeln, wir halten.“ Die Botschaft laute: „Auf diese FDP kann man sich verlassen.“
Platz vier geht an die Finanzbürgermeisterin von Leimen
Auch Platz vier ist für eine Frau vorgesehen: Die Parteitagsregie hat sich Claudia Felden, Finanzbürgermeisterin in Leimen, ausgeguckt. Gegen sie kandidiert die Stuttgarterin Gabriele Heise. Beide haben sich schon für andere Ämter beworben, Felden kürzlich vergeblich für das Amt des Oberbürgermeisters in ihrer Heimatstadt, Heise war einmal Generalsekretärin der Landespartei.
Felden setzt sich mit 71,3 Prozent durch, auch wenn ihre Rede wenig Aufregendes bietet. Am ehesten bleibt in Erinnerung, dass sie nacheinander zwei Autos besaß, mit denen sie wegen immer strengerer Abgasvorschriften nicht mehr nach Stuttgart fahren durfte.
Danach sind wieder die Männer an der Reihe. Platz fünf geht an Erik Schweickert, den gefürchteten Zwischenrufer aus der vorletzten Reihe des Landtags. Der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses kommt als erster über 90 Prozent. Genauer sind es 90,1 Prozent. Und wie bei Rülke (88,9), Haußmann (89,1) und Fink-Trauschel (89,0) fällt auf, dass es unter den 400 Delegierten rund 30 gibt, die mit Nein stimmen. Wobei es natürlich nicht immer dieselben 30 sein müssen.
Es folgen Friedrich Haag auf Platz sechs, Nico Weinmann auf Platz sieben und Daniel Karrais auf Platz acht, wobei sich der digitalpolitische Sprecher der FDP-Fraktion gegen Gabriele Heise durchsetzt, die daraufhin das Handtuch wirft und nicht mehr antritt. Niko Reith kommt auf Listenplatz neun.
Mit der Wahl von Julia Goll auf Platz zehn ist auch klar, dass Rülke seiner Ansage, dass der neuen Fraktion mehr Frauen angehören sollen, Taten folgen lässt. Denn aktuell sind es nur zwei, nämlich Goll und Fink-Trauschel. Nun werden es mindestens drei, wenn die Partei in den Landtag kommt und dies nicht nur haarscharf. Das mag wenig erscheinen, wenn man es mit den Grünen oder der SPD vergleicht. Doch man muss wissen, woher die Liberalen kommen. Von 2016 bis 2021 war die Fraktion ein reiner Männerverein.
Aus der Rede von Goll, die sich als Obfrau im Untersuchungsausschuss zur Polizeiaffäre einen Namen gemacht hat, bleibt in erster Linie in Erinnerung, dass sie fünf Kinder großgezogen und einen Mann – den langjährigen FDP-Justizminister Ulrich Goll – umsorgt hat. Merke: Man muss keine mitreißenden Reden halten, um bei der FDP einen ordentlichen Listenplatz zu bekommen.
Auf Platz elf kandidiert der bildungspolitische Sprecher Timm Kern, der seit 2011 im Landtag sitzt. Der Studienrat hält ein flammendes Plädoyer für eine Schule, in der Leistung wieder zählt. „Baden-Württemberg hatte einmal die besten Schulen. Das müssen wir zurückholen.“ Die Delegierten danken es ihm mit 90,3 Prozent.
Nun geht es um Platz zwölf, möglicherweise der letzte Platz, der am Ende noch reicht. Es treten an: Der agrarpolitische Sprecher Klaus Hoher und der verkehrspolitische Sprecher Christian Jung, Jung gilt als gesetzt, Hoher ist der Herausforderer. Der Landwirt vom Bodensee betont, dass er anders als die meisten in der FDP kein Abitur habe. Er sei auch kein großer Redner, wisse aber, „wie’s läuft“. Und er zitiert den ersten baden-württembergischen Ministerpräsidenten Reinhold Maier, demzufolge die FDP „a bissle Bäck ond a bissle Doc“ sei, also Bäckern ebenso eine Heimat biete wie Doktoren.
Auch Jung kann das für sich beanspruchen – er ist promoviert –, stellt sich aber lieber als Kenner aller Schlaglöcher im Südwesten dar. Das Ergebnis ist ziemlich knapp: Jung kommt auf 50,4 Prozent der Stimmen, Hoher auf 43,6. Hoher erobert anschließend Platz 13. Es folgen Georg Heitlinger, Hans Dieter Scheerer und Dennis Birnstock. Von den 16 ersten Listenplätzen gehen 15 an Landtagsabgeordnete – auch das ist ein Ergebnis von Pforzheim.
Rülke bleibt Landeschef
Neben der Liste für die Landtagswahl hat die FDP am Wochenende in Pforzheim auch die Parteispitze gewählt. Hans-Ulrich Rülke bekam bei seiner Wiederwahl zum Landesvorsitzenden 79 Prozent der Stimmen. Pascal Kober (65,4), Gabriele Heise (63,2) und Benjamin Strasser (60,7) wurden als Stellvertreter bestätigt. Schatzmeister bleibt Jochen Haußmann (90,4), Generalsekretärin Judith Skudelny (70,6).

