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Essay

Die schwäbische Hausfrau, zeitgemäß interpretiert

Heraus aus den ideologischen Schützengräben: Die Debatte über die Schuldenbremse ist eröffnet. Die Idee, Politiker zu disziplinieren, damit sie das Geld nicht zum Fenster herauswerfen, hat durchaus ihr Gutes. Doch sie darf nicht dazu führen, dass notwendige Investitionen in die Zukunft unterbleiben, findet Michael Schwarz.

Handgeschabte Spätzle gehören zu den Kernkompetenzen einer schwäbischen Hausfrau - und manches andere mehr, zum Beispiel Sparsamkeit.

dpa/Eibner-Pressefoto)

Am Anfang stand Angela Merkels schwäbische Hausfrau, am Ende das Bundesverfassungsgericht. Seither kämpft die Ampel in Berlin mit den Folgen. Viele Investitionen können nicht mehr oder nur noch mit großer Verzögerung umgesetzt werden, weil in Deutschland eine Schuldenbremse gilt, die zur schwäbischen Sparsamkeit erzieht.

Unter anderen gefährdet dies die Digitalisierung von Stuttgart 21, was das Bahnprojekt endgültig zur Farce machen könnte. Es droht ein Torso, über die sich allenfalls jene Projektgegner freuen könnten, die immer schon dafür waren, in den Tunneln, durch die einmal Züge fahren sollen, Champignons anzubauen.

Gut, so weit wird es vermutlich nicht kommen. Doch man muss schon deutlich sagen, was es bedeutet, wenn angesichts der aktuellen Herausforderungen auf Investitionen verzichtet würde. Zumal sich inzwischen sogar die Wirtschaftsweisen für eine Reform der Schuldenbremse aussprechen angesichts einer Verschuldungsquote, die im internationalen Vergleich moderat ausfällt.

Auch der Verweis auf die schwäbische Hausfrau sticht nicht. Schwäbische und badische Hausfrauen schauen zwar durchaus darauf, dass das Geld reicht. Gleichzeitig sind sie aber bereit, Schulden aufzunehmen, wenn es um Zukunftsinvestitionen, etwa in ein Eigenheim, geht.

Das bedeutet jedoch nicht, dass die Schuldenbremse grundsätzlich ein Fehler war. Es war gut, dass Deutschland sich nach Jahrzehnten des Über-seine-Verhältnisse-Lebens Zügel angelegt hat. Und zwar ziemlich straff.

Einst ersann Winfried Kretschmann die Schuldenbremse, nun sieht er Reformbedarf

Nun erkennen selbst einige, die im Jahr 2009 die Schuldenbremse ersonnen haben, den Reformbedarf. Etwa Winfried Kretschmann, der in der von seinem Amtsvorgänger Günther Oettinger geleiteten Föderalismusreform den Landtag vertrat.

Dabei orientiert sich der Ministerpräsident an seinem Finanzministers, der bereits über diese Frage sinnierte, als er noch im Bundestag saß. Die Schuldenbremse müsse um eine Investitionsregel ergänzt werden. schrieb Danyal Bayaz in einem Debattenbeitrag zum Grundsatzprogramm der Grünen. Ansonsten werde der Handlungsspielraum künftiger Generationen „nicht so sehr durch einen zu hohen Schuldenstand gefährdet, sondern durch eine marode Infrastruktur und ausbleibende Zukunftsinvestitionen“.

Das war 2019. Seither hat sich die Welt weitgedreht, erst kam Corona, dann der Ukraine-Krieg. Inzwischen spricht niemand mehr von der schwarzen Null, gegen die sich Bayaz 2019 auflehnte. Es geht nur noch darum, ob man das Fass „Schuldenbremse“ aufmacht oder nicht.

Noch steht im Bund die Allianz der Lordsiegelbewahrer aus CDU, CSU, FDP und AfD, doch in den Ländern grummelt es. Viele CDU-Ministerpräsidenten könnten sich eine Aufweichung der Schuldenbremse vorstellen. Auch die Frage, ob die Länder nicht auch wie der Bund in normalen Zeiten Schulden aufnehmen können sollten, wird diskutiert.

Merz könnte noch Probleme mit dem Urteil bekommen, das es nicht gäbe, hätte er nicht geklagt

Doch schon ein Sieg der Union bei der nächsten Bundestagswahl könnte die Situation völlig verändern. Dann muss Friedrich Merz oder ein anderer Kanzler aus den Reihen der CDU/CSU mit dem Geld auskommen, das ihm nach dem Karlsruher Urteil bleibt – einem Urteil, das es nicht gäbe, hätte der heutige Oppositionsführer nicht geklagt. Und dann könnte die Einsicht reifen, dass eine Korrektur der Schuldenbremse keine schlechte Idee wäre.

Es ist nur die Frage, wie weit die Büchse der Pandora geöffnet wird. Denn vom Grundsatz hatten die Erfinder der Schuldenbremse, hatten Kretschmann, Oettinger, Struck und Steinbrück, ja Recht: Man darf zukünftigen Generationen keine Schuldenberge überlassen. Zumal keiner weiß, wann die nächste Pandemie, wann der nächste Krieg folgt. Und weil es sich gezeigt hat, dass es eine gute Idee war, den Haushalt zu sanieren, bevor Corona kam.

Aber eine Schleifung der Schuldenbremse steht ja auch nicht zur Debatte, jedenfalls nicht nach den aktuellen Mehrheitsverhältnissen. Es geht darum, dass genug Geld ist, um die Zukunft nicht zu verpassen.

So könnte man über längere Tilgungszeiten nachdenken. Oder über die Frage, ob Haushalte ans Kalenderjahr gebunden werden müssen. Auch eine Umstellung auf doppelte Buchführung wäre zu erwägen – damit man sieht, was wirklich auf der Soll- und auf der Habenseite steht, Infrastruktur und Pensionsverpflichtungen inklusive. „Gegner und Befürworter der Schuldenbremse müssen dafür aus ihren ideologischen Schützengräben rauskommen.“ So formuliert es Danyal Bayaz heute – fünf Jahre, nachdem er die Debatte anstieß.

Michael Schwarz

Redakteur Politik und Verwaltung

0711 66601-599

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