Themen des Artikels

Um Themen abonnieren und Artikel speichern zu können, benötigen Sie ein Staatsanzeiger-Abonnement.Meine Account-Präferenzen

Essay

Es braucht Führungsstärke und einen offenen Diskurs

Polizeipräsident Thomas Berger fordert im Essay Mut bei der digitalen Transformation in tradierten Organisationen.

Polizeipräsident Thomas Berger

Privat)

Ein paar Wochen ist es her, dass im Rahmen des Europäischen Polizeikongresses (EPK) in Berlin über die digitale Transformation der Gesellschaft und deren Auswirkungen auf den Staat – gerade auch auf die Polizei – gesprochen wurde. In einem Punkt war man sich rasch einig: Auch staatliche Institutionen kommen an der digitalen Transformation nicht vorbei. Es ist ein Muss, diesen Weg zu gehen. Aussitzen Fehlanzeige.

Die Frage nach dem „Ob“ wurde schnell und eindeutig beantwortet. Oft geht es bei solchen Diskussionen dann weiter mit Nettigkeiten und gegenseitigem Schulterklopfen. Doch diesmal nicht, im Gegenteil!

Es folgte ein intensiver und teils kontroverser Diskurs über das „Wie“. Wie können staatliche Institutionen, die als Anker in die Gesellschaft hineinwirken müssen, trotz notwendiger konservativer Grundausrichtung den Wandel vollziehen? Ist das Betreiben teurer IT-Infrastruktur das Kerngeschäft der Polizei? Können Dritte für staatliche Institutionen Aufgaben übernehmen, ohne dass der Staat vollends die Kontrolle über seine ureigensten, hoheitlichen Aufgaben aus der Hand gibt? Gehört dieser Betrieb zur Daseinsfürsorge gegenüber den Menschen und muss er daher auf Biegen und Brechen selbst geführt werden – egal was es kostet? Frei nach dem Spruch eines Leichtathletik-Funktionärs aus den 90er-Jahren: „Be happy and pay the deficit!“?

Kein Platz für ein Aussitzen der Probleme

Nun, so leicht sollte man es sich wahrlich nicht machen, wenn es um Milliarden Euro Steuergelder und entscheidende Zukunftsfragen geht. Aus der Erkenntnis absoluter Notwendigkeit von Veränderungen und der Unkenntnis der Folgen, die unsere Entscheidungen in den kommenden Jahren und Jahrzehnten haben werden, ergibt sich für alle Beteiligten eine Komplexität, die so unüberschaubar erscheint, dass man sich einfach nur ab- und der Lösung einfacherer, banalerer Probleme zuwenden möchte.

Es ist eine Tatsache, dass sich staatliche Institutionen allzu zögerlich auf den Weg machen. Ein fataler Fehler! Hier ist kein Platz für ein Aussitzen der Probleme. Es braucht echte Führungsstärke in Legislative und Exekutive – und Mut. Mut, durchgreifende Entscheidungen zu treffen. Dies wohlwissend, dass man sicher auch teilweise falsch liegt. Das Phänomen ist im Übrigen nichts Neues: Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts hat ein russischer Ökonom, Nikolai Kondratjew, seine Thesen veröffentlicht, die im Grunde folgende zentrale Aussage beinhaltet: Die technische Innovationskraft der Menschheit verändert die Gesellschaft. Sie schafft Wandel und bringt Wohlstand. Wer den Wandel nicht mit vollzieht und zu durchgreifenden Veränderungen fähig und bereit ist, wird scheitern. Scheitern als Einzelner, scheitern als Organisation und scheitern als Staat.

Es gibt allerdings einen Ausweg aus der scheinbaren Komplexitätsfalle. Dieser Ausweg hat im Wesentlichen drei Komponenten: Man muss sich die richtigen Fragen stellen, entschlossen handeln und um die Lösungen intensiv ringen. Ja, auch streiten! Einer dieser Streitpunkte ist sicher, ob der Staat nicht die Hoheit über wichtige Bereiche der Aufgabenerfüllung behalten und dennoch die Dienstleistungen Dritter in Anspruch nehmen kann. Also eine moderate Öffnung des geschlossenen Systems, ohne dass das „Outsourcing“ gleich zum Totengräber staatlicher Souveränität wird.

Welche Stellung hat der Datenschutz des Einzelnen?

Eine weitere wichtige Frage, die es intensiv zu diskutieren gilt: Welche Stellung hat der Datenschutz des Einzelnen im Kontext anderer zu schützender Grundrechte wie Gesundheit und Leben der Menschen? Ist hier denn die Balance noch gewahrt? Aber auch hier gilt für mich: Wenn wir diese Themen nicht auf den Tisch bringen und hart an der Sache orientiert ausfechten – wie sollen dann die Entscheider zu einer klaren Haltung kommen, um dann den richtigen Weg einzuschlagen?

Viele Aspekte, wie die gerade erwähnte Dominanz des Datenschutzes in dieser Transformation, werden einfach nicht offen diskutiert und teilweise sogar dogmatisiert. Daher muss man froh über Formate wie den EPK sein. In Berlin wurde deutlich, dass alle dort für die Innere Sicherheit das Beste wollen – mit klar unterschiedlichen Wegen. Die Lösung des Ganzen ist vielleicht einfacher, als man denkt: Gute Fragen stellen, Probleme klar benennen, hart in der Sache streiten, Haltung erlangen und danach durchgreifend entscheiden und verantworten. Es gibt Momente, wie auch diese in Berlin, die in dem schwierigen Prozess der Transformation der Sicherheitsarbeit Mut machen. Diesen Mut brauchen wir – für einen offenen und öffentlichen Diskurs – rasch.

Von Thomas Berger

Nutzen Sie die Vorteile unseres

Premium-Abos. Lesen Sie alle Artikel aus Print und Online für

0 € 4 Wochen / danach 189 € jährlich Nachrichten aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung in Baden-Württemberg Jetzt abonnieren

Lesen Sie auch