Praktika

EU will anständige und klare Arbeitsbedingungen

Einen Qualitätsrahmen für Praktika in der Europäischen Union gibt es bereits. Jetzt will Brüssel nachbessern und die Schutzrechte ausbauen, bis hin zur Möglichkeit eines Mindestlohns. Das spaltet Baden-Württembergs Landesregierung, weil die CDU die Pläne für ein „Bürokratiemonster“ hält, wie Johanna Henkel-Waidhofer schreibt.

Gerade in Deutschland sind viele Praktika von Schülern und Studierenden nicht oder kaum bezahlt. Die EU will das mit einer neuen Richtlinie ändern.

IMAGO/Christian Vorhofer)

Stuttgart. In der Bundesrepublik sind nach Angaben der EU junge Menschen besonders interessiert an Praktika: Nur sieben Prozent der für das regelmäßig erhobene Eurobarometer repräsentativ Befragten zwischen 18 und 35 Jahren geben an, noch nie ein Praktikum absolviert zu haben. Eine knappe Mehrheit (51 Prozent) sagt, keine Bezahlung und keinen finanziellen Ausgleich bekommen zu haben, 31 Prozent waren regulär sozialversichert, nur rund 20 Prozent meinen, dass der Zugang ungehindert für alle gleich ist, etwa für Jugendliche und junge Erwachsene aus sozial schwachen Verhältnissen, mit Migrationshintergrund oder Einschränkungen.

Grünen-Abgeordnete ist für Vorstoß der EU, CDU und FDP sind skeptisch

Deshalb verlangt Sarah Hagmann (Grüne) faire Bedingungen für alle, die nach der Schule, im Rahmen von Ausbildung, Beruf, Studium oder Promotion, ein Praktikum absolvieren. Die Voraussetzungen seien „anständige und klare Arbeitsbedingungen“ sowie angemessene Lerninhalte: „Es ist gut, dass die EU hier tätig wird.“ Und zwar, weil „Ausbeutung nicht nur den Praktikantinnen und Praktikanten schadet, sondern auch den Arbeitgebern, die sich an faire Bedingungen halten“, sagt die Grüne zum koalitionsintern heiklen Thema. Es seien in den Vorschlag aus Brüssel alle Interessenträger einbezogen worden, auch Vertreter der Wirtschaft. Auch die EU selber verweist darauf, dass die Sozialpartner Teil der Konsultationen zur Überarbeitung der Vorgaben von 2014 sind.

Diskutiert über Bezahlung und Ausbeutung wird seit mehr als einem Vierteljahrhundert. Eine ganze Generation wurde mit dem Kürzel P versehen: P für Praktikum oder für Prekär. Im Qualitätsrahmen verlangt die EU, soziale Rechte zu gewährleisten, künftig sollen sie garantiert werden.

Freiwillige unbezahlte Praktika sollen maximal drei Monate dauern können

Denn selbst für Pflichtpraktika gibt es keine einheitlichen Regelungen zu Dauer und Vergütung. Das möchte die EU ändern und zugleich freiwillige unbezahlte Praktika auf drei Monate begrenzen. Gewerkschaften und europäische Jugendorganisationen wollen mehr und fordern verpflichtende Vergütungs- und Versicherungsregelungen für alle.

Doch Kritiker wie CDU und FDP im Landtag führen ins Feld, dass in den Nationalstaaten, in der Bundesrepublik in den Länder, die Kontrolle überhaupt nicht möglich sein wird. „Wir müssen den Unternehmen den Handlungsspielraum lassen, damit sie überhaupt noch Plätze anbieten“, verlangt Manuel Hailfinger (CDU), „denn es kann gar nicht in unserem Sinn sein, dass es die Plätze am Ende des Tages gar nicht mehr gibt.“

Landesregierung erkennt das Recht der EU auf strengere Vorgaben an

Hans Dieter Scherer (FDP) macht bekannt, die CDU habe in den Ausschussberatungen inhaltlich sogar dem Antrag der Liberalen zugeneigt, ohne förmliches Votum der Koalitionsdisziplin wegen. Brüssel habe „wirklich ein bürokratisches Monster vorgelegt, und das sollte einfach so durchgewunken werden“.

Aufseiten der Befürworter sind die Sozialdemokraten. Es sei faszinierend, „dass, sobald es um Arbeitnehmerrechte geht, sobald es um Schutzrechte geht und sobald es gerade um die Schwächsten in der Arbeitswelt, die Praktikantinnen und Praktikanten, um die Bekämpfung von Scheinpraktika, geht, dann immer vom Bürokratiemonster gesprochen wird“, so Florian Wahl, Vorsitzender des Sozialausschusses im Landtag. Die konkrete Umsetzung der Richtlinie sei noch offen, aber schon werde Stimmung dagegen gemacht.

Unternehmer aus Mittelstand lehnen das Vorhaben ab

Geäußert hat sich im Rahmen der europäischen Verfahren auch die Landesregierung. Im Berichtsbogen wird festgestellt, dass die Pläne dem Subsidiaritätsprinzip nicht widersprechen, die EU also strengere Vorgaben machen darf. Auch die Bundesregierung sieht Letzteres und die Verhältnismäßigkeit gewahrt.

Am Zug ist, wenn die Richtlinie fertig ist, der Bundesrat. Wirtschaftsstaatssekretär Patrick Rapp (CDU) verspricht, die Bedenken der Unternehmen, vor allem im Mittelstand, ernst zu nehmen. Die Industrie- und Handelskammern im Land spricht von einem Vorhaben der EU, „als hätte es Kritik an der mittlerweile maßlosen Regulierungsdichte und Bürokratiebelastung noch nie gegeben“.

Dünne Datenlage

Die Zahl junger Menschen, die vor dem Einstieg in das Berufsleben Praktika absolvieren, steigt. Der Europäische Rechnungshof geht von 3,7 Millionen pro Jahr unionsweit aus. In einer aktuellen Stellungnahme heißt es, die dünne Datenlage erschwere „faktenbasiertes politisches Handeln“. Die Überarbeitung der politischen Leitlinien für Praktika soll dafür Sorge tragen, dass nicht mehr so viele junge Menschen aus finanziellen Gründen auf diese verzichten.

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