Kommentar

Flüchtlingsgipfel: Die Politik beweist Handlungsfähigkeit

Ministerpräsident Kretschmann hat beim Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt eine zentrale Rolle gespielt. Er und den Grünen ist manches erkennbar schwer gefallen. Die Ergebnisse können sich aber sehen lassen. Am Ende sind vor allem die linken Parteien über ihren Schatten gesprungen, kommentiert Chefredakteur Rafael Binkowski.

Kanzler Olaf Scholz (Mitte) mit Markus Söder (rechts) und Winfried Kretschmann beim Flüchtlingsgipfel.

dpa/ EPA/ CLEMENS BILAN)

Stuttgart. Bis tief in die Nacht wurde getagt. Der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat beim Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt eine zentrale Rolle gespielt. Der Regierungschef ist eingebunden in die Besprechung der unionsgeführten Länder – und hat dort eine wichtige Mittlerrolle. Steht er doch einerseits für den konservativ-bürgerlichen Teil Baden-Württembergs ebenso wie für den linksliberalen. Am Ende sind vor allem die linken Parteien über ihren Schatten gesprungen – und haben weitreichenden Einschränkungen und einer härteren Linie in der Flüchtlingspolitik zugestimmt.

Die Ergebnisse können sich sehen lassen: Bürgergeld erst nach 36 Monaten, Asylverfahren in drei oder sechs Monaten abschließen, eine Bezahlkarte statt Geldleistungen bis im Januar, und zumindest der Versuch, Asylverfahren in Drittstaaten abzuwickeln. Gleichzeitig erhalten die Kommunen mehr Geld für die Unterbringung, angepasst an den tatsächlichen Bedarf. Das nimmt viel Druck vom Kessel.

„Schwerste Verhandlungen“

Kretschmann und den Grünen ist manches erkennbar schwer gefallen. Von den „schwersten Verhandlungen“, die er erlebt habe, spricht Kretschmann – und er hat während Corona schon viele anstrengende solcher Ministerpräsidentenrunden mit Kanzlern erlebt. Doch der Druck ist zu groß: von den Kommunen, die überlastet sind, von höheren Zahlen als im Krisenjahr 2015 – und steil ansteigenden Umfragewerten der Rechts- und Linkspopulisten. Die bieten zwar keine Lösungen an, nutzen aber die Stimmung aus.

Wichtig ist vor allem auch das psychologische Signal. Manche der Maßnahmen greifen erst langfristig, etwa das europäische Flüchtlingssystem. Aber nun wird klar gestellt: Deutschland soll nicht mehr das Zielland Nummer eins in Europa sein, weil die Geldleistungen hier wesentlich höher sind als anderswo.

Wir brauchen Zuwanderung

Das gilt es nun umzusetzen – und dennoch nicht das Grundrecht auf Asyl auszuhöhlen, oder gar der dumpfen Stimmungsmache gegen „Ausländer“ und „Flüchtlinge“ nachzulaufen. Denn unser Land, unsere Wirtschaft und unsere Sozialsysteme brauchen Zuwanderung, nicht nur von Fachkräften, sondern schlicht von Arbeitskräften. Neben der Reduzierung der Zahlen, was unumgänglich ist, sollte man daher dringend darüber nachdenken, wie man die Flüchtlinge, die bleiben können oder sollen, besser integriert. Sofort arbeiten lassen, verpflichtende Deutschkurse, wären zwei sinnvolle Lösungen.

Die Politik hat gezeigt, dass sie handlungsfähig ist, und zu einem übergreifenden Konsens der Parteien der demokratischen Mitte fähig. Nun muss zügig umgesetzt werden, was beschlossen wurde – und die Union sollte der Versuchung widerstehen, die Regierung in der Frage vor sich her zu treiben. Wenn beides gelingt, entzieht das den Populisten den Nährboden.

Kretschmann und seinen Grünen ist manches erkennbar schwer gefallen.

Rafael Binkowski

Chefredakteur des Staatsanzeigers

0711 66601 - 293

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