Borkenkäferplage

Forst leidet jährlich unter bis zu vier Käfergenerationen

Die Nachrichten aus den Landratsämtern über Waldschäden in Baden-Württemberg häufen sich: Immer mehr Insekten tun sich an den Bäumen gütlich, die das Rückgrat unserer Wälder bilden. Ganz vorne dabei ist ein alter, aber ganz unscheinbarer Bekannter: der Borkenkäfer.

Der Borkenkäfer ist nicht das einzige Insekt unter dem der Forst leidet,

dpa/ Patrick Seeger)

Stuttgart. Heiße Sommer, längere Vegetationsperioden und Dürrephasen sowie milde Winter belasten zunehmend auch den Forst im Südwesten. Schadinsekten profitieren oft von der Situation und haben leichtes Spiel mit den geschwächten Bäumen. Eichenprozessionsspinner, Schwarmspinner, Eschentriebsterben und Diplodia-Triebschaden sorgen für gravierende Schäden.

Von 2018 bis 2022 hat das Land laut baden-württembergischen Forstwirtschaftsministerium 83 Millionen Euro Fördergelder zur Aufarbeitung von Schadholz, Einrichtung von Holzlagerplätzen, Prävention und Wiederbewaldung ausbezahlt. Die größten Schäden verursache der Borkenkäfer, der in Mitteleuropa vor allem Fichten befällt. 34 Prozent der hiesigen Wälder bestehen aus der Baumart. Oft handelt es sich dabei laut Bund für Umwelt- und Naturschutz Baden-Württemberg (BUND) um intensive Monokulturen.

Schadholzmenge hat sich fast verfünfzigfacht

Die heißen und trockenen Sommer der vergangenen Jahre boten ideale Schwärm- und Entwicklungsbedingungen für den Buchdrucker, den dominantesten Vertreter des Borkenkäfers. Von 2018 bis 2022 hat der Schädling ganze Landstriche verwüstet. Rund 25 000 Hektar Wald müssen laut Forstwirtschaftsministerium wieder aufgeforstet werden. Allein 2018 seien 1,5 bis 2,4 Millionen Festmeter Fichten-Schadholz angefallen. Zum Vergleich: 2006 bis 2016 seien es jährlich 0,5 Millionen und 2011 bis 2015 weniger als 0,05 Millionen Festmeter gewesen.

Unter idealen Bedingungen kann der Käfer im Jahr drei Bruten anlegen, aus denen 100 000 Nachkommen entstehen. Im Schwarzwald-Baar-Kreis sorgt das bei Dieter Dinkelaker für Kopfzerbrechen. Beim Monitoring wird es dem Kreisforstamtsleiter „schwindelig, weil jede kontrollierte Fichte mit gigantischen Käfermengen befallen ist“.

Ursprünglich sei die Baumart in der weitgehend von arktischer Kaltluft geprägten borealen Klimazone zu Hause. Auf steigende Temperaturen und Trockenheit reagiere sie deshalb besonders sensibel. Anders als Eichen oder Buchen habe sie kaum eine Chance mit ihren flachen Wurzeln, an tieferliegende, länger wasserführende Bodenschichten zu kommen und gerate unter Trockenstress.

Zusätzlich bringen nach Angabe des Naturschutzbundes Nabu (Bundesverband) übermäßige Stickstoffeinträge etwa aus Landwirtschaft, Verkehr und Industrie die Nährstoffversorgung der Fichte aus dem Gleichgewicht. Die geschwächten Bäume sind Christof Grüntjens zufolge eine leichte Beute für Insekten wie den Borkenkäfer. Laut dem Leiter des Forstbezirks Nordschwarzwald setzt sich eine gesunde Fichte mit Harz gegen die Schädlinge zur Wehr. Die bohren sich in die Stämme und legen dort eine Brut an. Später fressen sich Larven und Jungkäfer durch die Bastschicht. So wird die Versorgung mit lebenswichtiger Nahrung und Wasser je nach Befall bis zum Absterben geschwächt.

Natürliche Gegenspieler des Borkenkäfers sind etwa Specht, Ameisenbuntkäfer, Ohrwürmer oder Krankheitserreger. Eine explosionsartige Massenvermehrung kann keiner von ihnen unterbrechen oder verhindern, sagt Grüntjens. Denn der Schädling vermehre sich schneller, als seine Feinde Larven und erwachsene Tiere fressen könnten.

Entwarnung kann auch Jürgen Bauhus nicht geben. In Extremjahren würden die Tiere stellenweise schon eine vierte Brut anlegen. Seit 2018 hätte sich die Population so massiv vergrößert, dass der Käfer sogar in die Hochlagen des Schwarzwalds schwappt. Beobachtungen dazu gibt es Christof Grüntjens zufolge etwa am Feldberg. Auch die milden Winter verbesserten die katastrophale Lage nicht. Für Frieder Dinkelaker sind mehrere kalte und regnerische Sommer nötig, damit die starke Population zusammenbricht.

Klimawandel trifft auf ein träges Ökosystem

Wegen der langen Produktions- und Verjüngungszeiträume sind Wälder gegenüber dem Klimawandel besonders anfällig. Deswegen ist die Pflege und Bewirtschaftung von Wäldern für Cordula Samuleit die wohl wichtigste Präventionsmaßnahme gegen Borkenkäfer. Nach Auskunft der Leiterin des Kreisforstamts Esslingen werden befallene Bäume gefällt und schnell entfernt, bevor die Insekten im Frühjahr bei trockener Witterung ab 16,5 Grad ausschwärmen.

Bruttaugliches Material, wie es nach Schneebruch und Windwurf anfalle, werde vor der Brutzeit entfernt. Im Privatwald, den die Realteilung in viele kleine Grundstücke zersplittert hat, sei das kompliziert. Oft ist es laut Alexander Klein schwierig, die Eigentümer zu finden. Oft vermehren sich auch in seinem Forstrevier in Lenningen die Käfer weiter, bis Bewegung in den Privatwald kommt. Mit einer Allgemeinverfügung, Wirtsbäume auf Kosten der Besitzer zu schlagen, ist es laut Samuleit ebenso schwierig, weil das Kreisforstamt in finanzielle Vorleistung gehen muss, ohne zu wissen, ob die Privatwaldeigner dafür aufkommen.

Fichten dürften hierzulande kaum eine Zukunft haben

Um das Ökosystem Wald mit seinen Funktionen als Lebensraum, Erholungsgebiet, CO 2 -Senke, Trinkwasserfilter oder Rohstofflieferant zu erhalten, muss es gegenüber dem Klimawandel widerstandsfähiger werden. Landesweit ist der Um- und Aufbau naturnaher und standortgerechter Mischwälder mit trockenstresstoleranteren Arten in vollem Gange, so Alexander Klein, Revierleiter in Lenningen. Angesichts der Klimaprognosen und der massiven Schäden rechnet Frieder Dinkelaker, Leiter des Kreisforstamts Schwarzwald-Baar-Kreis, damit, dass die Fichte langfristig aus unseren Wäldern verschwinden wird.

Daniela Haußmann

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