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Essay

Für die Zukunft der Arbeit braucht es Mut und Realismus

Der Landesvorsitzende des DGB, Kai Burmeister, findet in einem Gastbeitrag zum 1. Mai klare Worte, was den Standort Baden-Württemberg angeht: "The Länd" müsse ein Industrieland bleiben. Unternehmer dürften sich ihrer Verantwortung ebenso wenig entziehen wie der Staat.

Der Stern stand jahrzehntelang für den wirtschaftlichen Erfolg von Baden-Württemberg. Doch inzwischen fragen sich viele, ob die Transformation an der Wiege des Automobils gelingt.

dpa)

Wie sieht die Zukunft der Arbeit aus? Die gute Nachricht: Uns ist die Arbeit nicht ausgegangen und das wird sie auch künftig nicht – trotz des rasanten technologischen Wandels. Gegenwärtig gehen e 4 909 317 Männer und Frauen im Südwesten einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Ein Höchststand.

Gedanken zur Zukunft speisen sich aus dem Hier und Jetzt. Da fängt das Problem an. Der Arbeitsalltag bei der Krankenkasse hat wenig gemein mit dem an der Supermarktkasse. Im Maschinenbau sieht es anders aus als im Krankenhaus.

Ähnlich vielfältig zeigt sich die Wirklichkeit beim Geld: Für viele Beschäftigte haben Gewerkschaften gute Löhne durchgesetzt, aber auch im wohlstandsgeprägten Baden-Württemberg hängen 400 000 Vollzeitbeschäftigte im Niedriglohnsektor fest. Doch nur existenzsichernde Löhne für alle bilden das Fundament der Arbeitswelt.

Viele Beschäftigte stehen vor der Aufgabe, Kindern, zu pflegenden Angehörige und nicht zuletzt der eigenen Gesundheit gerecht zu werden. Deshalb ist es gemeinsame Aufgabe von Sozialpartnern, Arbeitszeiten mehr denn je individueller zu gestalten. Die Tendenz lautet: Eher kürzere, selbstbestimmte Arbeitszeiten als Arbeit rund um die Uhr. Nicht für alle passt das eine Modell, aber für jeden muss mindestens ein passendes dabei sein.

In Zeiten des Fachkräftemangels ist es für Unternehmer ein Gebot der Klugheit, Beschäftigte nach ihren Bedürfnissen zu fragen. Gewerkschaften und Betriebs- und Personalräte hören jedenfalls hin und sprechen mit Belegschaften. Gemeinsam können die Sozialpartner tragfähige Brücken in die neue Arbeitswelt bauen.

Verfehlt ist hingegen der immer lauter und schriller vorgetragene Ruf nach pauschal längeren Arbeitszeiten. Dies empfinden vor allem diejenigen als Hohn, die gerade mit eingeschränkten Kita-Öffnungszeiten zurechtkommen müssen. Und auch die Generation Z wird nicht zu gewinnen sein, wenn sie permanent als faul beschimpft wird.

Vier Anstöße für gute Arbeit in Baden-Württemberg:

1) Die Beschäftigten sind bereit für Veränderungen. Sie brauchen aber Perspektiven. Weiterbildung und Qualifizierung müssen in allen Branchen viel größer gedacht werden. Her mit dem verbindlichen Recht auf berufliche Fortentwicklung. Her mit einer Kultur der lernförderlichen Arbeitsgestaltung, Themen gibt es mit Künstlicher Intelligenz genügend.

2) Es ist ureigenste Aufgabe von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften, die Arbeitsbedingungen auszuhandeln. Leider bröckelt das Erfolgsmodell. Waren zur Jahrtausendwende noch 75 Prozent der Beschäftigten durch Tarifverträge geschützt, so sind es heute nur noch 50 Prozent. Die EU schreibt die Zielmarke von 80 Prozent vor. Deshalb stehen Sozialpartner und auch Politik vor der Aufgabe, die Tarifwende einzuleiten. Dazu gehört auch eine höhere Tarifbindung im öffentlichen Dienst, der an den Rändern von Auslagerung geprägt ist.

3) Wir sind auf qualifizierte Zuwanderung angewiesen. Gewerkschaften sagen „Ja zu Zuwanderung“. Wir alle sollten uns an den Satz „Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen“ erinnern, wenn wir Menschen dauerhaft gewinnen wollen. Gelingende Integration ist eine gesellschaftliche Aufgabe, vorausgesetzt, die Politik ergreift die nötigen Maßnahmen. Die baden-württembergische Bevölkerung wird weiterwachsen. Gebraucht werden mehr Wohnungen, mehr Kitas, ein besserer öffentlicher Personennahverkehr. Und wir müssen die Frage ehrlich beantworten: Wie integrationsfähig ist etwa der öffentliche Dienst? Lange Schlangen vor der Ausländerbehörde zeigen strukturelle Defizite.

4) „The Länd“ ist seinem Selbstverständnis nach Industrieland. Damit es so bleibt, erwarten wir von der Politik, die drängenden Investitionen für den klimaneutralen Industriestandort zügig anzuschieben. Dazu gehört auch, die personellen Defizite im öffentlichen Dienst mit einer Fachkräftestrategie abzubauen. Von den Unternehmen erwarten wir sichtbare Bekenntnisse zum Standort statt Verlagerungen an Billigstandorte. Mitbestimmung im Betrieb bietet dazu ein gutes Fundament.

Wir haben kompetente und leistungsbereite Beschäftigte in Baden-Württemberg, die jeden Tag hart arbeiten. Mehr Respekt für gute Arbeit! Mit diesem Gebot ist mir für die Zukunft der Arbeit in Baden-Württemberg nicht bange.

Kai Burmeister

Kai Burmeister ist seit Februar 2022 Vorsitzender des DGB Baden-Württemberg.
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