Klimasachverständigenrat sieht im Südwesten viel Schatten und wenig Licht

Baden-Württemberg kann Klimaschutz, so ein Fazit des Klima-Sachverständigenrats. Das zeigen zahlreiche Leuchtturmprojekte. Aber es fehlt an einer konsequenten umfassenden Umsetzung jenseits von Pilotprojekten. Aus Sicht des Klimarats muss das Land hier dringend handeln. Die bisher im Klima-Maßnahmen-Register aufgelisteten Maßnahmen reichen längst nicht aus, um die Ziele des Landes beim Klimaschutz zu erreichen.

Trockenheit und Niedrigwasser in Flüssen sind bereits spürbare Auswirkungen des Klimawandels.

dpa/ dpa Philipp von Ditfurth)

Stuttgart. Bis 2040 will das Land klimaneutral sein, vor Bund und EU. So steht es im Klimagesetz, dass der Landtag verabschiedet hat. „Wer ambitioniertere Ziele setzt, muss sich auch intensiver für deren Erreichen einsetzen“, sagt Maike Schmidt, die Vorsitzende des Klima-Sachverständigenrats. Das unabhängige wissenschaftliche Gremium wurde von der Landesregierung berufen, um den Fortschritt beim Klimaschutz zu bewerten.

Im vergangenen Jahr sanken die Treibhausgasemissionen im Land gerade mal um 0,4 Prozent im vergleich zum Vorjahr. Gegenüber dem Basisjahr 1990 wurde damit bislang eine Reduktion von 21 Prozent erreicht. Bis zum Jahr 2030 sollen es 65 Prozent sein. Das bedeutet, die Treibhausgasemissionen müssen in den verbleibenden sieben Jahren um weitere 44 Prozentpunkte gesenkt werden. Das ist mit den bisherigen Maßnahmen nicht zu schaffen, so ein Fazit der Fachleute. Zum echten Klimaschutzland fehle eine dynamische Transformationskultur, das klare und unumstößliche Ja zum Klimaschutz, die Bereitschaft zur Veränderung und „das Machen“. Kurz: Es fehle die echte Umsetzung in der Breite und auf allen Ebenen der Gesellschaft. Zu diesem Schluss kommen die Sachverständigen.

Die bislang im Klima-Maßnahmen-Register gelisteten Maßnahmen seien zudem oftmals zu kleinteilig oder nur mit hohem bürokratischem Aufwand umsetzbar. Das Register müsse um „wirkmächtige Maßnahmen ergänzt werden“, so die Fachleute. Dabei kann Baden-Württemberg grundsätzlich Klimaschutz, wie Schmidt betont. Das habe man mit zahlreichen Leuchtturmprojekten bewiesen. Von Technologien für den Klimaschutz über Mobilitätspakte , fußgängerfreundliche Innenstädte bis zur klimaneutralen Sanierung von Quartieren oder Bioenergiedörfern.

Sektoren Energiewirtschaft und Industrie

Bei der Zielerreichung haben sich die Klimasachverständigen die einzelnen Sektoren angeschaut. Im Bereich der Energiewirtschaft sind die Emissionen ausgelöst durch den Krieg in der Ukraine und die Energiekrise zwar um zehn Prozent gestiegen. „Das ist noch kein Indiz dafür, dass das Minderungsziel für Treibhausgasemissionen für 2030 seitens der Energiewirtschaft nicht erreicht werden kann, so Schmidt. Die Fachfrau vom Zentrum für Sonnenergie- und Wasserstoff-Forschung  ist im Sachverständigenrat federführend für die Analysen in der Energiewirtschaft und Industrie zuständig.

„Für das Erreichen des Sektorziels im Jahr 2030 brauchen wir erstens den Kohleausstieg über einen Fuel Switch zu Erdgas und perspektivisch zu grünem Wasserstoff und zweitens den massiven Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung aus Photovoltaik und Windenergie. Das erste Ziel rückt durch die Aktivitäten der Kraftwerksbetreiber und der Gasfernleitungsbetreiber zusammen mit neuen Maßnahmen der Landesregierung zur Unterstützung einer zeitnahen Bereitstellung von Wasserstoff in greifbare Nähe“, so Schmidt. Auch der Photovoltaikausbau befinde sich derzeit auf dem Zielpfad, während der Windenergie die Dynamik noch fehle.

Mehr Sorgen macht ihr die Industrie. Dort seien die Treibhausgasemissionen 2022 zwar um zehn Prozent gesunken. Der Grund seien jedoch überwiegend Produktionsrückgänge als Folge der Energiekrise und Rohstoffengpässen. „Wir benötigen dringend neue Maßnahmen zur gezielten Unterstützung der Unternehmen in der Transformation der Prozesse hin zur klimaneutralen Produktion, insbesondere für die energieintensive Industrie,“ so Schmidt.

Gebäude und Verkehr

Im Gebäudesektor sind die Emissionen wieder gesunken. Aber lediglich auf den Wert von 2014. Im Vergleich zum Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre müsste sich der jährliche Einsparbetrag fast verfünffachen, um das Sektorziel für 2030 zu erreichen. Kommunen und Gebäudeeigentümer müssten in diesem Bereich finanziell und infrastrukturell unterstützt werden, so Martin Pehnt vom Insitut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg.

Die Treibhausgasemissionen im Verkehrsbereich sind 2022 um 0,4 Prozent gestiegen und liegen auf dem Niveau von 1990. Für 2023 rechnen die Experten mit einer weiteren Steigerung der Emissionen. Das Land verfüge aber über eine Verkehrswendestrategie.  „Klimaneutrale Mobilität – egal ob zu Fuß, mit dem Fahrrad, dem ÖPNV oder dem Automobil – muss noch konsequenter priorisiert werden.“ sagt Sven Kesselring von der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen.

Landwirtschaft und natürliche Treibhaussenken

Im Bereich Landwirtschaft gehen die bisherigen Maßnahmenansätze im Klima-Maßnahmen-Register in die richtige Richtung, so der Sachverständigenrat, müssten aber noch deutlich verstärkt werden. „Wenn die Maßnahmen beherzt sowohl die Treibhausgasemissionen der landwirtschaftlichen Produktion als auch den Verbrauch addressieren , bergen diese die fantastische Möglichkeit, neben ihrer Klimawirksamkeit, auch großen Mehrwert zu generieren für den Schutz der Biodiversität und die menschliche Gesundheit“, sagt Almut Arneth vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT).

Bei den natürlichen Treibhaussenken wie Wald und Mooren hingegen ist festzustellen, dass deren Leistung abnimmt. Das wird auf Sturmschäden, Schädlingsbefall und Trockenheit durch den Klimawandel zurückgeführt. „Da die Wälder den größten Beitrag zur Senkenleistung in Baden-Württemberg liefern, müssen die im KMR aufgeführten Maßnahmen präzisiert und deutlich ausgeweitet werden“, so Dirk Schindler von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.

Landesverwaltung muss von Planung in Realisierung wechseln

Als Vorbild soll die Landesverwaltung bereits 2030 klimaneutral sein. Laut Sachverständigenrat befindet sich die Landesregierung aber auf ihrem Reduktionspfad „in einem erschreckend frühen Stadium“. „Die Landesverwaltung muss schleunigst von der Planung in die Realisierung wechseln“, fordert Sabine Löbbe von der Hochschule Reutlingen.

Damit hat der Sachverständigenrat der Landesregierung „eine lange Liste an Hausaufgaben“ mitgegeben, so der Naturschutzbund in einer Mitteilung. Für die FDP scheitert Grün-Schwarz damit krachend bei ihrem Regierungsschwerpunkt, dem Klimaschutz. Laut Andreas Stoch (SPD) „verbummelt“ die Landesregierung „sogar ihre eigenen Klimaziele“. 

Stefanie Schlüter

stellvertretende Redaktionsleitung und Redakteurin Politik und Verwaltung

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