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Lottmann: „Wir sind seit Jahren Schlusslicht bei der Polizeidichte“

Die Kritik an der Kennzeichnungspflicht von Polizeibeamten sowie die Ablehnung des Antidiskriminierungsgesetzes sind nur einige Themen, die den Landesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Gundram Lottmann, beschäftigen. 
Polizeieinsatz Fußball

Die Gewerkschaft der Polizei spricht sich gegen eine Kennzeichnungspflicht aus. Polizisten seien schon jetzt identifizierbar.

Foto: Uli Deck/dpa)

STUTTGART. Seit 70 Jahren setzt sich die Gewerkschaft der Polizei für die Belange der Beamten und Angestellten ein. Der Landesvorsitzende Gundram Lottman spricht im Interview über aktuelle Herausforderungen und Lösungsansätze.

Gundram Lottmann, Vorsitzender der GdP Baden-Württemberg

Gundram Lottmann ist seit Dezember 2021 Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei. Der Kriminalhauptkommissar ist damit Nachfolger von Hans-Jürgen Kirstein. Lottmann war zuvor schon Mitglied im Geschäftsführenden Landesvorstand der GdP und ist seit 2017 im Hauptpersonalrat der Polizei Baden-Württemberg tätig.

Staatsanzeiger: Die GdP feiert in dieser Woche ihr 70-jähriges Bestehen. Man sagt ja gerne, früher war alles besser. Stimmt das auch mit Blick auf die Polizeidichte?

Gundram Lottmann: Das trifft nicht zu.1981 betreute ein Polizeibeamter in Baden-Württemberg 455 Bürger. Genau dieselbe Anzahl der zu betreuenden Bürger fand sich im Jahr 2020 wieder: ein Polizeibeamter auf 455 Bürger. Wir haben zwar einen Zuwachs erhalten, aber im gleichen Zeitraum ist auch die Bevölkerung in Baden-Württemberg gewachsen, so dass das Verhältnis der Polizeivollzugsbeamten zu den Bürgern gleichgeblieben ist.

Bei mehr Aufgaben.

Genau.

Die Landesregierung wird nicht müde, ihre Einstellungsoffensive ins Feld zu führen. Ihnen reicht das aber nicht aus. Wie muss ein verlässliches Personalkonzept aussehen?

Also zunächst einmal muss man feststellen, dass in den letzten zehn Jahren so viele Polizeibeamte eingestellt wurden wie noch nie. Aber gleichzeitig hat eine Rekord-Pensionierungswelle stattgefunden, so dass unterm Strich ein Zuwachs von rund 300 Stellen zu verzeichnen ist. Die GdP fordert einen verlässlichen Einstellungskorridor. Jährlich müssen 600 Stellen im Übersoll – also die Pensionierungen bereits abgezogen – entstehen. Über zehn Jahre hinweg, weil wir 6000 Polizeivollzugsstellen benötigen, um im bundesweiten Vergleich der Polizeidichte das Mittelfeld zu erreichen. Wir sind seit Jahren Schlusslicht.

Findet die Polizei denn noch ausreichend qualifiziertes Personal?

Wenn man vor Jahren auf eine freie Stelle noch neun bis zehn Bewerber hatte, sind es aktuell drei bis vier. Wir stehen in Konkurrenz zur freien Wirtschaft und auch bei uns schlägt das Thema Fachkräftemangel durch. Wir müssen gegensteuern, indem wir die Attraktivität des Berufs steigern.

Die Zahl der Bewerbungen im mittleren Dienst geht zurück, auch im gehobenen Dienst kann man nicht mehr aus den vollen schöpfen. Dazu kommt, dass nicht alle Bewerber die Einstellungstests bestehen, manche Anwärter scheiden auch nach Einstellung auf Probe aus.

Wir stellen jährlich 1400 Polizeianwärter ein. Die Abbrecherquote liegt bei etwa zehn bis 20 Prozent, das ist jedes Jahr unterschiedlich. Rechnen wir mit 20 Prozent, haben wir nach fünf Jahren einen kompletten Jahrgang verloren, weil sich die Anwärter woanders hin orientiert haben.

Geht die Attraktivität des Polizeiberufs auch zurück, weil es an Wertschätzung in der Gesellschaft mangelt?

Das spielt mit Sicherheit mit rein, weil das Thema Hass und Hetze im Internet eine große Rolle spielt. Wenn heutzutage jeder polizeiliche Einsatz sofort mit dem Handy gefilmt wird und unkommentiert ins Internet eingestellt wird, dann macht das natürlich auch mit dem Polizeibeamten etwas. Da muss man dringend gegensteuern. Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe Gewalt, Hass und Hetze gegen Polizeibeamte, gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst, etwas entgegensetzen.

Mangelt es auch an politischem Rückhalt? Sie sprechen sich etwa gegen das geplante Landesantidiskriminierungsgesetz aus. Warum?

Der Grund dafür, dass sich die GdP sich gegen das Antidiskriminierungsgesetz ausspricht ist, dass wenn Vorwürfe unbegründet erhoben werden – und das ist der Knackpunkt bei diesem Gesetz, jeder kann eine Behauptung aufstellen, ohne sie begründen zu müssen – dann bedeutet das für den betroffenen Polizeibeamten einen Karrierestopp. Solange die Vorwürfe nicht ausgeräumt sind, wird der Polizeibeamte nicht befördert, er kann sich auf keine andere Stelle bewerben, bis das Verfahren abgeschlossen ist. Unsere Forderung ist, dass wenn solche Vorwürfe erhoben werden, zunächst gegen die Dienststelle des Beamten ermittelt wird, nicht personenbezogen. Und dass man erst in einem zweiten Schritt, wenn sich die Vorwürfe bestätigen sollten, gegen den Beamten vorgeht.

Würden Sie also von einem Mangel an Rückhalt aus der Politik sprechen?

Es ist mit Sicherheit ein gewisses Misstrauen gegenüber der Polizei vorhanden. Ein Landesantidiskriminierungsgesetz gibt es bislang nur in Berlin. Alle anderen Länder sehen keine Notwendigkeit ein solches einzuführen, weil die Polizei schlichtweg Recht und Gesetz unterliegen, wir haben einen Eid auf das Grundgesetz, auf die Landesverfassung abgelegt, und bei uns, innerhalb der Polizei, darf für Diskriminierung kein Raum bestehen. Die wenigen schwarzen Schafe, die es gibt, die muss man konsequent verfolgen, das wird auch gemacht, aber dafür braucht es kein weiteres Gesetz.

Ein weiteres Vorhaben, das bei vielen Polizisten für Unmut sorgt, ist die Kennzeichnungspflicht.

Auch hier muss man sagen, dass die Kennzeichnungspflicht ideologisch geprägt ist. Wir haben bereits seit Jahren unsere Polizeikräfte in den geschlossenen Einheiten gekennzeichnet. Jeder Polizeibeamte trägt auf dem Rücken und auf dem Helm ein sogenanntes taktisches Patch an dem erkennbar ist, aus welcher Einheit der Beamte stammt, von welcher Einsatzhundertschaft und von welcher Gruppe. Man kann bis zur Gruppenstärke runter einen Polizeibeamten identifizieren. Und zur Wahrheit gehört auch, wenn in einer Landtagsdebatte der Vorwurf erhoben wird, dass über 150 Verfahren zu Stuttgart 21 nicht weiterverfolgt werden konnten, weil die Polizeibeamten nicht zu identifizieren waren, dann sind diese Behauptungen schlichtweg falsch und durch nichts belegt.

Wie ist das bei der Streifenpolizei?

Ein Großteil der Streifenpolizisten hat ein Namensschild an ihrer Uniform, auch wenn dies freiwillig ist. Und selbst wenn jemand sagt, bei mir war die Polizei, ich weiß nicht wer, dann kann in unserem Einsatzprotokoll genau nachvollzogen werden, namentlich mit Funkrufnamen, wer wo wann war. Wir Polizeibeamte sind schlichtweg gläsern.

Mit Sicherheit abschreckend dürfte manchen Bewerber auch die zunehmende Gewalt gegen Polizeibeamte. Ob verbal oder körperlich. Was kann man dagegen tun?  

Die letzten fünf Jahre hat die Gewalt gegen Polizeibeamte stets zugenommen, seit letztem Jahr stagnieren die Fallzahlen auf hohem Niveau bei circa 5000 im Jahr. Zwischenzeitlich ist es so, dass wir bei jedem dritten, vierten Einsatz mit psychisch auffälligen Personen zu tun haben. Das können alkoholisierte Personen sein, unter Drogen stehende Personen oder auch sonst psychisch auffällig, bei denen das Gewaltpotential niedrigschwelliger ist, als beim Normalbürger. Hier muss die Polizei im Rahmen der Aus- und Fortbildung ihr taktisches Vorgehen, etwa Ansprechen von Personen, intensivieren. Wir können unsere Kollegen auf solche Situationen vorbereiten.

Ist die Zündschnur durch all die Krisen, die Pandemie, bei manchen kürzer geworden?

Ich glaube schon, dass die Pandemie, als die Menschen mit Ausgehsperren behaftet waren, für Spannungen gesorgt hat. Die Aggressivität ist größer geworden. Aber ich habe den Eindruck, dass insgesamt in der Gesellschaft die Hemmschwelle, jemanden zu beleidigen oder auch körperlich anzugehen, geringer geworden. Wenn man mit etwas nicht einverstanden ist, nicht nur bei der Polizei, sondern auch beim Sachbearbeiter im Ausländeramt oder beim Ordnungsamt, dann greifen immer mehr Menschen verbal oder körperlich an.

Wie blicken Sie in den Herbst?

Tatsächlich denke ich, dass wir Zeiten von sozialen Spannungen erleben werden. Je nachdem wie gut die Bundes- und Landesregierung es schafft, Entlastungen für sozial Schwache einzubringen. Ich denke Konflikte könnten auf der Straße ausgetragen werden. Und dann werden wir es, wie bei der Pandemie erleben, dass sich Leute daruntermischen, die wir da nicht haben wollen. Zum Beispiel „Querdenker“ und „Reichsbürger“. Da gilt es dann auch für die, die Demonstrationen durchführen, sich von solchen Gruppen klar abzugrenzen.

Jennifer Reich

Redakteurin Politik und Verwaltung

0711 66601-183

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