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Produktionsverlagerungen

Nicht alle rechnen mit dem Exodus der Industrie

Verschiedene Mittelständler hatten in den vergangenen Wochen angekündigt, ganze Standorte oder Teile ihrer Produktion ins Ausland zu verlagern. Doch ob dies Anzeichen für eine größere Abwanderungswelle sind, ist auch in der baden-württembergischen Wirtschaft umstritten.

Der Betonpumpenhersteller Putzmeister ist eines von mehreren Unternehmen aus dem Südwesten, die Teile ihrer Produktion ins Ausland verlagern wollen.

Putzmeister Holding GmbH)

Stuttgart. Vor wenigen Tagen hatte Putzmeister regional und in der Fachpresse für Schlagzeilen gesorgt. Der Betonpumpen-Hersteller mit Stammsitz in Aichtal südlich von Stuttgart hatte betriebsintern angekündigt, zwei kleinere seiner vier Standorte in Deutschland zum Jahresende schließen zu wollen. Die Produktion von Stahlteilen soll aus Hessen an einen bestehenden Standort in der Türkei verlagert werden. 280 Mitarbeiter in Hessen und Bayern sind laut IG Metall davon betroffen.

Industrie bei Investitionen im Inland zurückhaltend

Auch die Kärcher-Gruppe hat einen ähnlichen Schritt angekündigt. Bei einem Tochterunternehmen, das Kommunalfahrzeuge herstellt, sollen knapp 60 Stellen in Reutlingen wegfallen, weil die Produktion nach Lettland umzieht. Und der Motorsägenspezialist Stihl hat Pläne für ein neues Werk in Ludwigsburg auf Eis gelegt. Der Familienkonzern prüft derzeit, ob er nicht stattdessen in der Schweiz investiert.

Für den Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Unternehmer Baden-Württemberg (UBW), Oliver Barta, sind dies keine Einzelfälle: „Die Verlagerung von industrieller Produktion ins Ausland nimmt zu.“ Denn der Wirtschaftsstandort verliere im internationalen Vergleich zunehmend an Wettbewerbsfähigkeit.

Ähnlich hatte sich vor wenigen Wochen der Vorsitzende des Arbeitgeberverbands Chemie Baden-Württemberg, Patrick Krauth, geäußert. „Wir wissen, dass Investitionen jetzt schon deutlich häufiger in den USA oder in China geplant werden als in Deutschland“, hatte Krauth bei der Vorstellung der Jahresbilanz seiner Branche gesagt.

Energiepreise, Lohnkosten und Steuern belasten die Wirtschaft

Dass die Industrie zurückhaltend bei Investitionen im Inland ist, hatte Südwestmetall in seiner Umfrage im Herbst vergangenen Jahres ermittelt. Damals hatten 38 Prozent angegeben, weniger oder deutlich weniger in Deutschland investieren zu wollen. Genauso viele wollten ihre Investitionen konstant halten, nur 24 Prozent planen, mehr in ihre heimischen Standorte zu stecken.

Allerdings bedeutet dies nicht, dass stattdessen in Summe mehr Geld in Auslandsstandorte fließt. Der Baden-Württembergische Industrie- und Handelskammertag (BWIHK) hat in einer Sonderauswertung seiner Konjunkturumfrage eine „rückläufige Tendenz zu Auslandsinvestitionen“ ermittelt, wie der Vizepräsident des BWIHK und Präsident der IHK Stuttgart, Claus Paal, erklärt.

Paal rät in der Debatte um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu Mäßigung. „Wir beobachten die gesamte konjunkturelle Entwicklung mit Sorge, ohne durch überzogene Äußerungen die angespannte Lage weiter zu verschärfen“, sagt er. In der Investitionszurückhaltung im Ausland könne auch eine Chance liegen. „Investitionen sind dringend erforderlich, aber bevorzugt im Inland. Die sollte die Politik jetzt ankurbeln“, fordert der Kammer-Präsident.

IHK-Präsident Paal: Bürokratie wird größer

Auch wenn der Umfang der Auslandsinvestitionen und der Abwanderung in der Wirtschaft unterschiedlich beurteilt werden, in der Analyse der aktuellen Probleme des Standorts Deutschland herrscht Einigkeit. Da sind zum einen die hohen Energiepreise, insbesondere im Vergleich zu den USA und China, wie Barta moniert. „Der unklare Ausblick, wie sich die Energiepreise bei uns im Zuge der Energiewende mittel- und langfristig entwickeln werden, sowie wachsende Zweifel hinsichtlich der Energieversorgungssicherheit tun ihr Übriges“, ergänzt der UBW-Hauptgeschäftsführer.

Zum Zweiten kritisieren sowohl Barta wie auch Paal, dass der Bürokratieabbau in Deutschland und Baden-Württemberg nicht vorankommt. Die regulatorischen Anforderungen an Unternehmen nähmen im Gegenteil immer mehr zu. Paal sagt: „Die Taktung, mit der die EU neue Regulierungen mit Berichtspflichten schafft, hat jetzt ein historisches Maß erreicht. Es werden viermal mehr neue Rechtsvorschriften eingeführt als abgeschafft.“

Stihl: Arbeitsstunde in der Schweiz billiger als in Deutschland

Und drittens hält man in der Wirtschaft die Steuer- und Abgabenlast für zu hoch. Barta fordert eine maximale steuerliche Belastung von Unternehmen von 25 Prozent und eine Senkung der Sozialabgaben unter die Schwelle von 40 Prozent.

Bei Stihl sieht man inzwischen sogar das Hochlohnland Schweiz als einen potenziell günstigeren Standort. „Die Löhne sind höher, aber die Arbeitsstunde ist in Deutschland unterm Strich teurer“, hatte der Beiratsvorsitzende des Unternehmens, Nicolas Stihl, in einem Interview mit dem Handelsblatt geäußert.

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Jürgen Schmidt

Redakteur Wirtschaft und Vergabe

0711 66601-147

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