Themen des Artikels
Um Themen abonnieren und Artikel speichern zu können, benötigen Sie ein Staatsanzeiger-Abonnement.Meine Account-Präferenzen
Alpirsbach: Vanessa Schmidt kämpft gegen die „freie Zeile“

Kommunalpolitisch kein leichtes Pflaster: Wahlkämpferin Schmidt vor dem Rathaus in Alpirsbach.
Rudolf)Alpirsbach. Vanessa Schmidt hat am Sonntag keinen Gegner – zumindest keinen offiziellen. Nur sie wird bei der Wahl in Alpirsbach (Kreis Freudenstadt) antreten, ein Kuriosum in einer Stichwahl in die eigentlich die beiden Bestplatzierten gehen. Ganz ohne Konkurrenz ist sie jedoch nicht: In der „freien Zeile“ unter ihrem Namen können Wähler andere Personen handschriftlich eintragen. Deshalb möchte die 34-Jährige nochmals intensiv für sich werben, betont sie am Montag im Kurgarten neben der Klosterkirche.
Schmidt distanzierte sich von jeder Art von Anfeindung
Für ihr erstes Amt hat sich die 34-Jährige keinen einfachen Einstieg ausgesucht. Der erfahrene Kommunalpolitiker Norbert Beck übernahm 2024 die Amtsgeschäfte in Alpirsbach, nachdem die Bürgermeisterwahl für ungültig erklärt worden war. Er führte die Kleinstadt zur Zufriedenheit vieler Bürger weiter, trat aber zur Wahl am 22. Juni nicht an.
Beworben hatte sich neben Schmidt die Diplom-Verwaltungswirtin Tanja Ewert, die nur 6,16 Prozent der Stimmen bekam. Ein weiterer Bewerber zog seine Kandidatur zurück. Daraufhin formierte sich eine anonyme Unterstützerkampagne für den Amtsverwalter: „Beck is Back“ prangte auf Plakaten und über WhatsApp wurden Bürger dazu aufgerufen, seinen Namen per freier Zeile auf den Stimmzettel zu schreiben – mit Erfolg. Rund 42 Prozent der Wähler folgten diesem Aufruf. Schmidt erreichte knapp 49 Prozent – zu wenig für die absolute Mehrheit. In der Stichwahl müsste sie gegen den Zweitplatzierten antreten, doch der will nicht.
Für viel Aufsehen sorgte Becks Entscheidung
Nun steht nur sie allein zur Wahl, in einem politisch aufgeheizten Klima. Für viel Aufsehen sorgte Becks Entscheidung, trotz seines starken Wahlergebnisses erneut nicht zu kandidieren. Als Gründe nannte der 70-Jährige unter anderem sein Alter, den möglichen Verlust von Pensionsansprüchen und persönliche Anfeindungen. Am Wahlabend warf ihm ein Bürger lautstark vor, dass er eine Amtsübernahme im Fall eines Wahlsiegs nicht ausgeschlossen hatte. Außerdem berichtete er dem Gemeinderat von E-Mails gegen sich.
Das Gremium verurteilte die Anfeindungen und betonte, die „Pro-Beck“-Aktion sei nicht aus seinen Reihen initiiert worden. Gleichzeitig kursierten Gerüchte, dass die Attacken aus Schmidts Lager kamen – dieser Umstand sei ihr weder bekannt noch von ihr gewollt, schreibt sie auf Instagram und distanzierte sich ebenfalls von jeder Art von Anfeindung. „Da habe ich gemerkt: Du brauchst jetzt ein dickes Fell“, sagt sie und nimmt einen Schluck aus dem Coffee-to-Go-Becher.
Seitdem ist das Verhältnis zu Beck merklich abgekühlt, was Schmidt bedauert. Sie betont, dass sie im Falle eines Wahlsiegs von seiner Erfahrung profitieren möchte.
In vielerlei Hinsicht unterscheidet sich Vanessa Schmidt vom ehemaligen CDU-Landtagsabgeordneten und langjährigen Bürgermeister von Baiersbronn: Sie ist halb so alt, eine Frau und Sozialdemokratin – und keine Verwaltungsbeamtin. Ihre Berufserfahrung sammelte sie in der Privatwirtschaft: Als Objektleiterin in Neckarsulm verwaltet sie Kitas, ein Autohaus und eine Schule. Parallel absolvierte sie ihren Master an der dualen Hochschule BW im Wirtschaftsingenieurwesen, zuvor hat sie BWL studiert.
Die Initiatoren der Kampagne „Pro-Beck“ sind anonym
Was qualifiziert sie für das Rathaus? „Ich kann organisieren, Abläufe optimieren und stehe für eine transparente, offene und empathische Kommunikation“, betont sie. Als Verbindung zur öffentlichen Verwaltung nennt sie ihre Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten.
Schon vor Jahren hat sie sich mit einer Kandidatur beschäftigt, als sie noch mit ihrem Freund in Alpirsbach lebte – bevor sie mit ihm nach Heilbronn zog, weil er dort einen neuen Job angetreten hatte. 2014 und 2019 wollte sie für die SPD in den Gemeinderat ihrer Heimatstadt Freudenstadt und in den Kreistag einziehen, blieb damals aber erfolglos.
Am Sonntag haben die Bürger der 6200-Einwohner-Stadt also die Wahl, um das Amt nach langer Vakanz endlich wieder offiziell zu besetzen – auch dank der freien Zeile: Sogar die Drittplatzierte Tanja Ewert hat sich wieder ins Spiel gebracht. Im Amtsblatt wirbt sie per Anzeige für sich: Man solle in die freie Zeile ihren Namen, Beamtin, Zweibrücken und ein Kreuz notieren. „Mehr braucht es nicht“.
Ob erneut eine Kampagne für Beck läuft, weiß Schmidt nicht. „Ich wünsche mir einen Vertrauensvorschuss, so dass die Bürger Schritt für Schritt wieder zufriedener werden.“ Die kommunalpolitische Unruhe in Alpirsbach erklärt sie mit der schwierigen Finanzlage. Deshalb setzt Schmidt auf das Engagement der Bürger und Vereine, die aus eigener Kraft etwas verändern wollen. Ihnen will sie zuhören. Die Initiatoren der „Pro-Beck“-Kampagne bleiben hingegen anonym: „Ich würde mir wünschen, dass diese Leute auf mich zugehen und mir sagen, was ihnen fehlt“, betont Schmidt, während sie im Kurgarten von Passanten gegrüßt wird.
Wählertäuschung: Wahl war ungültig, Prozess gestartet
Die Alpirsbacher Bürgermeisterwahl war 2024 für ungültig erklärt worden, weil der damalige Wahlsieger Sven Christmann über seine berufliche Situation getäuscht hat. Im Wahlkampf hatte er nicht mitgeteilt, dass er aufgrund eines Strafverfahrens als Polizist vom Dienst freigestellt worden war. Der Prozess unter anderem wegen Bestechlichkeit hat am Freitag begonnen . Christmann und ein Kollege haben Trocknungsschränke an die Hochschule für Polizei und ein Trainingszentrum vermittelt. Dafür sollen sie mehr als 10 000 Euro von einem dritten Angeklagten angenommen haben.