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Land ist bei Animation und visuellen Effekten ganz vorn

Größter Arthausfilm-Erfolg der MFG 2024: Die Verfilmung des Lebens des legendären Stuttgarter Ballettchefs John „Cranko“ mit Sam Riley in der Titelrolle
Zeitsprung Pictures/Port au Prince)Staatsanzeiger: Herr Bergengruen, die MFG kann auf ein 30-jähriges Bestehen zurückblicken. In dieser Zeit ist viel geschehen, Stichwort Digitalisierung. Welche Entwicklungen sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten in der Vergangenheit?
Carl Bergengruen: Vor 30 Jahren gab es keinerlei Filmproduktion in Baden-Württemberg. Das ist alles erst entstanden, seit es die MFG gibt und sie die Produktion von Spiel-, Dokumentar- und Animationsfilmen sowie Serien fördert. Den größten Sprung hat dabei der Bereich Animation und visuelle Effekte gemacht. Es geht hier um die rein digitale Herstellung von Spielfilmen und Serien. Diese Branche ist im Land seit 2010 um 800 Prozent gewachsen, wie eine Studie des Forschungsinstituts Goldmedia gerade herausgefunden hat. Das haben wir insbesondere mit neuen, gezielten Förderprogrammen ab 2015 erreicht. Baden-Württemberg ist mittlerweile deutschlandweit der Standort Nr. 1 in diesem Bereich.
Digitale Herstellung schließt mittlerweile ja auch Künstliche Intelligenz mit ein. Wie sehen Sie hier die Entwicklung?
Die KI dringt bereits jetzt nach und nach in alle Bereiche der Filmproduktion vor. Aber noch gelingt es nicht überzeugend, Schauspieler mit KI nachzubilden und künstlich sprechen zu lassen. Das wird aber irgendwann kommen. Auch bei Animationsfilmen, also Filmen mit rein digitalen Figuren oft für Kinder, wird es eine riesige Entwicklung durch KI geben. Denn heute werden diese Animationsfilme noch Szene für Szene von Fachkräften am Computer gestaltet. Auch diesen Prozess wird die KI ganz oder teilweise irgendwann übernehmen, vermutlich in einem disruptiven Prozess.
Baden-Württemberg war auch mal sehr stark im Dokumentarfilm-Bereich. Gilt das noch?
Das Land ist nach wie vor sehr stark im Bereich Dokumentarfilm . So wurde der Deutsche Dokumentarfilmpreis in den letzten drei Jahren jedes Mal an MFG-geförderte Produktionen vergeben, 2024 unter anderem an den beeindruckenden Film über die soziale Überwachung in China, „Total Trust“. Aber umsatzmäßig liegt im Land der Bereich Animation und visuelle Effekte mittlerweile um ein Vielfaches über der Dokumentarfilmproduktion.
Gesellschafter der MFG sind das Land und der SWR. Die Sendereihe „Junge Dokumentarfilm“ mit MFG-geförderten Filmen wird um 23.35 Uhr ausgestrahlt. Das ist recht spät. Tut der SWR genug für die Filmszene?
Der SWR finanziert vier bis fünf Nachwuchs-Dokumentarfilme pro Jahr und zeigt sie in seinem Programm. Dieses Engagement des SWR als öffentlich-rechtlichem Sender für den Nachwuchs und für das Genre Dokumentarfilm kann man gar nicht hoch genug bewerten. Deshalb ist die MFG bei dieser Initiative aus Überzeugung dabei. Dass die Akzeptanz für solche Dokumentarfilme nicht groß genug ist, um sie in der Primetime zu senden, damit müssen wir uns alle abfinden. Aber die Sendezeit spielt auch nicht mehr so eine große Rolle, denn die Filme sind ja alle in der Mediathek abrufbar.
Ein weiterer Förderbereich der MFG ist die Kultur- und Kreativwirtschaft, die im Land 30,5 Milliarden Euro Umsatz macht – Stand 2023. Ist es in Gesellschaft und Politik angekommen, dass Kultur nicht nur eine nettes Sahnehäubchen ist?
Ja, unbedingt. Alle haben angesichts der volatilen Entwicklungen in der Automobilbranche längst verstanden, dass Baden-Württemberg sich nicht alleine auf klassische Industrie-Branchen verlassen darf. Die Kultur- und Kreativwirtschaft zu stärken und wachsen zu lassen ist erklärtes Ziel des Landes. Aber das ist nicht so einfach, da andere Bundesländer ähnliche Förderziele verfolgen.
Wo müsste man ansetzen, wenn man ernstzunehmende Konkurrenz etwa für Köln und Berlin als Filmstandorte sein wollte? Oder gibt es in Zukunft vielleicht gar keine Filmstandorte mehr, sondern nur noch digitale Netzwerke?
Wir gehen davon aus, dass es weiterhin Filmstandorte geben wird. Und diese Filmstandorte sind bereits heute nicht zuletzt wegen der damit verbundenen technologischen Innovation so begehrt, dass sie weltweit subventioniert werden. Das führt dazu, dass es mittlerweile so gut wie keine Filmstandorte ohne eine entsprechende kontinuierliche Einzelprojekt-Förderung mehr gibt. Gibt es an einem Standort irgendwann weniger Förderung, schrumpft der Standort und dann ziehen die Kohorten weiter zum nächsten Standort, wo es mehr Förderung gibt. Wir müssen alles daransetzen, dass wir die hier besonders im Animationsbereich stark gewachsene Filmindustrie weiterhin durch adäquate Förderung halten. Der Image- und der wirtschaftliche Schaden für Baden-Württemberg wäre sonst groß.
Der Arbeitskreis „Green Shooting“ wurde 2017 von Ihnen gegründet, sie leiten ihn seither. Hat sich das Bewusstsein im Sinne von Nachhaltigkeit im Filmbereich tatsächlich verändert?
Wir haben mit dem Arbeitskreis Green Shooting, dem alle deutschen Sender, großen Streamer und Produktionsunternehmen und damit eine ganze Branche angehören, mehr erreicht, als ich das am Anfang für möglich gehalten habe. Ein nicht geringer Teil der tausenden von audiovisuellen Produktionen in Deutschland, von der Nachrichtensendung und der Kochshow bis zum Spielfilm, werden nach so genannten ökologischen Standards realisiert, die der Arbeitskreis etabliert hat. Das spart CO₂, von den Reisen über die Generatoren bis zur Beleuchtung und zwar in der Summe mehr, als man denkt.
Gibt es da international auch Standards?
Aus anderen Ländern ist mir eine so weitreichende Initiative aus der audiovisuellen Branche heraus nicht bekannt. Deutschland nimmt hier mittlerweile international eine Vorreiterrolle ein.
Carl Bergengruen
Carl Bergengruen studierte Sprachen und Film und war in verschiedenen Redaktionen tätig. 1998 wurde er im neu gegründeten SWR Redaktionsleiter und Produzent der Stuttgarter „Tatort“-Folgen, 2002 Hauptabteilungsleiter „Film und Serie“.
Von 2011 bis 2013 war Bergengruen Vorsitzender der Geschäftsführung der Studio Hamburg. Seit Ende 2013 ist Bergengruen Geschäftsführer der MFG Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg und verantwortet dort beide Geschäftsbereiche, die „MFG Filmförderung“ und die „MFG Kreativ“.