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Künstliche Stimmen sind eine echte Bedrohung

Hubertus von Lerchenfeld ist ein Synchronsprecher aus Baden-Württemberg.
Privat)Stuttgart. Sein Job ist wie ein Joghurt. Nur kennt er das Ablaufdatum noch nicht.
Hubertus von Lerchenfeld ist geborener Waiblinger und seit seiner Kindheit Synchronsprecher. Er hat bereits als Neunjähriger im Tonstudio seiner Cousine spontan Texte vor dem Mikrofon eingesprochen. “Am Anfang habe ich sogar noch die Rollenbezeichnungen vor dem eigentlichen Text mitgelesen”, sagt er und belächelt ein wenig sein junges Synchronsprecher-Ich. Kurz darauf folgt dann seine erste professionelle Sprechrolle für eine Kinderserie. Der 54-Jährige blickt also, wie viele andere aus seiner Branche, auf einen „reichhaltigen Erfahrungsschatz“ zurück, wie er selbst sagt. Doch gerade verändert sich etwas: „Künstliche Intelligenz dringt in unser aller Leben ein – ob wir wollen oder nicht.“
KI bedroht die deutsche Synchron-Handwerkskunst
Das Synchronisieren von Filmen und Serien bezeichnet Hubertus von Lerchenfeld als Handwerk: „Dabei haben wir in Deutschland das höchste Niveau europaweit. Ich würde sogar sagen weltweit.“ Diese deutsche Handwerkskunst sieht er nun bedroht. Die Künstliche Intelligenz mache auch in der Kunst und der Synchronisation in kurzer Zeit viele Fortschritte.
Wie die KI das Synchronhandwerk verändern könnte, wurde laut von Lerchenfeld besonders deutlich, als das Start-up DeepDub erstmals für seine KI-Synchronisationen warb. Das 2019 gegründete Unternehmen aus Tel Aviv verfolgt das Ziel, Filme mithilfe künstlicher Intelligenz in verschiedene Sprachen zu übersetzen. Dabei soll die Originalstimme der Sprecher erhalten bleiben. Anfangs war die Qualität dieser KI-generierten Synchronfassungen noch nicht gut. Inzwischen haben sich zahlreiche Start-ups mit ähnlichen Geschäftsmodellen gebildet. Im Internet gibt es inzwischen zahlreiche Aufnahmen, die diese künstliche Synchronisation nutzen. Damit habe der Beruf des Synchronsprechers ein Ablaufdatum bekommen: “Wie ein Joghurt”, findet von Lerchenfeld. Die Stimmen der Künstler sollen sogar gegen deren Willen die KI noch weiter voranbringen: „Wir vermuten, dass die KIs mit unseren Werken trainiert werden, ohne dass wir gefragt wurden. Das ist für mich illegal“, sagt von Lerchenfeld. Seine Kollegen haben ihre Stimmen in Werbeclips auf YouTube gefunden, die sie nie gesprochen haben. Darunter auch Werbung für Kampfdrohnen oder Sexspielzeug.
Vor drei Monaten taucht ein neues Video im Internet auf. Es ist ein Spot mit zahlreichen Stimmen von Synchronsprechern – und auch mit ihren Gesichtern. Sie starten gemeinsam mit dem Verband Deutscher Sprecher einen Aufruf.
Synchronsprecher fordern mehr Transparenz und Regulierung
In einer Petition sammeln sie Unterschriften, um ihre und jede andere Kunstform vor der künstlichen Intelligenz zu schützen. Der Spot soll auf die Missstände aufmerksam machen und darauf, dass die Stimmen der Sprecher ohne deren Einwilligung für das Training der Computerstimmen genutzt werden. Außerdem fordern die deutschen Stimmen von Spongebob, Cameron Diaz oder Angelina Jolie, mehr rechtlichen Schutz. Es solle ein juristisches Regelwerk aufgestellt werden.
„Wir fordern höchstmögliche Transparenz und eine Regulierung des Einsatzes von KI sowie eine Kennzeichnungspflicht für den Fall, dass eine Stimme KI-generiert ist“, sagt von Lerchenfeld über die Petition. Außerdem wollen die Synchronsprecher gemeinsam dafür kämpfen, dass „in der Kunst immer noch der Mensch der einzig kreative Faktor ist“. Von Lerchenfeld ist überzeugt: „Die KI ist nicht kreativ. Sie setzt nur neu zusammen aus anderen Versatzstücken.“ Dabei gehen Gefühle, Emotionen und der gesamte menschliche Faktor verloren. Er fragt: „Wollen wir in Zukunft nur noch von Maschinen bedient werden?“
Aktuell ist die rechtliche Lage zum Schutz von bekannten Stimmen nicht vollumfänglich geregelt. In Deutschland gibt es das Recht an der eigenen Stimme als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und auch gerichtliche Entscheidungen wie das sogenannte Marlene-Dietrich-Urteil. Sie besagen, dass prominente Stimmen nicht ohne Zustimmung verwendet werden dürfen. Dieses Schutzrecht greift aber nur, wenn die Stimme eindeutig einer Person zugeordnet werden kann und in einem klar erkennbaren Kontext – etwa in der Werbung – eingesetzt wird. Für die unerlaubte Nutzung zum Training künstlicher Stimmen oder der Nachahmung von Sprachmustern ohne vorherige Zustimmung gibt es bisher keine Regeln.
Auf Nachfrage verweist das Kultusministerium an die Medien- und Filmgesellschaft MFG Baden-Württemberg. Auch dort hat man die Gefahr für die Kunst der Synchronsprecher erkannt: „Im Bereich Synchron droht es, dass Menschen komplett ersetzt werden“, sagt Max-Peter Heyne von der MFG. Er ist im Bereich Filmförderung tätig. Zur Haltung der MFG, wenn es um finanzielle Förderung in der Filmbranche geht, sagt Heyne: „Drehbücher werden nicht angenommen, wenn sie von der künstlichen Intelligenz kommen.“ Im Bereich Synchron seien derzeit aber „keine großen, kulturpolitischen Maßnahmen geplant”.
Währenddessen kämpfen die Synchronsprecher weiter. Weniger als 4000 Unterschriften fehlen noch bei der Petition. Die Forderung, dass die Europäische Union juristische Rahmenbedingungen schafft, besteht weiterhin. Hubertus von Lerchenfeld bleibt optimistisch: „Ich glaube, es wird einen Trend zurück zur Menschlichkeit geben.“